© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/14 / 07. Februar 2014

Herr Andor und der Brummkreisel
Armutseinwanderung: Der EU-Sozialkommissar besucht in Berlin-Neukölln Integrationsprojekte für Zigeuner
Lion Edler

Der Neuköllner Hans-Fallada-Grundschule mangelt es nicht an Herausforderungen: Etwa 380 der rund 420 Schüler haben einen „Migrationshintergrund“. Die meisten von ihnen sind türkisch- oder arabischstämmig; auf Platz drei folgen bereits die Roma, die derzeit vor allem wegen der politischen Debatte um Armutszuwanderung aus EU-Staaten im Fokus stehen. Die Schule versucht, die mannigfaltigen Probleme bei dieser Gruppe mit einer „Willkommensklasse für Lernanfänger“ aufzufangen: Rumänischstämmige Lehrer und Erzieher unterrichten dort Kinder, die kein Wort deutsch sprechen.

Dieses Integrationsprojekt sorgt für Aufmerksamkeit: In der vergangenen Woche besichtigte EU-Sozialkommissar László Andor unter großer Anteilnahme der Medien diverse Roma-Integrationsprojekte in Neukölln, darunter auch die Hans-Fallada-Schule. Für Andor steht fest, daß Deutschland unter dem Strich von der Arbeitnehmerfreizügigkeit profitiere. Der EU-Politiker erkenne jedoch an, „daß es durch einen plötzlichen Zustrom von Menschen aus anderen EU-Ländern in bestimmten geographischen Gebieten vereinzelt Probleme geben kann“, heißt es kryptisch in einer Presseerklärung der deutschen Vertretung der EU-Kommission.

Lauschte man den Worten der ebenfalls in der Schule anwesenden Bezirksstadträtin Franziska Giffey (SPD), dann scheinen diese Probleme allerdings keineswegs nur „vereinzelt“ zu sein. Die meisten Einwanderer aus Bulgarien und Rumänien hätten in Neukölln einen niedrigen Bildungsstand, sagte Giffey. Die Eltern sprächen meistens kein Deutsch, und die Kinder, die nach Neukölln kämen, seien oftmals mit zehn Jahren noch nie in der Schule gewesen. Jeden Monat kommt ungefähr eine Schulklasse aus Rumänien oder Bulgarien nach Neukölln. Allmählich komme der Bezirk an seine Kapazitätsgrenze, fürchtet Giffey.

Andor versucht dennoch, die Schule zu motivieren. „Ich kann Ihnen nur dazu gratulieren, diesen Weg gegangen zu sein“, sagt Andor über das Projekt. Die Leinwand mit Bildern von glücklichen und lernenden Kindern wirbt für die Integrationserfolge der Schule. Ein Kameramann bittet seine Journalistenkollegen darum, einen Schritt zur Seite zu gehen, damit er den Brummkreisel vor seine Kamera schieben kann: „Darf ich mal kurz für ein Foto?“

Anschließend zieht der Troß weiter, um andere Projekte zu besichtigen. „Soziale Plastik“ heißt eines, bei dem aus Müll kleine Kinderstühle hergestellt werden. Während der EU-Kommissar mit einem Stuhl fotografiert wird, stürzen sich andere Fotografen auf ein Roma-Kind, das gerade an einem Bild malt.

Derweil wird ein Roma von einer Journalistin gefragt, was er denn davon halte, daß viele Deutsche die Roma verdächtigten, nur wegen der Sozialleistungen nach Deutschland zu kommen. Darum gehe es ihm nicht, antwortet der Mann in sachlichem Ton. Er wolle hier einfach arbeiten und für seine Kinder eine gute Zukunft. Als er schließlich gefragt wird, ob er denn hier wegen seiner Herkunft diskriminiert werde, verneint der Mann: Er habe Vertrauen in den deutschen Staat und auch in dessen Polizei.

Veranstaltung mit parteipolitischer Schlagseite

Auffällig an der Veranstaltung ist eine parteipolitische Schlagseite: Die Bezirksstadträtin Franziska Giffey sowie die ebenfalls anwesenden Staatssekretäre Barbara Loth und Florian Pronold gehören alle der SPD an; Andor sitzt mit der ungarischen MSZP in der sozialistischen EU-Fraktion, zu der auch die SPD gehört. In den Medienberichten über den Andor-Besuch findet sich davon nichts. Doch die sozialdemokratische Ausrichtung schien insofern eine Rolle zu spielen, als man den Eindruck nicht los wird, daß zwei Dinge in einen Zusammenhang gebracht und gegeneinander ausgespielt werden sollen: das Anerkennen von gelingender Integration einerseits und das offensive Vorgehen gegen Armutszuwanderung und Sozialmißbrauch andererseits. „Jede vorurteilsbeladene Debatte hilft überhaupt nichts“, sagt Pronold denn auch – und meint damit die von der CSU angestoßene Debatte.

Foto: Schulleiter Carsten Paeprer (l.) , Franziska Giffey (SPD), Laszlo Andor: Kinderstühle aus Müll

 

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