© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/14 / 24. Januar 2014

Tod in kleinen Dosen
Die nach wie vor hohe Feinstaubbelastung deutscher Städte gilt als Verursacherin zahlreicher Krankheiten
Christoph Keller

Der Smog, der über deutschen Großstädten und Industriegebieten den Himmel verdüsterte, war in den 1970ern der beste „Werbeträger“ für die sich formierende Umweltbewegung. Den letzten Anstoß für eine neue umweltpolitische Weichenstellung der Bonner Republik gab dann die seit 1980 geführte Medienkampagne, die den scheinbar einleuchtenden Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung, „saurem Regen“ und „Waldtod“ herstellte.

Da in der alten BRD umweltpolitisch rasch reagiert wurde, so daß die Belastungen zurückgingen und nach dem Mauerfall von 1989 auch die berüchtigten „Dreckschleudern“ der DDR-Industrie sowie die filterlose „Trabbi“-Flotte der Konkurs gegangenen „Arbeiter- und Bauern-Macht“ verschwanden, erregte dieser ökologische Frontabschnitt zuletzt nur noch bei der Ausweisung von großstädtischen Umweltzonen ein wenig öffentliche Aufmerksamkeit.

Kamine und Holzöfen besonders problematisch

Sehr zu Unrecht, wie die Wissenschaftler am Düsseldorfer Leibniz-Institut für Umweltmedizinische Forschung (IUF) meinen. Denn „rein“ ist die Luft keineswegs, obwohl niemand mehr von „Smog“ spricht. Denn Hausbrand-Anlagen, Auspuffgase von Dieselmotoren, Reifenabrieb, Baustellen, Kohlekraftwerke, Industrieanlagen und Intensivlandwirtschaft beförderten 2011 allein 210.000 Tonnen Feinstaub in den Himmel über Deutschland. Einen stolzen Anteil von 24.000 Tonnen (2009) haben daran mittlerweile die als „klimafreundlich“ geltenden, sich daher steigender Beliebtheit erfreuenden Kamine und Holzpellet-Anlagen. Schöne grüne Stadtrandsiedlungen haben deshalb inzwischen ein „Feinstaub-Problem“. Eine dieser Feuerstätten produziert nach Angaben des Umweltbundesamtes (UBA) nämlich so viel Feinstaub wie 3.500 Erdgas-Heizungen. Die seit 1990 durch die Zurückdrängung von Kohle-Öfen und -Heizungen erzielte Entlastung sei durch den Siegeszug der Kaminöfen in deutschen Wohnzimmern praktisch neutralisiert worden, wie Joachim Wille in seinem Bericht über die IUF-Forschungen betont (Leibniz-Magazin, 4-2013).

Der Sammelbegriff Feinstaub faßt alle luftgetragenen Partikel, Mineralstaub, Seesalz, Pollen, Sporen sowie die als Rußpartikel bei Verbrennungsvorgängen freigesetzten Sulfate, Nitrate und organischen Kohlenstoffe zusammen, die sich im Größenbereich von bis zu zehn Mikrometern bewegen. Da ein Mikrometer einem Tausendstel Millimeter entspricht, drohen hier Gefahren, die für das menschliche Auge unerkennbar sind. Wobei gerade der ungenügend erforschte „Ultrafeinstaub“ (UFP), bestehend aus Partikeln, die weniger als 0,1 Mikrometer messen, in den Städten am häufigsten vorkommt und die größten Gesundheitsrisiken birgt, da die Partikel so winzig sind, daß sie von der Lunge direkt in die Blutbahn gelangen.

In Düsseldorf konzentriert man sich seit geraumer Zeit auf die gesundheitlichen Belastungen gerade der UFP-Emissionen. Laut Umweltbundesamt sinke die Lebenserwartung der Europäer durch feinstaubinduzierte Krankeiten, darunter Lungenkrebs, Herzinfarkte und Atemwegserkrankungen um knapp ein halbes Jahr. Zwar belegen aktuelle Zahlen der EU-Umweltagentur in Kopenhagen einen Rückgang der Emissionen seit 2003, aber auch 2014 würden 90 Prozent der europäischen Großstädter zuviel Feinstaub einatmen – gemessen an den Richtwerten der Weltgesundheitsorganisation WHO, die Luftverschmutzung als Verursacherin von Krebserkrankungen ausgemacht hat. Die WHO stützt sich dabei auf die von Wille zitierten Erhebungen der Internationalen Agentur für Krebsforschung, die für 2010 etwa 230.000 Lungenkrebstote ausweisen, deren Krankheit durch Luftverschmutzung verursacht worden sei.

Auch Alzheimer von Feinstaub verursacht?

In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Diabetes-Zentrum und dem zweiten Düsseldorfer Leibniz-Zentrum, stießen IUF-Wissenschaftler auch auf einen Zusammenhang zwischen Luftschadstoffen und Krankheiten, mit denen Feinstaub bislang nicht als Verursacher in Verbindung gebracht wurde. So habe man in einer 1985 begonnenen Langzeituntersuchung nachgewiesen, daß sich das Erkrankungsrisiko für Diabetes Typ 2 bei langjähriger starker Feinstaub-Belastung signifikant erhöhe. Von den 1.775 im Ruhrgebiet lebenden Teilnehmerinnen der Studie erkrankten knapp 10 Prozent (187) zwischen 1990 und 2006 an Diabetes.

Bei Frauen, die in stark mit verkehrsbedingten Feinstäuben belasteten Gegenden wohnten, sei das Diabetes-Risiko sogar „deutlich erhöht“ gewesen. Völlig ungeklärt ist indes der am IUF untersuchte Zusammenhang zwischen Luftschadstoffen und Alzheimer. Die Forscher „vermuten“, daß Partikel über den Riechnerv ins Gehirn gelangen und dort entzündliche Prozesse auslösen, die als Ursache der Demenzkrankheit gelten.

Angesichts der heute dominierenden These von der genetischen Alzheimer-Determination bewegen sich die Düsseldorfer Mediziner hier allerdings in recht spekulativ anmutenden Gefilden. Auf vergleichsweise besser gesichertem Terrain arbeitet das Leipziger Leibniz-Institut für Troposphärenforschung

(TROPOS). Auch an der Pleisse hat man die ultrafeinen Partikel im Visier. Anders als für Schadstoffe bis zehn Mikrometer, fehlt es für das UFP-Segment an einem dichten Meßnetz, das man derzeit gemeinsam mit dem UBA aufbaue und dabei augenblicklich bereits über „weltweit einmalige“ 17 Stationen verfüge. Deren Daten würden die Zweifel von ADAC und Wirtschaftsverbänden an der Einrichtung von Umweltzonen klar widerlegen.

Exakte TROPOS-Analysen der Luftwerte in der Leipziger Innenstadt hätten bewiesen, daß die Konzentration der besonders gefährlichen Ruß-Bestandteile im Feinstaub seit 2011 um 30 Prozent gesunken sei. An den Messungen, auf die sich der ADAC beziehe, seien solche Erfolge nicht abzulesen, da diese nur den größeren Feinstaub erfaßten.Der ökologische Musterknabe Deutschland scheint im internationalen Wettbewerb also auch bei der Minimierung toxischen Feinstaubs die Nase wieder vorn zu haben.

Doch wie bei der „Energiewende“ oder dem umstrittenen Fracking bedrohen weniger emsige Nachbarn die Erfolge der deutschen Umweltpolitik. Dafür verweisen die Leipziger TROPOS-Mikrophysiker auf den Umstand, daß zwei Drittel der Feinstaub-Belastungen deutscher Städte durch „Ferntransport“ entstünden. Besonders die Kohleverbrennung in den Kraftwerken und Öfen Osteuropas sei ein Problem. Die EU müsse darum dringend schärfere „Feinstaub-Limits“ durchsetzen. Gelinge dies, könnte die EU auch überzeugendes „Vorbild für Länder wie das smog- und feinstaubgeplagte China“ werden.

Foto: Luftmeßstation in Flughafennähe: Die WHO zählte im Jahr 2010 rund 230.000 Lungenkrebstote aufgrund von verschmutzter Luft

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