© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/14 / 07. Februar 2014

„Die Welt der Weicheier“
Der berüchtigte Investment-Punker Gerald Hörhan hat wieder zugeschlagen: Diesmal deckt er das „Null-Bock-Komplott“ auf.
Moritz Schwarz

Herr Hörhan, was bitte ist ein Investment-Punker?

Hörhan: Ein Rebell! Einer, der das macht, was die Mehrheit nicht macht, der Spaß hat, seine Freiheit genießt und damit Erfolg hat.

Freiheit und Spaß haben andere nicht?

Hörhan: Die meisten Leute nicht. Denn sie haben Schulden und müssen ihrem Chef deshalb in den Arsch kriechen.

Faulheit gilt den Punkern als größte Tugend – wie konnten Sie da zum Investmentbanker und Multimillionär werden?

Hörhan: Wer faul ist, erschafft nichts, ist nicht mit sich zufrieden und oft der Sklave anderer. Beim Punk geht es aber um Freiheit, Kreativität und darum, Spaß zu haben. Deshalb ist Faulheit der falsche Weg, und deshalb bin ich kein Anarcho-, sondern Investment-Punker.

Was unterscheidet beide?

Hörhan: Ein Anarcho-Punk tut nichts, er beschwert sich nur und klagt über das System. Ein Investment-Punk klagt auch über das System, aber er unternimmt etwas, er macht es besser. Er nutzt seine Kreativität, Energie und Innovationsfreudigkeit und verdient Geld.

Geld verdienen bedeutet, Teil des Systems zu sein – alte Punk-Devise.

Hörhan: Der Investment-Punk verdient Geld, indem er genau das nicht ist. Und er verdient das Geld, um eben nicht Teil des Systems sein zu müssen. Es gibt etliche erfolgreiche Unternehmen, die man als Investment-Punks bezeichnen könnte.

Zum Beispiel?

Hörhan: Zum Beispiel Ryanair. Ryanair verwendete teilweise sogar die Sprache der Anarcho-Punks, etwa indem sie auf ihre Flugzeuge das Motto „Fuck BA!“ – gemeint war British Airways – schrieben. Und sie setzten das Fliegen zu erschwinglichen Preisen durch. Vor Ryanair glaubten alle, Fliegen müsse teuer sein – heute kann es sich so gut wie jeder leisten.

Aber wie können Sie frei sein, wenn Sie sich ständig um Ihr Geld sorgen müssen?

Hörhan: Genau das muß ich ja nicht. Sehen Sie, viele Leute beschäftigen sich mit Yoga oder Yin und Yang und haben Burnout. Warum? Weil sie kein Geld und deshalb Sorgen haben. Wenn man sich statt dessen mit dem Thema Geldanlage, mit der Mehrung seines Vermögens beschäftigt, dann braucht man kein Yoga mehr. Dann lösen sich viele Probleme von selbst, und sie können ihr Leben und ihre Freiheit genießen.

Wie wird man Investment-Punker?

Hörhan: Indem sie anders sind als die anderen, vor allem indem sie sich nicht an die Regeln halten, die überall aufgestellt werden und die ihnen inzwischen sogar sagen, welche Partys sie zu besuchen, welche Sex-Partner sie sich auszuwählen und welche Kleidung sie anzuziehen haben.

Stimmt es wirklich, daß Banken ihren Mitarbeitern vorschreiben, „fleischfarbene Unterwäsche“ zu tragen, wie Sie in Ihrem Buch schreiben?

Hörhan: Es gibt so ein Bankhaus, ja. Alle Beispiel und Episoden in meinem Buch sind echt, auch wenn ich die Umstände verfremdet habe, um die Beteiligten nicht bloßzustellen.

Sie schildern die Begegnung mit einer Mitarbeiterin dieser Bank, die beinahe intim geendet hätte.

Hörhan: Nennen wir sie Liljana. Mit 18 ist sie aus Skopje nach Berlin gekommen, hat im Eiltempo Wirtschaft studiert und bei eben jener Schweizer Bank Karriere gemacht, in deren Londoner Niederlassung sie jetzt beschäftigt ist. Nun saßen wir gemeinsam im Restaurant. Erst plauderten wir nett, dann unterhielten wir uns angeregt. Zum Nachtisch hatte sie Eiscreme, ich Zitronenkuchen. Dann stiegen wir ins Taxi, sie aber bei sich zu Hause nicht aus – stattdessen landeten wir in meinem Hotel. Inzwischen wurde Liljana allerdings nervös und stellte mir all diese Fragen: Ob ich Geschäftsbeziehungen zu ihrer Bank unterhielte? Ob ich – oder Mitglieder meiner Familie – Funktionen im Aufsichtsrat einer ihrer Bank nahestehenden Firma hätten? Ob ich politisch exponiert sei? Mir wurde klar: ein Sicherheitsverhör. Sie wollte keine der firmeneigenen Regeln übertreten. Und ebenso war sie angezogen, nicht zu lang, nicht zu kurz, auch die Schuhe entsprechend. Denn nach den Bekleidungsvorschriften ihrer Bank haben Männer etwa auf Dreitagebärte, das Tragen dicker Brieftaschen im Sakko, gefärbte Haare und Schuhe mit billigen Plastiksohlen zu verzichten. Frauen müssen dezent geschminkt sein, Seidenstrümpfe anhaben – und wenn sie alles richtig machen wollen, fleischfarbene Unterwäsche tragen. Liljanas Unterwäsche war fleischfarben. Da schickte ich sie nach Hause.

Aber sie hatte doch alles richtig gemacht.

Hörhan: Eben. Sie folgte all den Regeln und Vorschriften, um dafür vom System belohnt zu werden.

Sie sind ganz schön streng.

Hörhan: Ich war im Begriff, in Gestalt von Liljana mit dem System zu schlafen – und zwar nicht auf die „Fuck the System“-Art, die mir irgendwie noch Spaß gemacht hätte. Nein, tut mir leid.

Sie bezeichnen solche Leute in Ihrem Buch als „die Weicheier“.

Hörhan: Die Weicheier folgen stets den großen weißen Richtungspfeilen, die überall aufgestellt werden, um anzuzeigen, wo es in der Gesellschaft langgeht. Viele sind sogar richtige Systemtrottel und geradezu froh darüber, daß es all diese Regeln gibt. So brauchen sie nicht selbst zu denken und sich mit Selbstreflexion aufzuhalten. Die Weicheier sind am liebsten einer Meinung – egal mit wem. Wenn sie vor einem Problem stehen, überlegen sie nicht, wie sie es lösen können, sondern sie schlagen nach, was die Regeln sagen. Sie haben durch das viele Befolgen der Regeln verlernt, ihren Menschenverstand zu gebrauchen – aber sie können immer nachweisen, alles richtig gemacht zu haben.

Sie nennen das das „Null-Bock-Komplott“, wie der Titel Ihres Buches lautet.

Hörhan: Natürlich, in der Welt der Weicheier versiegt jede Initiative und Kreativität. Die Weicheier werden gefördert, die Leistungsträger behindert, demotiviert. Wer Verantwortung vermeidet hat die Nase vorn. Das Null-Bock-Niveau regiert. Die Wirtschaft erlahmt, die Bürger werden politisch desinteressiert. Die Unternehmen werden zu Kontrollkonzernen, der Staat zum Kontrollstaat. Arschkriechen, Einkaufen und Kakteen züchten. So sieht dann das Leben aus.

„Kontrollstaat“?

Hörhan: Ob etwa Kampf gegen den Terror, Temposünder, Lärm, Raucher, Korruption oder Diskriminierung – der Kontrollstaat stellt seine Bürger unter Generalverdacht. Er tut so, als wäre ihr idealer Lebensraum ein Arbeits- und Freizeitpark, in dem es für alles eine Hausordnung gibt. Das hinzunehmen bedeutet, auf Werte wie Selbstbestimmung, Meinungsfreiheit und Privatsphäre zu verzichten, und damit auf Entfaltungsmöglichkeiten, die Menschen erst zu Menschen machen.

Wieso macht der „Kontrollstaat“ Unternehmen zu „Kontrollunternehmen“?

Hörhan: Weil die Politik mehr und mehr Gesetze produziert, die den Handlungsspielraum der Unternehmen mehr und mehr einengen. Mehr Manager und Unternehmer denn je landen heute vor Gericht. Denn bestand das Hauptrisiko eines Unternehmens früher darin, daß sein Geschäftsmodell nicht aufgeht, besteht es heute darin, daß es ein Gesetz, eine Verordnung oder Verhaltensregel verletzt. Diese Gesetze und Normen sind meist schlecht gemacht und vor allem interpretierbar. Richter und Staatsanwälte sind folglich überfordert. Sie bestellen Gutachter, die es zwar auch nicht so genau wissen, aber weil sie dafür bezahlt werden und nichts zu verlieren haben, dennoch zu einem Ergebnis kommen. Dieses bildet dann die Basis für die Rechtsprechung. Das führt zu einer absurden Situation: Nämlich, daß für Unternehmen die Rechtssicherheit in westlichen Demokratien inzwischen teilweise geringer ist als in mancher Diktatur. Denn unter den meisten Diktatoren können Unternehmen zumindest auf Erfahrungswerte bauen, die konstant bleiben. Im Kontrollstaat dagegen gibt es solche verläßlichen Werte nicht.

Ein Punker, der Diktatoren das Wort redet?

Hörhan: Ganz und gar nicht! Aber einer, der aufzeigt, wie absurd die Entwicklung ist.

Vielleicht werden wir zu „Weicheiern“, aber warum zu „Kontrollbürgern“?

Hörhan: Unter dem Druck des Kontrollstaates haben vor allem große Firmen angefangen, sich zu verändern. Sie erlassen hauseigene Regeln und gehen dabei oft zur Sicherheit in vorauseilendem Gehorsam noch weiter, als es der Kontrollstaat verlangt. Staat und Unternehmen richten zudem inzwischen im Internet Verpetz-Plattformen ein, wo Bürger oder Mitarbeiter andere anonym anschwärzen können. So werden Kollegen und Bürger zu Spitzeln gemacht – und das Ganze nennen sie dann euphemistisch zum Beispiel „Bürgerbeteiligungsmodell“. In den USA werden anonyme Hinweise auch schon mit Geld belohnt. Die US-Börsenaufsicht und das US-Finanzamt beteiligen Informanten sogar mit bis zu dreißig Prozent an den Geldbußen für Konzerne, die sie verpetzt haben. Klar, daß auch die EU darüber nachdenkt. Um so schlimmer übrigens, da inzwischen fast jeder Bürger ein kamerataugliches Mobiltelefon hat. Fast alles, was im öffentlichen Raum geschieht, wird heute doch privat gefilmt. Eine unerschöpfliche und kostengünstige Überwachungsmöglichkeit, die der Kontrollstaat künftig rekrutieren möchte. Das heißt, in Zukunft wird keiner mehr unbeobachtet sein, denn irgendein Nachbar sieht dich immer! Und Bürger, die keine Lust haben, sich zum Hilfssheriff machen zu lassen, werden gezwungen werden. In Großbritannien gibt es etwa schon Warnhinweise: „Rauchen – oder anderen zu gestatten, hier zu rauchen – ist ein Rechtsverstoß!“

Woher kommt dieser Kontrollstaat?

Hörhan: Ursache ist etwa das falsche Menschenbild des Staates. Zum einen will er im Namen der Gerechtigkeit alle Bürger gleichmachen. Aber die Menschen sind nicht gleich, und somit zerstört er Freiheit und Individualität. Zum anderen traut er dem Menschen nicht zu, Entscheidungen treffen zu können. Schlimmer noch, er glaubt daran, daß der Bürger erzogen werden muß. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Viele Leute lieben ihre Hunde; leider gibt es Hunde, die andere Leute beißen. Folglich muß es ein Gesetz geben, nach dem ein Besitzer bestraft wird, wenn sein Hund jemand beißt – sonst herrscht Anarchie. Der Kontrollstaat aber geht weiter: Er will verhindern, daß der Hund überhaupt die Möglichkeit hat, jemand zu beißen, und erstellt dazu tonnenweise Regeln bezüglich Hundeführerschein, Einstufung von Hunderassen und Länge der Leine. Das schränkt die Freiheit und die Freude des Hundebesitzers massiv ein und verursacht einen teuren und nutzlosen Verwaltungsaufwand. Da bleibt nur mehr ein erschöpftes „Wuff“ des Hundes und seines Besitzers über.

Aus welcher politischen Anschauung schöpft der Staat dabei?

Hörhan: Diese Entwicklung ist wohl vor allem dem Sozialismus und Kommunismus zuzuordnen.

Aber in Berlin und ­Wien regieren Koalitionen unter Führung beziehungsweise Beteiligung bürgerlicher Parteien.

Hörhan: Inzwischen dominieren sozialistische Ideale und Überwachungsstaatsphantasien à la DDR-Staatssicherheit das Denken fast unseres ganzen politischen Personals – nicht nur in Deutschland und Österreich, in der ganzen EU.

Aber mit FPÖ und FDP gibt es doch auch freiheitliche Parteien?

Hörhan: Der FPÖ geht es in Wirklichkeit nicht um Freiheit, sondern um Nationalismus, das ist keine freiheitliche Partei! Die FDP dagegen ist eine kapitalistische und freiheitliche Partei.

Die allerdings jede Brüsseler Regulierung mitträgt und diesen Prozeß mit ihrer Europapolitik auch noch fördert.

Hörhan: Tja, unter den Blinden ist der Einäugige eben König. Aber Sie haben recht – dabei war die EU einmal eine sehr gute Idee, bei der es um Freiheit, Vielfalt und Prosperität ging, und nicht wie heute um Freiheitsberaubung, Überwachung und totale Regulierung. Bis etwa ins Jahr 2000 hat die EU den Bürgern sehr viel gebracht, Reisefreiheit, Niederlassungsfreiheit, gemeinsame Währung, Studentenaustausch – und jetzt? Jetzt gibt es jeden Monat neue Regelungen, wie man Flugpassagiere noch mehr „vor Terroristen schützt“, also quält, wie man versucht, Kleinanleger mit immer neuen Regeln für Fonds zu „schützen“, das heißt ihnen den Zugang zu interessanten Investmentmöglichkeiten zu erschweren. Das hat doch keinen Sinn.

Was schlagen Sie vor? Protest? „Macht kaputt, was euch kaputtmacht“?

Hörhan: Protest nützt nichts, denn es gibt keinen Diktator, der sich stürzen, kein Regime, das sich unterwandern ließe. Widerstand bedeutet heute vielmehr, all den Schildern und Pfeilen zu mißtrauen und selbständig zu denken und die Spielräume, die wir noch haben, im Sinne der Freiheit, der Vernunft und der Menschlichkeit zu nützen. Je mehr Menschen das tun, desto mehr Macht verliert der Kontrollstaat.

 

Gerald Hörhan, der Punker, Multimillionär und Investmentbanker, geboren 1975 in Wien, errang bereits als Jugendlicher eine Silbermedaille bei der Mathe-Olympiade. Später studierte er Mathematik und Betriebswirtschaft in Harvard, arbeitete für McKinsey in Frankfurt und JP Morgan in New York. 2010 wurde der Eigentümer eines international tätigen Corporate-Finance-Unternehmens mit seinem Buch „Investment-Punk. Warum ihr schuftet und wir reich werden“ auch in Deutschland bekannt. Nach „Gegengift. Wie euch die Zukunft gestohlen wird“ (2011) ist nun sein neues Buch erschienen: „Null-Bock-Komplott. Warum immer die Weicheier Karriere machen und wie ihr es trotzdem schafft“ (Edition a).

www.investmentpunk.com

Foto: Der Investment-Punk rät: „Spaß haben und Geld verdienen – statt Arschkriechen und Kakteen züchten“

 

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