© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/14 / 07. Februar 2014

Rentenpflicht empört Kleinunternehmer
Sozialpolitik: Selbständige wehren sich mit wechselndem Erfolg gegen die Erhebung von Zwangsrentenbeiträgen
Georg Thiele

Sogar Gerhard Schröder hat sich vor einer Woche gegen Andrea Nahles’ Rentenreform gewandt. In der Bild verkündete er: „Ich verstehe, welchen gesellschaftlichen Gruppen man mit den Koalitionsbeschlüssen helfen will, das ändert aber nichts am zentralen Problem: Wie soll das finanziert werden?“ Klartext: Eure Wahlgeschenke für Rentner sind zu teuer.

Schröder – und mit ihm viele Experten – vermuten, daß mittelfristig die Rentenbeiträge angehoben werden müssen. Oder andere Steuern, aber das macht für die Zahlenden keinen Unterschied. Eine Gruppe, auf die es die Deutsche Rentenversicherung und Sozialpolitiker schon lange abgesehen haben, sind die Selbständigen, denen es im Prinzip bislang freisteht, wie und wo sie für ihr Alter vorsorgen.

Das könnte sich ändern. Seit Jahren läuft der Versuch, die 4,5 Millionen Selbständigen ins Rentenversicherungssystem mit einzubeziehen. Die Leistung der staatlichen Zwangsrente ist so unattraktiv, daß nur noch gut 300.000 Personen freiwillig bei der DRV versichert sind. Diese Zahl umfaßt neben Selbständigen auch Hausfrauen und andere Gruppen. Fazit: Der Anteil der freiwillig versicherten Unternehmer dürfte bei kaum mehr als fünf Prozent liegen. Die DRV kennt die genauen Zahlen selbst nicht, weil sie dies nicht auswertet.

2013 wurde ein Großangriff der damaligen Sozialministerin Ursula von der Leyen, die Selbständige unter 50 Jahren zum 1. Juli zu einer Zwangsrente verpflichten wollte, abgewehrt. Selbständige sollten 350 bis 400 Euro zurücklegen. Die Regelung hätte für kleinere Selbständige das Aus und für alle anderen eine massive Verschlechterung ihrer Altersvorsorge bedeutet. Ein Hamburger IT-Experte startete eine Onlinepetition mit 80.000 Teilnehmern, und es kam zur Gründung des Verbandes der Gründer und Selbständigen (VDGS), dessen Mitglieder wegen der Rentenpläne empört waren. Die Kleinunternehmer beschweren sich: „Selbständige sehen sich einer Vielzahl von Zwangsabgaben und bürokratischen Pflichten gegenüber, die kaum zu bewältigen sind. Uns platzt allmählich wirklich der Kragen.“ Das hängt auch damit zusammen, daß die Materie so unglaublich kompliziert ist. Die DRV-Hochglanzbroschüre mit den wichtigsten Infos umfaßt 32 Seiten.

Einige andere Berufsgruppen sind aber bereits seit längerem kraft Gesetz pflichtversichert – ob sie wollen oder nicht. Dies betrifft etwa viele Handwerker, Lehrer, Pfleger, Erzieher, Hebammen sowie Seelotsen und Küstenschiffer.

Wehe, wenn du falsch geschätzt wirst

Sie sind verpflichtet „einkommensgerechte“ Beiträge zu zahlen – 18,9 Prozent ihres Betriebsgewinns. Gerade bei einem geringen Betriebsgewinn ist die Abführung von fast einem Fünftel kein Pappenstiel. Wenn hinzukommt, daß die Tätigkeit gerade erst aufgenommen wurde, kann dies eine existenzbedrohende Höhe erreichen. Denn wer einmal verpflichtet ist, Beiträge zu entrichten, der kann nicht einfach aussteigen. Zwar gibt es Übergangsfristen, in denen der Beitrag geringer bemessen wird, aber wenn diese Frist abgelaufen ist, gelten wieder die normalen Regeln.

Für den Nachweis des Arbeitseinkommens ist der letzte Einkommensbescheid des Finanzamtes ausschlaggebend. Wenn der noch nicht vorliegt, dann ist auch eine Schätzung des Einkommens – in der Regel durch einen Steuerberater – möglich. Diese erste Schätzung kann für den Jungunternehmer schicksalhaft werden. Änderungen des Einkommens werden nämlich nicht für die Vergangenheit berücksichtigt. Eine zu optimistische Schätzung kann später zu großen Schwierigkeiten führen. In den Kommentierungen zu dem Gesetz, das die Grundlage für diese Abgabe bildet (§165 SGB IV) heißt es, daß der Ausschluß einer rückwirkenden Beitragsberechnung der Verwaltungsvereinfachung diene. Hört sich gut an, veranlaßt angesichts anderer Bestimmungen des Sozialgesetzbuches aber zum Schmunzeln. Meist betrifft diese Rechtsvorschrift nämlich Selbständige, die weniger als vorausgeschätzt eingenommen haben.

Auch die Rechtsprechung ist eindeutig, sie entscheidet regelmäßig zuungunsten der Selbständigen: Exemplarisch war der Fall einer Musiklehrerin in Sachsen. Statt der zunächst geschätzten Jahreseinnahmen von über 6.000 Euro ermittelte das Finanzamt Grimma einen Betriebsgewinn von nur gut 2.000 Euro. Davon wollte die Rentenversicherung fast 100 Euro kassieren – monatlich versteht sich. Die Lehrerin glaubte daher auch eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes des Grundgesetzes zu erkennen, aber die Rechtsprechung sah das anders.

Der jüngste Fall in dieser Sache wurde vor dem Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt verhandelt. Das Amt stufte einen Versicherungsmakler als Scheinselbständigen ein und verlangte von ihm Rentenbeiträge. Es folgte ein langer Rechtsstreit. Aus den Gerichtsakten geht hervor, daß er 2005 mitteilen mußte, daß er nun Hartz-IV-Empfänger sei. Damit war der Fall erledigt. Er wird keine weiteren Beiträge mehr abführen.

Rentenpflicht. Mehrere Selbsthilfeorganisationen und Blogger machen dagegen mobil

www.ak-rentenpflicht.de/ 

www.selbstaendigen-rv.de/

www.vgsd.de/

 

Mediziner beklagen „Hetzjagd“ der DRV

Es gibt Berufsgruppen, bei denen nicht ganz klar ist, ob sie der Versicherungspflicht unterliegen. Ein Teil des Krankenhauspersonals gehört dazu. Als Freiberufler sehen sie sich einer „Hetzjagd“ ausgesetzt, klagen Krankenschwestern, Ärzte und Pfleger in einem Appell, der 2013 veröffentlicht worden ist. Die Kliniken befürchteten hohe Nachforderungen wegen nachträglich zu leistenden Sozialversicherungsbeiträgen. Deswegen würden sie immer öfter auf Honorarpersonal verzichten. Einige Kollegen hätten daher bereits Insolvenz anmelden müssen.Weiter geht aus dem Appell hervor, daß die DRV Drohbriefe an Kliniken verschickt, mit denen vor der Beschäftigung von Honorarkräftenm gewarnt werden soll. „Die Folge ist, daß viele Kliniken und Einrichtungen ihre Patienten/Bewohner nicht mehr ordnungsgemäß versorgen können, teilweise müssen Stationen geschlossen oder zusammengelegt werden“, so die existenzbedrohten Freiberufler. Auch die Krankenhäuser als Arbeit- bzw. Auftraggeber beklagen die Versicherungspflicht. So forderte das Klinikum Nordfriesland öffentlich zum Widerstand gegen die Praxis der DRV auf.

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