© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/14 / 07. Februar 2014

Freispruch für die frühe Globalisierung
Die Ausbreitung des Schwarzen Todes im späten Mittelalter erfolgte womöglich auf anderen Wegen als bisher vermutet
Wolfgang Kaufmann

Zwischen 1347 und 1353 forderte der „Schwarze Tod“ etwa 25 Millionen Menschenleben in Europa und sorgte damit für die größte demographische Katastrophe in der Geschichte unseres Kontinents. Dabei galt lange Zeit als erwiesen, daß der Erreger Yersinia pestis im Fell von Schiffsratten von Kaffa (heute Feodossija) auf der Krim oder Tana am Asowschen Meer nach Messina gelangt war, von wo aus dann eine schnelle Weiterverbreitung erfolgte.

Doch inzwischen mehren sich die Zweifel an diesem Szenario, denn es setzt eine Ausbreitung der Pest von ihrem angenommenen Ursprungszentrum in Zentralasien oder China entlang der verschiedenen Äste der Seidenstraße nach Westen voraus. Aber wie sollten infizierte Rattenflöhe in die Handelsstützpunkte am Schwarzen und Asowschen Meer gelangt sein, wenn diese Träger des Pestbakteriums höchstens zwei Monate leben, während die schwerfälligen Kamelkarawanen oft ein Jahr brauchten, um die rund 8.000 Kilometer von einem Ende der Seidenstraße zum anderen zurückzulegen?

Pestepidemien gab es schon lange vorher in Nordafrika

Außerdem steht mittlerweile fest, daß es auch Pestepidemien gab, welche ihren Ursprung in Nordafrika und im Mittleren Osten hatten. So stammt die erste schriftliche Erwähnung von Pestsymptomen im Jahre 2300 v. Chr. aus genau dieser Region. Und man weiß von der Großen Justinianischen Pest, welche das Byzantinische Reich zwischen 541 und 770 in immer neuen Wellen heimsuchte, daß sie definitiv nicht aus Zentralasien oder China kam: ihr Ausgangspunkt lag vermutlich auf der Arabischen Halbinsel beziehungsweise im Axumitischen Reich im Gebiet des heutigen Äthiopien. Es brauchte also keine Verbreitung des Erregers über die Seidenstraße und Häfen im Grenzbereich zwischen Europa und Asien.

Doch damit nicht genug. Nach Bekanntwerden der sieben Fahrten der gigantischen Expeditionsflotte des chinesischen Admirals Zheng He, welche zwischen 1405 und 1433 stattfanden, wird nun sogar darüber spekuliert, ob die Pest nicht auf dem Seeweg von Asien über den Indischen Ozean nach Ost- und später dann weiter nach Zentral- und Nordafrika gekommen sein könnte – mitgeführt von rattenverseuchten Dschunken aus dem Reich der Mitte, die vielleicht schon lange vor den riesigen „Schatzschiffen“ Zheng Hes zu den Küsten des Schwarzen Kontinents vorgestoßen waren.

Aber vielleicht lief alles auch ganz anders und die Ausbreitung von Yersinia pestis war überhaupt kein Menschenwerk, egal ob in Karawanen oder durch die Schiffahrt. Wie der norwegische Historiker und Experte für die Pest im Mittelalter Ole Jørgen Benedictow in der Ausgabe des Journal of Asian History (1/2013) zu bedenken gibt, könnte die Krankheit ebenso durch die ganz normalen Wanderungsbewegungen von wildlebenden Säugetieren, wie beispielsweise der Wanderratte oder Präriehunden, nach Europa gelangt sein.

Dabei beruft sich der Osloer Professor auf das Beispiel Nordamerika. Dort verbreitete sich die Pest unter den einheimischen Grauhörnchen zwischen 1900, dem Zeitpunkt des ersten Auftretens von Yersinia pestis in San Francisco, und 1975 mit einer Geschwindigkeit von 25 bis 30 Kilometern pro Jahr, ohne daß der Mensch hierauf irgendeinen Einfluß nahm. Dies würde bedeuten, daß die Seuche rund drei Jahrhunderte benötigt hätte, um die 8.000 Kilometer zwischen Zentral- bzw. Ostasien und Europa auf völlig natürlichem Wege zu überwinden – ohne Zutun von Kamelen, Dschunken oder Galeeren. Und selbst wenn einzelne schmale Wüsten- oder Gebirgsgürtel im Westen Asiens für die Wirtstiere unüberwindbar gewesen wären, kürzere Strecken konnte der Erreger durchaus auch im Fell oder Gefieder von Raubtieren oder Greifvögeln überwinden, welche sich von Nagern ernähren. Das gleiche gilt für die Verbreitung der Pestflöhe per Karawane über moderate Distanzen.

Sollte sich Benedictows Theorie bewahrheiten, müßten die Geschichtsbücher umgeschrieben werden, was den „Schwarzen Tod“ im Mittelalter betrifft. Und man könnte davon ausgehen, daß die frühe Globalisierung doch nicht so einen großen Einfluß auf die Ausbreitung von Seuchen hatte wie bisher angenommen.

www.sinologie.uni-muenchen.de

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