© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/14 / 14. Februar 2014

Rot-rot-grüne Lockerungsübungen
Große Koalition: SPD-Chef Sigmar Gabriel führt seine Partei mit schnellen Schritten zum angestrebten Machtwechsel
Paul Rosen

Das politische Deutschland hat Neuland betreten, und keiner hat’s bemerkt. Eine ganze Sitzungswoche debattierte der Bundestag Ende Januar über das Regierungsprogramm der Großen Koalition für die nächsten vier Jahre. Obwohl einige Beobachter das „langweiligste Parlament der Welt“ (Berliner Morgenpost) ausmachten, handelte es sich in Wirklichkeit um ein spannendes Duell der Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gegen ihren SPD-Herausforderer Sigmar Gabriel, das dieser mit seiner lockeren und rhetorisch geschickten Art bei guter sachlicher Argumentation klar für sich entschied. Schon wird in Berlin diskutiert, ob Gabriel 2017 mehr als eine Außenseiterchance im Kampf um das Kanzleramt hat, den Peer Steinbrück 2013 erwartungsgemäß noch verlor.

Klar ist, daß der Niedersachse Gabriel die „alte Tante SPD“, wie sie von ihren Freunden spöttisch genannt wird, umbaut und neu organisiert. Ihn reizt das ständige Spiel mit dem Feuer, und er will Neues ausprobieren. Die Berufung der Gewerkschaftsfunktionärin Yasmin Fahimi ist so ein Ding: Gabriel weiß ganz genau, daß Fahimi wegen ihres Migrationshintergrundes in der deutschen Medienlandschaft ein Heimspiel hat und ihren CDU-Konkurrenten Peter Tauber, mag der auch noch so argumentationskräftig sein, in den Schatten stellt. Ob im Frühstücksfernsehen oder in der Tagesschau: Fahimi ist dauerpräsent.

Gabriel weiß, daß Politik nicht nur aus zwei Elementen besteht: Unterhaltung und einer gefüllten Kasse, mit der Wahlgeschenke verteilt werden können. Unmittelbar nach der Wahl, bei der die SPD mit 25,7 Prozent das zweitschlechteste Ergebnis ihrer bundesdeutschen Geschichte einfuhr, riß Gabriel die Initiative an sich. Mit dem Mitgliedervotum als Drohkulisse entkernte er in den Verhandlungen über den Koalitionsvertrag die CDU/CSU bis zur Unkenntlichkeit, so daß man sich fragen mußte, ob die Union der SPD beigetreten ist.

Seit der Regierungsbildung geben fast nur noch die SPD-Politiker im Kabinett den Ton an, wenn von den gelegentlichen Versuchen der neuen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU), mehr Truppen nach Afrika zu schicken, abgesehen wird. Zwar hat die CDU/CSU mit Kanzleramt, Innen und Finanzen klassische Ressorts besetzt, aber mit Außen, Wirtschaft und Soziales sowie Verbraucherschutz ist die SPD für die warmen Themen fürs Herz zuständig – oder andersherum gesagt: Sozialministerin Andrea Nahles erhöht die Renten und senkt das Renteneintrittsalter, und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) muß dafür die Steuern erhöhen.

Gabriels Ministeramt ist allerdings einem Himmelfahrtskommando nicht unähnlich. Die Energiewende ist teurer als gedacht. Gabriel soll dafür sorgen, daß die Verbraucher nicht zuviel bezahlen und die Betreiber der subventionierten Energieerzeugungsanlagen nicht pleite gehen, auch wenn der Subventionsfluß langsam austrocknen soll. Mit seiner Spielernatur geht der SPD-Chef die Angelegenheit unbekümmert an. Bisher spielt er Länder und Wirtschaft gegeneinander aus. Sobald das nicht mehr funktioniert und er einer Seite weh tun müßte, sind Beobachter sicher, daß Gabriel das Spiel über Brüssel laufen und sich von dort die notwendigen Maßnahmen als EU-Vorlagen liefern läßt. Das könnte er zusammen mit Martin Schulz, dem derzeitigen EP-Parlamentspräsidenten, der Chef der EU-Kommission werden möchte, sogar hinbekommen.

Merkel kam dagegen seit der Regierungsbildung oft seltsam müde auf das Parkett. Ihre Regierungserklärung bestand überwiegend aus Allgemeinplätzen und Kalauern. Schon machen sich Veränderungen bemerkbar: Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat im „Deutschlandtrend der ARD“ Merkel bei der Frage nach dem beliebtesten Politiker überrundet.

Linkspartei darf Ministerpräsidenten stellen

Das neue Selbstbewußtsein der SPD soll aber nicht das Eheleben mit der eigentlich nicht geliebten Braut CDU/CSU verschönern. Schon schielen Gabriel und seine Genossen auf neue Liebschaften. Mögen junge und oft bekennend schwule CDU-Abgeordnete auch den Kontakt mit den Grünen zwecks Realisierung der schwarz-grünen Option im Jahr 2017 suchen, die SPD ist hier schon wieder ein Stück voraus.

Schritt für Schritt bereitet Gabriel die SPD mit einem rot-roten Lockerungsprogramm auf ein Bündnis mit der Linkspartei 2017 vor. Das geht so weit, daß Generalsekretärin Fahimi den Linken in Thüringen den Ministerpräsidentenposten überlassen will, wenn die Mehrheit reicht. Das war zu Zeiten von Parteichef Franz Müntefering strikt ausgeschlossen worden. Daß die Grünen mit ins Boot genommen werden, versteht sich von selbst.

Der Wettlauf zur Macht 2017 hat längst begonnen. Und mit seinem linken Dreierbündnis hat Gabriel bessere Chancen als die Union, die – und das ist der Unterschied zu Helmut Kohls „geistig-moralischer Wende“ 1982 – ganz allein dasteht.

Foto: Vizekanzler Sigmar Gabriel und Bundeskanzlerin Angela Merkel am Kabinettstisch: Die Bundestagswahl 2017 fest im Blick

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