© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/14 / 07. Februar 2014

Der Einwanderung Grenzen setzen
Schweiz: Per Referendum entscheiden die Eidgenossen, ob sie die Zuwanderung künftig selber steuern wollen
Frank Liebermann

Am Sonntag schaut Europa auf die Schweiz. Der Grund ist einfach. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern dürfen die Eidgenossen über die Ausländerpolitik abstimmen. Die Volksinitiative „gegen Masseneinwanderung“ wurde von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) initiiert.

Bereits bei ihrer Vorstellung im Juli 2011 unterstrich SVP-Parteichef Toni Brunner den Grund für den Start der Initiative: „Statt hilfsbedürftiger Flüchtlinge“ kämen über den „Asylbereich immer mehr Wirtschaftsmigranten in die Schweiz“. Angesichts einer Nettoeinwanderung von mehr als 380.000 Menschen in den letzten fünf Jahren – dies entspricht der Einwohnerzahl der Stadt Zürich – müsse man handeln.

Breite Front gegen „Abschottungsinitiative“

Die Initiative will die Zuwanderung von Ausländern durch jährliche Höchstzahlen und Kontingente begrenzen. Ziel ist, die Einwanderung nach den gesamtwirtschaftlichen Interessen der Schweiz zu begrenzen. Dabei gehe es jedoch weder um einen generellen Stopp der Zuwanderung noch um die Kündigung der bilateralen Abkommen mit der EU, sondern allein darum, dem Bundesrat den Auftrag zu erteilen, mit der EU. „Nachverhandlungen über die Personenfreizügigkeit und damit über die eigenständige Steuerung und Kontrolle der Zuwanderung zu führen.“

Bis zur Einführung der vollen Personenfreizügigkeit für Staatsangehörige der EU-15 und der Europäischen Freihandelszone (EFTA) im Juni 2007 hatte die Schweiz die Möglichkeit, die Zuwanderung national zu regeln. Ebenso hatte sie bis zur Öffnung der Grenzen mit der Integration in den Schengenraum im Dezember 2008 die Hoheit über die Visumserteilung und die Kontrolle der eigenen Grenzen. Seither, so die SVP, „explodieren“ die Einwanderungszahlen.

Angaben des Bundesamtes für Statistik zufolge besaßen im Jahr 2012 85,1 Prozent der ausländischen Wohnbevölkerung die Staatsangehörigkeit eines europäischen Staates – darunter Zweidrittel aus Mitgliedstaaten der EU und der EFTA. Italiener stellen die stärkste Gruppe (15,6 Prozent), gefolgt von Deutschen (15,2), Portugiesen (12,7) und Serben (5,3). Doch die „Verschiebung zugunsten geographisch weiter entfernter Herkunftsländer“, so das Amt, setzt sich fort. Demnach hat sich der Anteil der Staatsangehörigen eines außereuropäischen Landes seit 1980 fast verdoppelt und liegt nun bei knapp 14,8 Prozent.

Bei allen anderen Parteien im schweizer Parlament stößt die Initiative auf Ablehnung. In einem offenen Brief empfehlen sie ein Nein zur SVP-„Abschottungsinitiative“. Die Sozialdemokraten sehen in ihr ein „fremdenfeindliches und untaugliches Rezept für die heutigen Herausforderungen, welche die Zuwanderung in gewissen Bereichen“ mit sich bringe. Eine Annahme der Initiative wäre demnach nicht nur ein „Bruch mit der Tradition der Schweiz als weltoffenes Land, sondern auch ein ökonomisches und außenpolitisches Eigentor“.

Auch die Wirtschaftsverbände lehnen die Initiative ab. Die Einführung von Kontingenten, so Heinz Karrer, Präsident von Economiesuisse, hätte gravierende Konsequenzen zur Folge. Sollten die Abkommen mit der EU aufgekündigt werden, seien mehr Bürokratie, weniger Flexibilität und eine Verschärfung des Fachkräftemangels die Folge. Hinzu käme eine Gefährdung der bilateralen Verträge, die im Außenhandel für die Schweiz große Bedeutung haben.

Spürbar sind die wachsende Enge und die Überlastung der Infrastruktur. Die Bevölkerung der Schweiz wuchs von 7,2 Millionen Personen im Jahr 2001 auf acht Millionen im Jahr 2013. Ohne Änderungen prognostizieren Bundesbehörden, daß die Zahl der Wohnbevölkerung bis 2030 auf zehn Millionen steigen könnte.

Angestammte Bevölkerung wird in die Ecke gedrängt

Zwar gab es in den letzten Jahren ein kontinuierliches Wirtschaftswachstum, dies hatte aber für die Masse kaum Wohlstandsgewinne zur Folge. Nicht nur das Wachstum wurde größer, sondern auch der zu verteilende Kuchen insgesamt, argumentiert die SVP. Da mehr Wohlstand nur an mehr Personen verteilt wird, habe der einzelne keinen positiven Effekt gehabt.

Dieses Wachstum von zehn Prozent zeitigt drastische Konsequenzen. In Ballungsräumen wie Zürich oder Genf gibt es für viele Menschen mit einfachen Berufen keinen bezahlbaren Wohnraum mehr, da hochqualifizierte Zuwanderer wie Ärzte oder Informatiker bereit sind, auch hohe Mieten zu bezahlen.

Darunter leidet die angestammte Bevölkerung, die zunehmend in die Peripherie abgedrängt wird.

Hinzu kommt, so die SVP, der Unmut über steigende Ausländerkriminalität, Asylmißbrauch sowie ein hoher Ausländeranteil im Fürsorgewesen und anderen Sozialwerken.

Wie der Urnengang ausgeht, ist offen. Anfang des Jahres lagen die Zuwanderungsbefürworter mit 55 Prozent vorn. Doch verloren sie laut der letzten Umfrage des Schweizer Fernsehens aufgrund des hohen Mobilisierungsgrades der „Gegen Masseneinwanderung“-Initiative und des wachsenden Unmuts über die massive Einwanderung von Italienern ins Tessin an Boden. Für Spannung am 9. Februar ist also gesorgt.

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