© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/14 / 24. Januar 2014

Entscheidender Stratege
Franz Uhle-Wettlers fachkundige Biographie des Feldherrn und politischen Akteurs Erich Ludendorff
Helmut Roewer

Vor hundert Jahren gehörte es zum guten Ton, daß sich in Deutschland höhere Offiziere mit kriegsgeschichtlichen Abhandlungen zu Wort meldeten. Die hier zu besprechende Arbeit ist eine Rückkehr zum Traditionellen: Ein General schreibt über einen General. Nicht über irgendeinen, sondern über Erich Ludendorff, Kriegslenker im Ersten Weltkrieg.

An Ludendorff haben sich einst die Geister geschieden. Nachdem der Krieg zu Ende war und das Deutsche Reich am Boden lag, tat der soeben in Ungnaden verabschiedete General einen Schritt, der einen Tabubruch bedeutete: Er schrieb „Meine Kriegserinnerungen“, 628 Seiten dick, die noch 1919 herauskamen. In Preußen galt die Regel, daß ein Soldat nicht über sich selbst zu schwätzen habe. Ludendorffs Tabubruch wirkte wie ein Dammbruch. Doch keines der Kriegsbücher aus Deutschland, sieht man einmal von Ernst Jüngers Stahlgewittern ab, schlug mit derartiger Wucht ein.

Uhle-Wettlers dritte, vollständig überarbeitete Auflage der Biographie ist eine kenntnisreiche Streitschrift. Hierzu taucht er in die Welt der preußischen Militärs ein, ihre Ausbildung, die Glaubensgrundsätze, die Eliteauswahl. Das ist gut beobachtet und um so notwendiger, als diese Grundsätze, beginnend mit der absoluten Treue zum König heute dem Vergessen anheimgefallen sind. Doch so kann deutlich gemacht werden, in welchem Zwiespalt sich Ludendorff befand, als er bemerkte, daß das Ziel, einen Volkskrieg zu gewinnen, mit diesen Grundsätzen kollidieren mußte.

Der Schwerpunkt des Buches gehört erwartungsgemäß Ludendorffs Rolle im Ersten Weltkrieg. Diese beginnt mit dem Nur-Soldaten, der in Lüttich in verfahrener Lage das Kommando an sich reißt. Sodann sehen wir ihn in schier aussichtsloser Lage, wo er im Osten gegen einen haushoch überlegenen Feind die Initiative an sich bringt und Ostpreußen vom Feinde befreit. So wird der Sieg von Tannenberg zugleich der Auftakt für den Mythos des Siegers Hindenburg. Wie spottete doch der eigentliche Erfinder des operativen Schachzugs, Max Hoffmann, wenn er Jahre später Besucher über das Schlachtfeld führte: Und an dieser Stelle schlief Hindenburg.

Von dann an wurde es schwierig. Ludendorff, vielleicht von der eigenen Feldherrnkunst geblendet, versuchte die folgenden Monate vor allem eines: den Leiter der Gesamtoperationen, Erich von Falkenhayn, zu Fall zu bringen. Das war weder seine Aufgabe, noch war das, was er im Gegensatz zu Falkenhayn militärisch für richtig hielt, strategisch zwingend, zumindest wurde die Probe aufs Exempel nicht gemacht. Falkenhayn wurde im August 1916 gestürzt, daß Duo Hindenburg/Ludendorff trat die Nachfolge an.

Nun an den Hebeln der militärischen Macht, tat Ludendorff etwas, was verblüfft: Er machte eine nüchterne Bestandsaufnahme des Krieges, und die lautete: dieser Krieg kann mit militärischen Mitteln kaum mehr gewonnen werden. Und nun? Ludendorff tat alles, um den Krieg wieder führbar zu machen. Militärtechnisch mag das stimmig sein, doch militärpolitisch war es eine Fehlleistung, denn es galt schließlich nach seiner eigenen Analyse aus dem Krieg ohne Wenn und Aber auszusteigen.

Ludendorff war nicht der deutsche Diktator

Uhle-Wettler erörtert diese Option eher beiläufig, man kann es verstehen, denn die Politik war eigentlich nicht seine Aufgabe. War sie das wirklich nicht? Das ist zu bezweifeln, denn man kann es kaum als unpolitisch bezeichnen, einen Bündniskrieg zu führen oder zur politischen Waffe des U-Bootes zu greifen, wohl wissend, daß spätestens dies die USA aktiv auf den Plan rufen mußte. Und noch weniger darf es unpolitisch genannt werden, einen Reichskanzler Bethmann Hollweg durch einjährigen rüden Beschuß zu Fall zu bringen.

Der Sturz von Bethmann Hollweg ist die Stelle, wo sich mancher Leser vielleicht am stärksten an dem Autor reiben wird. Dabei stört weniger der Hinweis, der Reichskanzler sei nicht der Mann gewesen, Deutschland aus dem Kriegsschlamassel herauszuführen. Das mag sein, viel weniger akzeptabel ist die hieraus erfolgte Ableitung eines Sturzes, ohne das Danach zu bedenken. Die Annahme, ein Reichskanzler müsse jeden Tag ersetzbar sein, ist kindisch, und der Spruch „Schlimmer kann es gar nicht kommen“ mag als Küchenmädchen-Weisheit taugen. Im übrigen: es kam schlimmer. Das ist nicht alles. Was muß man denn von einem Strategen halten, der einen entscheidenden Schuß abfeuert, ohne die Folgen vorher bedacht zu haben? Daß dieser eben von Politik nichts versteht. Doch es war nicht so. Die Organisation des militärisch-politischen Zwitterwesens Ober Ost offenbart beispielsweise ein klares Verständnis für politische Befindlichkeiten. Allerdings ist Uhle-Wettler darin beizupflichten, daß Ludendorff kein deutscher Diktator gewesen ist. Doch wer war er? Das Buch seziert eine vielschichtige Persönlichkeit, der Autor räumt viel unsinnige Gerüchte beiseite. Er scheut aber auch das Unangenehme nicht. Das Abgleiten ins Irrationale, auch den Verfolgungswahn, das Vorgehen selbst gegen Leute, die ihm überhaupt nichts Übles wollten, das Geifern ausgerechnet gegen Walther Rathenau.

Uhle-Wettler zwingt schon wegen der Faktenfülle seine Leser zu konzentrierter Lektüre. Sein Stil ist schnörkellos, mitunter nicht ohne Schärfe. Tatsächlich haben sich am Gegenstand seines Buches, dem General Ludendorff, bisher mehr Leute mit Schärfe als mit Sachkenntnis versucht. Hier gegenzuhalten ist gewagt, das meiste davon ist gelungen. Das Buch ragt letztlich aus dem grauen Flachland deutscher Geschichtsbeschreibungen als ein Klotz heraus.

Franz Uhle-Wettler: Erich Ludendorff. Soldat – Feldherr – Revolutionär. Ares Verlag, Graz 2013, gebunden, 512 Seiten, Abbildungen, 29,90 Euro

Foto: Stabschef Erich Ludendorff (M.) links neben Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg (an der Lafette) nach der Schlacht bei Tannenberg 1914: Einen Volkskrieg gewinnen

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