© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/14 / 07. Februar 2014

Mr. Jekyll und Mr. White
Kassenschlager: Faustische Charaktere machen „Breaking Bad“ zur Speerspitze amerikanischer Erfolgsserien
Markus Brandstetter

Walter White ist knapp fünfzig, als er erfährt, daß er erstens Lungenkrebs und zweitens nur noch sechs Monate zu leben hat. Für einen Lehrer mit einem behinderten Sohn, einer viel jüngeren und schwangeren Frau und einer heftigen Hypothek auf seinem Häuschen, ist das eine niederschmetternde Nachricht.

Furchtbare Gedanken steigen in ihm auf: Allein die Behandlung, die seinen Tod sowieso nur um Wochen hinauszögern wird, wird sein ganzes kleines Vermögen verschlingen. Frau, Sohn und dem ungeborenen Kind steht eine Zukunft in Armut und Elend bevor.

Da schickt der Zufall einen Sonnenstrahl in der Gestalt seines Schwagers Hank Schrader in Walters Leben. Hank ist Beamter bei der lokalen Drogenpolizei, ein harter Hund mit dem sprichwörtlichen goldenen Herzen, der gerne mit seinen Razzien bei Drogendealern prahlt und heute Walter White zu einer mitnimmt, damit der mal sieht, was sein Schwager für ein toller Kerl ist.

Und an diesem Tag nimmt das Verhängnis seinen Lauf: Walter, Chemielehrer am örtlichen Gymnasium, sieht das miese, dreckige Labor, in dem kleine Gangster Drogen für Millionen Dollar zusammenpanschen, und stellt zu seiner Verblüffung fest, daß der Besitzer dieser Drogenküche sein ehemaliger Schüler Jesse Pinkman ist.

Lehrer und Schüler kommen ins Geschäft

Jetzt muß Walter nur drei Dinge zusammenzählen, um seinem Leben eine völlig neue Wendung zu geben: Er muß sich jetzt selbst sagen, daß ein guter Chemiker ist und viel bessere Drogen herstellen kann als die Amateure, die er heute gesehen hat. Er muß sich weiter vor Augen führen, daß nur wenige Kilo dieser Drogen ihm Millionen Dollar einbringen würden. Wenn Walter sich jetzt noch sagt, daß er über seinen Ex-Schüler Jesse Pinkman einen Zugang zum Drogenmarkt hat, dann wären die finanziellen Probleme seiner Familie gelöst. Er könnte dann beruhigt an Krebs sterben, und die notwendigen Gesetzesverstöße, die sich im Zuge dieser Aktion ergäben, würden kaum ins Gewicht fallen, da er ohnehin bald stirbt.

Gedacht, getan. Der biedere Chemielehrer geht zu seinem ehemaligen Schüler, schließt einen faustischen Pakt mit ihm, haut seine ganzen Ersparnisse in die Waagschale, womit ein mobiles Drogenlabor in einem Wohnmobil eingerichtet wird, und fängt an, Drogen zu kochen. Und nun kommt es, wie es kommen muß: Walter und Jesse produzieren das beste N-Methylamphetamin, kurz: Crystal Meth, wie diese Modedroge heißt, weit und breit und überschwemmen damit die Stadt Albuquerque. Das bringt ihnen auf der einen Seite viel Geld, auf der anderen Seite ruft es mächtige und rücksichtslose Gegner auf den Plan, die keine Lust verspüren, ihren angestammten Markt an einen todkranken Amateur und seinen hysterischen Assistenten zu verlieren.

Bald zeigt sich jedoch, daß Walter White, der früher kein Wässerchen trüben konnte, dieser neuen Herausforderung mehr als gewachsen ist. Über viele Folgen hinweg wird er nun einen Gegner nach dem anderen eliminieren, einen Drogenbaron nach dem anderen ausschalten, sich mit einem mexikanischen Rauschgiftkartell erfolgreich anlegen, Morde anordnen und immer öfter auch selber zur tödlichen Waffe greifen – und wofür das alles? Genau: damit seine Lieben nach seinem Ableben etwas zum Beißen haben. Das zumindest glaubt er selber die längste Zeit, oder vielmehr tut er so.

Die Transformation des Walter White

Der Zuschauer begreift natürlich irgendwann, daß es dem spießigen Walter White schon lange nicht mehr um die finanzielle Versorgung seiner Familie geht, sondern daß er am tödlichen Spiel um Macht, Einfluß und Millionen Spaß gefunden hat.

Walter White hat wie Faust während der Gretchen-Episode und in der Walpurgisnacht gezeigt, was wirklich in ihm streckt: ein hochintelligenter, amoralischer und eiskalter Stratege, der die dunkelsten Instinkte in sich entdeckt hat und sie weder bedauert noch bereut, sondern genießt.

In den letzten Jahren hat es einige exzellente amerikanische Fernsehserien gegeben: „Die Sopranos“, in der Leben und Sterben in einer Mafia-Dynastie aus New Jersey thematisiert wurde; „Mad Men“, in der die verrückte Welt einer Werbeagentur im New York der 1960er Jahre wieder auflebt, und nun also eine Serie, die in ihrem Titel schon sagt, worum es geht: um ein Leben auf der schiefen Bahn, um das Abgleiten in eine kriminelle Karriere, die hier jedoch als das eigentlich wahre Leben dargestellt wird.

Am Schluß kommt es, wie es im amerikanischen Fernsehen kommen muß: Die Bösen werden bestraft, und Walter unterliegt den Mächten, die er selber beschworen hat. Aber soviel Realismus, eine derart hinreißende Suche nach der Gesellschaft von unten, dermaßen gute, ja überragende Schauspieler hat es noch in keiner Fernsehserie gegeben. Und so nahe an die zwei faustischen Seelen, die in jedem Menschen wohnen, ist auch noch keine gekommen.

Breaking Bad. Serienfinale am 6. Februar bei AXN, ab 22.10 Uhr oder auf DVD

www.breaking-bad.de (deutsche Fanseite)

Foto: Filmszene: Der Lehrer und sein Assistent, Walter White (rechts) und sein hysterischer Freund Jesse Pinkman

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