© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/14 / 31. Januar 2014

Ein Sonderling in der eigenen Familie
Dokumentarfilm: Regisseur Mano Khalil erzählt die berührende Geschichte eines in die Schweiz geflüchteten kurdischen Imkers
Sebastian Hennig

Die Verheißung berührender Dokumentarfilme animiert meist zum Wegrennen. Allein Mano Khalils „Der Imker“ nimmt dann doch gefangen. Der Regisseur wuchs im syrischen Teil Kurdistans auf und lebt seit 1996 in der Schweiz. Mit dem unaufdringlichen Porträt seines Volksgenossen aus dem Norden hat er zugleich ein Porträt des umkämpften Landes geschaffen, ohne daß dabei auf die ideologische Pauke gehauen wird oder nationalistische Fanfaren ertönen. Der Film gewann im vorigen Jahr den mit 60.000 Schweizer Franken dotierten „Prix de Soleure“.

Die Mutter nimmt sich das Leben

Im Fortgang der Filmbilder schälen sich die Ereignisse heraus, ohne darüber den Menschen aus den Augen zu verlieren. Vor Tagesanbruch sieht man einen älteren Mann mit Söhnen oder Gehilfen damit beschäftigt, seine Bienenbeuten auf einem Wagen zu verstauen. Absprachen werden getroffen. Zwanzig Bienenvölker bleiben in Basel, zehn werden nach Andernach gebracht. Der Aufbruch zieht sich hin. Es wird hell. Der schnauzbärtige Beifahrer lehnt den übermüdeten Kopf an die Scheibe des Wagens. In einem weiten Hochtal werden die blauen Kästen nebeneinander auf Bänke gestellt. Die Völker beginnen gleich zu schwärmen. Ein frugales Mahl mit Brot und Zwiebeln wird eingenommen. Herr der Bienen ist Ibrahim Gezer.

Sein Vater fiel als Soldat der türkischen Armee. So wuchs er mit seiner Schwester bei den Großeltern auf. Für ein Schaf tauscht ihm der Großvater zwei Bienenvölker, und er wird zum ersten Züchter im Dorf, wo die Kinder vom Honig nicht gekostet haben, sondern nur wie von etwas Wunderbarem reden hören. Er wurde zu einem Pionier der Bienenzucht in der Gegend: Ein gemachter Mann mit Auto, Haus und elf Kindern, der jährliche Ausbeuten von zehn bis achtzehn Tonnen erwirtschaftete. Er sagt dazu: „Man hätte mir die Schweiz schenken können.“

Doch dann kam der Bürgerkrieg. Die Familie zerbricht in den Auseinandersetzungen zwischen PKK und türkischer Armee. Ibrahim Gezer wird verhaftet, seine Familie terrorisiert und verarmt. Die Mutter zieht mit den Kindern in die Großstadt. Als sie auch ihrer Söhne beraubt wird, nimmt sie sich das Leben.

Jetzt in der Schweiz lebt er in einer Einzimmerwohnung. Aus der darunter liegenden Kneipe zieht der Rauch nach oben. Da kann sich kein Mensch einrichten, und so hat er sich von dem Möbelgeld gleich wieder einige Bienenvölker angeschafft. Die Dame vom Sozialamt meint allerdings: „Bienenzucht ist ein schönes Hobby. Aber in der Schweiz müssen Sie arbeiten.“ Im Handumdrehen findet er sich in einer Behindertenwerkstatt wieder. Während seine Völker aus Thymian und Salbei die Pollen tragen, sortiert er inmitten Schwachsinniger Tüten mit Kräuterdrops.

Ein Bergvolk wie die Kurden

Es gelingt ihm mit freundschaftlichem Beistand, die Rücknahme des in der Türkei gefälschten späteren Geburtsdatums zu erwirken. Die Familie hinterging des Militärdienstes wegen die Meldepflicht, machte ihren Sohn jünger. Nach diesem Verwaltungsakt sieht er sich in der Schweiz pensioniert und hat nun Zeit für die Bienen.

Richtige Freunde hat er nur unter den Schweizern. Da ist gegenseitige Barmherzigkeit. Sie sehen seine Einsamkeit und seine Trauer, so wie er ihre teils groteske Lebensunfähigkeit bei einem Übermaß der Mittel sieht. Diese Mitteleuropäer, ein Bergvolk, wie seines, kommen in Gezers Augen offenbar traurig und verstört schon auf die Welt. So wie er durch die Umstände wurde, sind sie von Anfang an. Blickt man nun gemeinsam mit dem Film gleichsam kurdischen Auges auf Europas Menschen, dann wird als deren grundlegendes Mißgeschick eine Lähmung deutlich, welche die Folge andauernder Selbstreflexion ist. Und diese trennt Ibrahim Gezer von seinen Landsleuten und macht ihn den Schweizern befreundet. Daß er ein gemiedener Sonderling in der eigenen Familie ist, wird an einer großen kurdischen Hochzeitsfeier deutlich.

Zweimal fällt die Zahl Fünfhundert. So viele Bienenvölker hatte er daheim. Angesichts der Tatsache, daß die Bauern ihre Erzeugnisse auf Tischen am Straßenrand gegen freiwillige Bezahlung anbieten, preist er seine neue Heimat: „In der Schweiz gibt es Ehrlichkeit und Vertrauen. In meinem Heimatland brauchen wir noch 500 Jahre, ehe wir die Ehrlichkeit erreichen.“

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