© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/14 / 31. Januar 2014

Unvollendet in Aschaffenburg
AfD: Euro-Kritiker wählen Liste für Europawahl
Marcus Schmidt / Hinrich Rohbohm

Der Kandidat blickt unsicher vom Rednerpult zur Versammlungsleitung herüber. Soeben hat er seine Vorstellungsrede beendet. Nun wartet er darauf, daß AfD-Sprecherin Frauke Petry wieder das Wort ergreift und die eigentlich anstehende kleine Fragerunde moderiert. Doch nichts geschieht. Die Versammlungsleiterin hat keinen Blick für ihren Parteifreund, der noch immer leicht verunsichert am Rednerpult steht. Sie hat Wichtigeres zu tun. Frauke Petry versucht gerade, den Parteitag zu retten.

Schuld für die Krise waren nicht wie in den vergangenen Wochen in mehreren Landesverbänden parteiinterne Querelen. Der AfD lief auf ihrer Europawahlversammlung in Aschaffenburg am vergangenen Sonnabend schlicht die Zeit davon.

Joachim Starbatty riß die Delegierten mit

„Wir hatten mit 40 bis 50 Kandidaten gerechnet“, sagte Bundesgeschäftsführer Georg Pazderski der JUNGEN FREIHEIT. Doch am Ende traten rund 100 AfD-Mitglieder an. Da jeder Bewerber fünf Minuten reden durfte und die Delegierten ihm dann noch zwei Fragen stellen konnten, wurde der enge Zeitplan gesprengt. Alle Ermahnungen von Lucke und Petry an die Kandidaten, diese möchten doch ihre Wahlchancen realistisch einschätzen, waren zuvor verhallt. Nun rächte es sich, daß die Partei die Frankenstolz-Arena in Aschaffenburg nur bis 21 Uhr gemietet hatte. Als der Parteitag schließlich vertagt wurde, waren gerade sechs Kandidaten gewählt, hatten sich nicht einmal die Hälfte der Bewerber vorgestellt. Die letzten Bewerber für Platz 6, von denen vermutlich die meisten das erstemal in ihrem Leben vor mehren hundert Menschen sprachen und die ihrem Auftritt entgegengefiebert hatten, gingen in der sich steigernden Unruhe weitgehend unter. An diesem Punkt traf der Wille der AfD zur Basisdemokratie auf mangelhafte Planung und sorgte so für Enttäuschungen.

Doch trotz des holprigen Endes verbucht die AfD ihr Treffen in Aschaffenburg nicht zu Unrecht als Erfolg. „Auch wenn das Aufstellungsverfahren zeitraubend ist, sollten wir stolz sein, daß wir eine lebendige innerparteiliche Demokratie haben“, schrieb Lucke Anfang der Woche in einer Mail an die Mitglieder. Am Sonnabend hatte er in der Eröffnungsrede die europapolitischen Positionen der AfD umrissen und die Unterschiede zu den etablierten Parteien herausgestrichen. Lucke sprach von der AfD als Nachfolger Adenauers und de Gaulles. Die Partei wolle die europäischen Errungenschaften erhalten. Dazu zählt er den Abbau der Grenzkontrollen und den Binnenmarkt. Der EU-Kommission warf er indes vor, sich immer weiter von den Ideen der Gemeinschaft zu entfernen. „Europa ist zum Selbstzweck geworden“, sagte Lucke, der schließlich das Wahlkampfmotto präsentierte: „Mut zu Deutschland“, wobei die Buchstaben EU vom europäischen Sternenkranz umgeben sind. Der Spruch ist das Ergebnis der Befragung von 2.100 Personen durch Meinungsforscher. Zur Auswahl standen auch „Freiheit statt Zentralismus“ und „Für ein besseres Europa“.

Luckes Wahl zum Spitzenkandidaten war am Ende Formsache. Gleiches galt für AfD-Neumitglied Hans-Olaf Henkel. In seiner kurzen Rede nahm dieser die Partei gegen den Vorwurf des Rechtspopulismus in Schutz und stellte seine Haltung zum EU-Beitritt der Türkei, die im Vorfeld für Fragen gesorgt hatte, klar. Anders als vor 15 Jahren, so Henkel, lehne er heute den Beitritt des Landes ab. Die Delegierten applaudierten und wählten den früheren BDI-Chef mit 248 von 318 Stimmen auf Platz 2 der Liste.

Nach der Wahl gab es eine groteske Szene. Henkel, der unter den Parteimitgliedern in der Halle Platz genommen hatte, stand auf und machte sich auf den Weg nach vorne. Gefolgt und umlagert von einem gutes Dutzend Kameraleuten und Fotografen. Als Henkel, der sich vermutlich mit einer kurzen Rede bedanken wollte, bemerkte, daß die Parteitagsregie dies nicht eingeplant hatte und bereits der nächste Kandidat für seine Vorstellungsrede am Rednerpult stand, ging er nach kurzem Zögern einfach weiter; immer noch gefolgt von der Journalisten-Traube. Schließlich blieb er im Niemandsland zwischen Podium und Hallenwand stehen. Jeder sah, daß dies nicht sein Ziel gewesen war.

Spannend gestaltete sich das Ringen um Platz 4 der Europaliste zwischen Beatrix von Storch und Ulrike Trebesius. Beide hatten zunächst ihre Kandidatur für Platz 3 zurückgezogen und lieferten sich dann ein enges Rennen, aus dem von Storch knapp als Siegerin hervorging. Die AfD-Sprecherin von Schleswig-Holstein, Trebesius, sicherte sich am Ende Platz 6. Den größten Erfolg feierte indes Joachim Starbatty. Er riß die Delegierten mit einer kämpferischen Rede mit und erzielte mit 96,8 Prozent das beste Ergebnis aller Kandidaten.

Zu den Verlierern des Parteitages gehörten dagegen AfD-Sprecher Konrad Adam und der ehemalige nordrhein-westfälische Landeschef Alexander Dilger. Beide waren überraschend deutlich mit ihrer Kandidatur gescheitert. Während Adam seine Niederlage eingestand und nicht für einen der hinteren Plätze kandidieren will, hält sich Dilger diese Option offen. Er war als „Spitzenkandidat“ seines Landesverbandes in das Rennen um Platz 3 gegangen und scheiterte mit 35 von 302 Stimmen. „Aus Sicht unseres Landesverbandes war die Europawahlversammlung eine selbstverschuldete Katastrophe“, resümierte Dilger und meinte damit die zahlreichen anderen Mitglieder aus NRW, die ohne Absprache ebenfalls kandidiert hatten.Geschlossener und besser organisiert zeigten sich die Delegierten aus Baden-Württemberg. Landeschef Bernd Kölmel setzte sich im Kampf um Platz 3 gegen den Vorsitzenden der „Junge Alternative“, Torsten Heinrich, durch.

Zum Mißfallen mancher Delegierter blieb die Programmatik wieder einmal auf der Strecke. Gleich zu Beginn des Parteitages hatte Lucke deutlich gemacht, es gebe „heute nichts wichtigeres als die Listenaufstellung“. Und so kam es denn auch. Durch die Vertagung des Parteitages wurde der Tagungsordnungspunkt zum Europawahlprogramm der AfD überhaupt nicht mehr verhandelt.

Sympathien für Nigel Farage und UKIP

Ob bei der Fortsetzung des Parteitages an diesem Wochenende in Berlin indes eine breite Diskussion über die von der Großen Europakommission ausgearbeiteten Wahlthesen kommt, ist nicht sicher. In Aschaffenburg wurde vorsichtshalber bereits auf den für März geplanten Programmparteitag verwiesen. Nicht alle stören sich daran. „Es ist gut, daß die Diskussion verschoben wurde“, meinte etwa Petr Bystron von der AfD aus Bayern. „Wir brauchen klare Kante“, sagte er mit Blick auf die Europathesen der Parteispitze. Bystron verwies auf die Ergebnisse der Mitgliederbefragung des bayerischen Landesverbandes zu den Wahlthesen. „Die Mitglieder wollen keine weichgespülten Formulierungen.“ In einigen Fragen wie dem Verhältnis zum Islam, der EU als Bundesstaat oder den Beitrittsverhandlungen der Türkei hätten sich die Mitglieder für deutlich schärfere Formulierungen entschieden. Daß es inhaltlich bei manchen AfD-Mitgliedern durchaus noch Gesprächsbedarf gibt, zeigte sich auch an der Frage, ob die AfD in Brüssel mit der United Kingdom Independence Party (UKIP) um Nigel Farage zusammenarbeiten sollten. Während Lucke dies ablehnt, sprachen sich zahlreiche Delegierte dafür aus. Dennoch: Vor dem Parteitag war viel vom liberalen und konservativen Flügel der AfD gesprochen worden. Bei den Redebeiträgen trat dieser Unterschied jedoch kaum hervor; bei allen Themen jenseits der Euro-Problematik hatten vielmehr konservative Positionen eindeutig die Oberhand.

Vor der Halle hatten sich am Morgen etwa 50 Linksextremisten versammelt, um gegen die AfD zu demonstrieren. Es blieb friedlich. Nicht zuletzt, weil die Polizei keinen Zweifel daran aufkommen ließ, daß sie keine Gewalt dulden wird. Allerdings waren in der Nacht vor dem Parteitag die Scheiben der Halle mit Farbe und Parolen beschmiert worden. Der Schaden war schnell behoben.

 

Die Kandidaten der AfD für die Europawahl (Platz 1 bis 6)

Platz 1: Bernd Lucke

51, Wirtschaftswissenschaftler

Bernd Lucke gehört zu den Mitgründern der AfD und gilt als unumstrittene Führungsfigur der Partei und ihr Aushängeschild

 

Platz 2: Hans-Olaf Henkel

73, Ex-BDI-Präsident

Der frühere Manager trat erst Anfang des Jahres der AfD bei, die er aber bereits im Bundestagswahlkampf unterstützt hatte.

 

Platz 3: Bernd Kölmel

55, Ministerialrat

Das ehemalige CDU-Mitglied ist Ministerialrat im Rechnungshof von Baden-Württemberg. Er führt den Landesverband an.

 

Platz 4: Beatrix von Storch

42, Rechtsanwältin

Die Vorsitzende des Vereins „Zivile Koalition“ gilt als sehr gut vernetzt. Sie wird dem konservativen Flügel der AfD zugerechnet.

 

Platz 5: Joachim Starbatty

73, Wirtschaftswissenschaftler

Der renommierte Hochschullehrer gilt als Euro-Kritiker der ersten Stunde und beteiligte sich an mehreren Klagen in Karlsruhe.

 

Platz 6: Ulrike Trebesius

43, Bauingenieurin

Ulrike Trebesius gehört wie Lucke zu den AfD-Mitgliedern der ersten Stunde und hatte sich zuvor noch nie in einer Partei engagiert.

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