© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/14 / 31. Januar 2014

Lebensfrohe Sinnlichkeit
Ausstellung: Die Kunsthalle Karlsruhe präsentiert Gemälde und Zeichnungen des französischen Rokoko-Malers Jean-Honoré Fragonard
Hans-Georg Meier-Stein

Das Rokoko ist eine uns sehr ferngerückte Zeit, die wir mit den vagen Bildern eines galanten höfischen Lebens und der Vorstellung von einer überfeinerten adeligen Gesellschaft verbinden, die sich ganz ihren heiteren Launen und ihrem Genuß- und Glücksstreben hingegeben hat. Da war die Lust an Eleganz, Spiel und Scherz, Anmut, Grazie und frivoler Tändelei, an Maskerade und schönem Betrug. Und natürlich denken wir an Kirchen, Paläste, Schlösser mit dem unendlichen Reichtum ornamentaler Erfindungen. Das Raffinement des Geschmacks und das dekorative Bedürfnis kennen keine Grenzen und bekunden sich in allen Lebensäußerungen einer Gesellschaft, die sich in festlicher Selbstdarstellung gefällt.

Aber das Rokoko war auch die Epoche der Aufklärung und stellt mit seiner Verstandeskultur einen unüberbrückbaren Abstand zum tiefreligiösen, katholischen Barock her, von dem es freilich viele höfische Stilelemente übernimmt. Der französische Rationalismus, Diderot und Voltaire, John Locke, David Hume, Leibniz und Lessing bestimmen das Denken der neuen Zeit, die sich von der Beengtheit konfessioneller und gesellschaftlicher Voreingenommenheiten freimachen und eine auf Vernunft gegründete politische Ordnung aufbauen will.

Der französische Maler, Zeichner und Radierer Jean-Honoré Fragonard (1732–1806) war ganz ein Kind seiner Zeit und gehörte neben François Boucher und Antoine Watteau zu den herausragenden Vertretern jener Epoche. Einen Einblick in die Vielgestaltigkeit von Fragonards Werk gewinnt, wer die derzeit in der Kunsthalle Karlsruhe präsentierten etwa achtzig Arbeiten von ihm studiert.

Fragonard hat der lebensfrohen Sinnlichkeit des Rokoko Ausdruck gegeben. Häufig malt oder zeichnet er heitere Vergnügungen im Freien, ländlich-idyllische oder amouröse Szenen: bäuerliche Unbeschwertheiten, badende Mädchen, junge Frauen, die einen Liebesbrief lesen, oder pikante Szenerien in einem Boudoir, im zerwühlten Bett. Und Fragonard ist ein Meister impulsiver Bewegungen: Wir sehen das leidenschaftliche Melodram eines Liebespaares, eine galante Gesellschaft beim Blinde-Kuh-Spiel, lebhafte Kinder im Spiel mit Tieren. Seine Personen sind fast immer von lebhaften Gefühlsaufwallungen ergriffen, selbst dort, wo sie sich – in ein Buch versunken – einsamer Lektüre hingeben.

Die Menschen erscheinen in ihrer ganzen Unbefangenheit und Natürlichkeit. Fragonards Bilder signalisieren Lebensfreude und romantisches Behagen. In seiner Kunst manifestiert sich eine realistische Einstellung zum Leben. Das Heroische und erhöht Idealistische des Barock wird überwunden.

Die heiter-verspielten Situationen mit Glück und Eintracht gründen auf der Hoffnung der Aufklärung auf ein irdisches Paradies. So könnte es sein, wenn die Menschen nur ihren natürlichen Anlagen und ihrer Vernunft folgen würden! Aus diesen beseligenden Erwartungen bezieht das Zeitalter sein Selbstbewußtsein. Rousseau, Lessing, Kant und Johann Gottfried Schnabel hatten die Zukunftswelt des Menschen paradiesisch ausgemalt. Antoine Watteau hatte den Aufbruch zur Liebesinsel Cythera gemalt und damit die Vision von einem kommenden Goldenen Zeitalter verbunden. Leibniz war davon ausgegangen, daß in der Welt eine „prästabilierte Harmonie“ waltet, ein harmonisches Zusammenspiel von kosmisch-göttlicher Ordnung und Erkenntnis und Gefühl, von Moral und Ästhetik und von Welt und Mensch.

Dazu passen die Bilder Fragonards von einem eleganten Leben mit dem Erlebnis des harmonischen Einsseins vor den Kulissen halbverwilderter, grandioser Parklandschaften. Traum und Wirklichkeit vermischen sich also in seinem Œuvre. Neben großartigen Porträtstudien und Darstellungen des Alltagslebens umfaßt es Gesellschaftsszenen als empfindsame Idyllen und ländliche Vergnügungen in arkadischen Ideallandschaften.

Mit seiner genauen Beobachtung der Seelenzustände, einer entschiedenen Subjektivierung, der Darstellung menschlicher Gemütslagen und des einfachen Lebens sowie der Entdeckung der emotionalen Qualitäten der Natur weist sein Werk schon auf die Romantik und das Biedermeier voraus.

Die Ausstellung „Fragonard. Poesie und Leidenschaft“ ist bis zum 23. Februar in der Kunsthalle Karlsruhe, Hans-Thoma-Straße 2-6, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 0721 / 9 26 33 59

www.kunsthalle-karlsruhe.de

Foto: Jean-Honoré Fragonard, Fête Champêtre, 1775–1780: Arkadische Ideallandschaften

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