© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/14 / 24. Januar 2014

Blick in die Medien
Sozialtourismus: Unding des Jahres
Toni Roidl

Seit 1991 wählt ein Gremium von Sprach- und Sozialwissenschaftlern das „Unwort des Jahres“. Finanziert wird die Kommission aus Steuermitteln der Kultusministerien. Sinn und Zweck ist es, „das Sprachbewußtsein und die Sensibilität für das gesprochene Wort in der Bevölkerung zu fördern“.

Für das „Unwort“ 2013 wurden 1.340 Vorschläge eingeschickt, das waren weniger als in den Vorjahren. 3 (in Worten: drei) Einsendungen entfielen auf den Begriff „Sozialtourismus“. Doch über die Wahl entscheidet nicht die Mehrheit der Vorschläge, sondern die Kommission. Sie machte „Sozialtourismus“ zum „Unwort des Jahres“.

Nicht erkannt haben sie dagegen, daß sich Sprache nicht einfangen und verbieten läßt.

Die Begründung der Vorsitzenden Nina Janich: „Das Grundwort ‘Tourismus’ suggeriert in Verdrehung der Tatsachen eine dem Vergnügen dienende Reisetätigkeit.“ Durch das Präfix „Sozial“ würde die Zuwanderung auf die Absicht reduziert, vom Sozialstaat zu profitieren. Das diskriminiere Menschen, die aus Not in Deutschland ihr Heil suchten, worauf alle ein prinzipielles Recht hätten, so die 45jährige Sprachwissenschaftlerin aus Darmstadt. Ebenfalls in die Kategorie „Unwort“ falle der Begriff „Armutszuwanderung“. Dies sei „eine böswillige Unterstellung“, sagte Janich.

Daß die Sprachregulierer „Sozialtourismus“ und „Armutszuwanderung“ verbannen wollen, beweist, daß sie erkennen, wie gefährlich die Zustände sind, die diese Begriffe auf den Punkt bringen. Nicht erkannt haben sie dagegen, daß sich Sprache nicht einfangen und verbieten läßt und daß sich mit der Sprachlosigkeit die Zustände nicht auflösen.

Würden wir den Maßstab der „Verdrehung der Tatsachen“ tatsächlich anlegen, ergäben sich viele alternative Anwärter auf den Unwort-Titel, so etwa „kulturelle Bereicherung“ oder „Regenbogenfamilie“. Übrigens: Das „Wort des Jahres“ ist „GroKo“ – obwohl kein Deutscher diese Regierungskonstellation gewählt hat.

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