© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/14 / 07. Februar 2014

Der Erfolg spricht für ihn
Auf das Publikum kommt es an: Der nun sechzigjährige Dieter Bohlen lebt seinen Traum
Georg Ginster

Menschen, die auf ihre Großeltern hören, fahren meistens besser. Dieter Bohlen kann davon ein Lied singen. „Glück hat auf Dauer nur der Tüchtige“, gab ihm seine Oma mit auf den Weg. Und daß er, wenn er etwas anfaßt, es doch bitte richtig machen solle. Die sechzig Jahre, die sein Leben mit dem Anbruch des 7. Februar nun umspannt, lassen sich durch keinen anderen Spruch besser zusammenfassen, nicht einmal durch einen, den er selbst geprägt hätte.

Ein Turbo-Dieter war er aber nicht. Bis er von Null auf Hundert kam, hieß es Geduld und nochmal Geduld. Mehr als zehn Jahre lang rackert er sich ab, um es im Musikgeschäft zu etwas zu bringen. Im Rampenlicht stehen aber erst einmal andere. Schlagerfuzzis wie Bernd Clüver und Bernhard Brink profitieren von seinem Geschick als Produzent und Songwriter. Er selbst bleibt im Schatten. Mutlos wird er nicht. Kreativität ist nicht angeboren, sagt er sich. Wer Erfolg haben will, braucht nur ein Prozent Talent, aber 99 Prozent Fleiß. Wenn man Bohlen eines nicht nachsagen kann, dann ist es ein Mangel an Leistungsbereitschaft.

Im Herbst 1984 hat die Zurückhaltung ein Ende. 1.400 Mark sollen es gerade einmal gewesen sein, die die Produktion von „You’re My Heart, You’re My Soul“, der Debütsingle von Modern Talking, kostete. „I’m living in my, living in my dreams“, bekennt sich das lyrische Ich in ihr und deutet an, daß es mehr will: „Deep in my heart, there’s desire for a start“. Dem zeitgenössischen Publikum mußte dies wie ein simples Liebeslied erscheinen. Heute läßt sich die Selbstbespiegelung, die Dieter Bohlen seinem Partner Thomas Anders in den Mund legte, als ein Schlüsseltext begreifen. Endlich könnte er anfangen, seinen Traum zu leben, statt nur sein Leben lang zu träumen.

Von Aufbruchsstimmung ist aber nicht gleich etwas zu spüren. Die Produktion der ersten Single steht unter keinem guten Stern, und sie braucht sechs Monate, bis sie an der Spitze der Charts steht. Ohne das Glück des Tüchtigen, den Clip im Fernsehen bei „Formel Eins“ plazieren zu können, wäre sie womöglich nie dorthin gekommen.

In seinem Brevier der Lebensklugheit, „Der Bohlenweg“ (2008), ist eine Schlüsselszene aus dieser Zeit festgehalten. Irgendwann im Jahr 1985 steht er beim Chef seiner Plattenfirma, der ihn, den Diplom-Betriebswirt, offenbar eher für einen fähigen Manager als für einen begnadeten Künstler hält. Modern Talking sei doch sowieso nur eine Eintagsfliege, sagt dieser, und macht ihm ein fair klingendes Angebot: Bohlen bekommt eine Lebensstellung bei der Plattenfirma zu einem ordentlichen Salär, und diese darf dafür den Löwenteil der Verwertungsrechte von Modern Talking beanspruchen. Eine lausige Sicherheit oder volles Risiko?

Für den späten Bohlen, der an seinen Erfolg nicht mehr nur glauben, sondern auf diesen vertrauen darf, würde die Antwort klar auf der Hand liegen. In dieser Zeit aber ist er noch nicht so gefestigt. Zu Hause quengelt die Ehefrau und pocht auf eine solide Finanzierung für die eigenen vier Wände der jungen Familie. Und Bohlen ist ja auch schon dreißig: Lachen sich die jungen Leute, die die Platten schließlich kaufen sollen, nicht schlapp, wenn ein so alter Sack über die Bühne wackelt und ihnen weismachen will, was gerade angesagt ist?

Einmal ins Schwanken geraten, läßt er sich über den Tisch ziehen. Als Modern Talking dann allen Bedenkenträgern zum Trotz doch einen Erfolg nach dem anderen landet, die Tourneen boomen und die Platten sich wie geschnitten Brot verkaufen, merkt er, daß er um Millionen ärmer ist als er sein müßte. Doch er ist um eine prägende Erfahrung reicher. Nie wieder würde er aus einem Mangel an Selbstbewußtsein einen Fehler begehen.

Heute, knapp drei Jahrzehnte später, muß er nicht mit seinem Schicksal hadern. Am Ende hat sich für ihn doch alles ausgezahlt. Über sein Vermögen kursieren wilde Schätzungen, die von einem schwindelerregenden dreistelligen Millionenbetrag ausgehen. Allenfalls einige wenige Unternehmensgründer, aber nicht einmal die großen Fußballstars oder Dax-Manager dürften durch eigene Leistung so weit gekommen sein.

Sein Alter mag Spuren im Gesicht hinterlassen haben. In die Jahre gekommen ist er aber noch nicht. Für „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS), bei allem Schwächeln unverändert das einzig relevante Casting-Format im deutschen Fernsehen, setzt RTL weiterhin auf ihn. Er bleibt der Magnet für die überwiegend jungen Zuschauer.

Für die aktuelle elfte Staffel hat er sich wieder einmal neu erfunden. Konnte man früher die Uhr danach stellen, daß er talentfreien Exhibitionisten mit klaren Ansagen die Kante zeigte, schleichen sich heute geradezu humanistische Untertöne ein. Manchmal entsteht sogar der Eindruck, als käme es ihm gar nicht mehr nur auf die Musik, sondern auch auf die Menschen an. Als einen Anflug von Altersmilde sollte man dies aber nicht mißverstehen. Der Publikumsgeschmack scheint heute mehr und mehr zu verlangen, daß bei aller heiteren Bloßstellung peinlicher Kandidaten ein Rest an Menschenwürde respektiert bleibt. Es wäre unprofessionell und daher eines Dieter Bohlen nicht würdig, sich diesem Trend widersetzen zu wollen.

Denn auf das Publikum kommt es an. Es ist die Geldquelle des Künstlers. Pop-Titan wird nur, wer ihm aufs Maul schaut und aus dem Herzen spricht. Wer es dabei nicht ehrlich meint, wer sich bloß anbiedert und insgeheim die Massen verachtet, hat keine Chance und fliegt irgendwann auf. Denn wie steht schon im „Bohlenweg“ geschrieben: Man kann dem Publikum nichts vormachen.

Dieter Bohlen lebt einen Lebensstil vor, den sich die allermeisten zeitlebens nur erträumen dürfen. Der Versuchung, als elitärer Snob abzuheben, hat er aber widerstanden. Ohne Scheu bekennt er sich dazu, im Herzen ein „Proll“ zu sein. Der Erfolg gibt ihm recht.

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