© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  07/14 / 07. Februar 2014

Der Wille zum Sieg macht verdächtig
Eine Anklageschrift gegen den widerständigen General Hans Graf von Sponeck
Jürgen W. Schmidt

Ende Dezember 1941 stand es für das deutsche Ostheer nicht nur vor Moskau Spitz auf Knopf. Auch Erich von Mansteins 11. Armee wurde, nach der mißlungenen Eroberung von Sewastopol, durch eine sowjetische Landung auf der Halbinsel Kertsch gefährlich bedroht. In dieser kritischen Lage ordnete Generalleutnant Hans Graf von Sponeck, Befehlshaber des XXXXII. Armeekorps an der östlichen Krim-Front, am 29. Dezember 1941 den Rückzug einer Division an. Dies geschah eigenmächtig, ohne Abstimmung mit von Manstein und dem Führerhauptquartier.

Zwei Tage später wurde Sponeck deswegen seines Amtes enthoben. Am 23. Januar 1942 stand er vor einem Kriegsgericht, das ihn wegen „fahrlässigen Ungehorsams“ zum Tode verurteilte. Zur Vollstreckung kam es nicht, da sein oberster Kriegsherr Adolf Hitler das Urteil zu sechs Jahren Festungshaft umwandelte. Im Zuge der am 20. Juli 1944 anlaufenden Verhaftungswellen ist der General, der keine Verbindung zu den Hitler-Attentätern um Stauffenberg hatte, von einem SS-Kommando erschossen worden.

Verschwimmende Grenzen zwischen Täter und Opfer

Obwohl dem militärischen Widerstand fernstehend, ist Sponeck als Offizier, der Gewissen und Verantwortung gegenüber seinen Soldaten dem Zwang zu unbedingtem Gehorsam überordnete, vielfach geehrt worden. Die Bundeswehr sah in ihm ihr Ideal der „Inneren Führung“ verkörpert. Im rheinpfälzischen Germersheim trägt seit 1966 eine Kaserne seinen Namen, in Bremen, Germersheim, München und Sasbach-Jechtingen bei Freiburg sind Straßen und Plätze nach ihm benannt, in Bremen erinnert ein „Stolperstein“ vor seiner alten Dienstwohnung in der Horner Heerstraße an ihn, in Neustrelitz hängt seit 1992 eine Gedenktafel an der Villa, in der er als Oberst und Kommandeur des 48. Infanterieregiments von 1935 bis 1937 lebte.

Im unerbittlich rauhen Klima bundesdeutscher Geschichtsentsorgung könnten solche Würdigungen bald zur Disposition der Advokaten der Amnesie stehen. Darauf stimmt zumindest ein Aufsatz von Erik Grimmer-Solem ein, der Sponecks „Verantwortlichkeiten im Ostkrieg“ Monate vor der Gewissenstat auf der Krim thematisiert (Militärgeschichtliche Zeitschrift, 1/2013). Dabei steht, nach dem Muster der gegen Henning von Tresckow erhobenen Vorwürfe, die angebliche Identifikation mit dem Kampf gegen den „jüdischen Bolschewismus“ sowie mit „Eroberungszielen Hitlers“ im Krieg gegen die Sowjetunion im Vordergrund.

Um diese Anklage zu untermauern, beschäftigt sich der Autor eingehender mit dem bislang wenig beachteten Zeitraum, als Sponeck die in der Ukraine vorstoßende 22. Infanteriedivision befehligte, also vom Beginn des Rußlandfeldzuges bis zum 14. Oktober 1941, als er krankheitsbedingt zwei Monate lang beurlaubt war. Noch Anfang Oktober habe ein Regimentskommandeur Sponecks, Dietrich von Choltitz – der im August 1944 den Befehl verweigerte, Paris zu verwüsten – Einheiten der Einsatzgruppe D dabei geholfen, in Melitopol die jüdische Bevölkerung zu erfassen und 2.000 Juden zu exekutieren. Die Kooperation gehe auf eine „ausdrückliche Anweisung“ Sponecks zurück.

Da der genesene General erst am 9. Dezember 1941 den Befehl über das XXXXII. AK übernahm, trage er zwar keine Verantwortung für das eine Woche zuvor durchgeführte SD-Massaker an 2.500 Juden der Stadt Kertsch, aber es finde sich auch keinerlei Anhalt, daß er die von Manstein abgesegnete Vernichtungspolitik gegen Juden in seinem neuen Befehlsbereich abgelehnt hätte. So sei Sponeck „um den 10. Dezember 1941“ herum nicht dem Sonderkommando 10b unter SS-Obersturmbannführer Alois Persterer in die Parade gefahren, als es mit aktiver Hilfe von Heereseinheiten bei Feodossija 1.052 Juden erschoß. Vielmehr datieren vom 10. Dezember 1941 seine „Richtlinien für die Partisanenbekämpfung“, deren „völkerrechtswidriger Inhalt eindeutig“ sei. Allerdings nur in der Interpretation Grimmer-Solems. Einmal abgesehen von der problematischen Beziehung, die Stalins Sowjetreich zum Völkerrecht pflegte, ordnen Sponecks Richtlinien lediglich die Erschießung von Rotarmisten an, die in Uniform oder Zivilkleidung den Kampf in den Reihen der Partisanen fortsetzten.

Dieser Punkt war 1941 aber eindeutig vom Völkerrecht gedeckt, gleichfalls die Bestimmung, Partisanen oder Plünderer zur Abschreckung öffentlich aufzuhängen. Ebensowenig ist die von Sponeck verfügte Geiselnahme zum Zweck kollektiver Vergeltungsaktionen zu beanstanden. Für die Erfassung aller Juden und ihre Heranziehung zum „Arbeitsdienst“ unterstellt Grimmer-Solem den Vorsatz Sponecks, er habe den Tarnbegriff „Arbeit“ nur verwendet, um „logistische Voraussetzungen für den Massenmord“ zu schaffen.

Partisanenkampf offenbare Gutheißen des Judenmords

Ohne skrupellöse Quellenkritik pflegt die Studie somit das übliche Deutungsschema, dem zufolge der Partisanenkampf lediglich Vorwand für die Auslöschung der Juden und allen Offizieren der Wehrmacht dies auch bekannt war. Dafür mußte niemand überzeugter Nationalsozialist gewesen sein. Es genügte, mit dem auf „völkische Flurbereinigung“ im Machtbereich des „jüdischen Bolschewismus“ zielenden zentralen Element der NS-Ideologie übereinzustimmen. Die „schockierenden Befunde“, die Grimmer-Solem glaubt präsentieren zu können, fielen um so mehr gegen Sponeck ins Gewicht, da sie bewiesen, wie auch ein „mutiger, fähiger und fürsorglicher General“ offenbar nationalsozialistisches Gedankengut nachhaltig verinnerlichte. Darum fand er zwar die Kraft zu widerständigem Verhalten, als es um das Leben seiner Soldaten gegangen sei, brachte aber nicht den Mut auf, „den Vernichtungskrieg gegen die Juden abzulehnen“. Das „Exempel Sponeck“ zeige daher, wie im NS-System unter Kriegsbedingungen „die Grenzen zwischen Täter und Opfer, zwischen Held und Gefolgsmann in einer Person verschwimmen konnten“.

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