© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/14 / 14. Februar 2014

Karlsruhe stellt die Machtfrage
EU-Recht: Mit seinem Beschluß, Luxemburg das EZB-Verfahren vorzulegen, fordert das Bundesverfassungsgericht den Europäischen Gerichtshof heraus
Gerhard Vierfuss

Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, in dem Verfahren um die Staatsanleihenkäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) den Europäischen Gerichtshof (EuGH) anzurufen, richtet sich die Aufmerksamkeit vor allem auf zwei Fragen: Welche Bedeutung hat dies für das Verhältnis zwischen den beiden Gerichten? Und was folgt hieraus für die Erfolgsaussichten der Kläger, zu denen neben dem CSU-Bundestagsabgeordneten Peter Gauweiler auch über 11.000 weitere Bürger gehören?

Es war das erste Mal, daß Karlsruhe dem EuGH eine Rechtsfrage zur Vorabentscheidung vorlegte. Manche Beobachter interpretieren dies als eine Unterwerfungsgeste: So sprechen etwa Hans-Olaf Henkel, Kandidat der AfD für die Europawahl, und deren stellvertretender Sprecher Alexander Gauland von einem „fatalen Signal“ und warnen vor einer Verlagerung „ureigener Kompetenzen“ des Gerichts nach Luxemburg. Ganz anders die Reaktion von Gauweiler und seinem Prozeßvertreter Dietrich Murswiek: Sie sehen in der Entscheidung einen „zentralen Zwischenerfolg“ ihrer Klage und heben hervor, sie selbst hätten die Vorlage beim EuGH angeregt.

Tatsächlich ist die rechtliche Situation eindeutig: Für die Auslegung des Europarechts ist ausschließlich der EuGH zuständig. Das hat auch das Verfassungsgericht nie bestritten. Es hat nur bisher stets Wege gefunden, eine Vorlage bei dem Gerichtshof zu vermeiden. Doch diese Strategie, der konkreten Machtfrage auszuweichen und eine prekäre Balance aufrechtzuerhalten, mußte spätestens enden, wenn Karlsruhe die Handlung eines Organs der Europäischen Union für mit dem EU-Recht unvereinbar hält: In diesem Fall hätte eine eigenmächtige Entscheidung ohne Vorlage beim EuGH einen klaren Rechtsbruch dargestellt.

Genau dieser Fall ist jetzt eingetreten. Das Bundesverfassungsgericht ist zu der Überzeugung gelangt, daß die EZB mit ihrem OMT- (Outright Monetary Transactions-) Beschluß vom 6. September 2012 ihr Mandat überschritten und damit europäisches Recht gebrochen hat. Das Mandat der EZB beschränke sich weitestgehend auf die Währungspolitik; daneben seien ihr lediglich unterstützende Maßnahmen der allgemeinen Wirtschaftspolitik erlaubt. Bei dem OMT-Beschluß handle es sich aber um eine wirtschaftspolitische Entscheidung. Angesichts der erklärten Absicht, Staatsanleihen in unbegrenzter Höhe zu kaufen, könne nicht von einer bloßen Unterstützung der Wirtschaftspolitik die Rede sein.

Sorgfältige und ausführliche Argumentation

Daneben stelle der OMT-Beschluß auch eine Verletzung des Verbotes monetärer Haushaltsfinanzierung dar. Zwar beabsichtige die EZB nicht, Anleihen unmittelbar von den Mitgliedstaaten zu erwerben; jedoch erweise sich die von ihr vorgesehene Handlungsweise – Erwerb auf dem Sekundärmarkt in direkter zeitlicher Nähe zur Emission und Ermutigung zum Ersterwerb durch Ankündigung ihrer Intervention – als Umgehung dieses Verbots. Das EU-Recht verbiete auch eine solche Umgehung.

Die Argumentation der Karlsruher Richter ist so sorgfältig und ausführlich, wie man es von einem Urteil erwarten würde, nicht aber von einem Vorlagebeschluß. Auf jedes denkbare Gegenargument geht das Gericht ein, und immer wieder zitiert es zur Begründung Entscheidungen des EuGH. Diesem wird jeder ersichtliche Weg verbaut, sich der Argumentation zu entziehen. Und das Verfassungsgericht geht noch weiter: Es schlägt eine restriktive Auslegung vor, die den EZB-Beschluß mit dem europäischen Recht vereinbar mache: Begrenzung der Ankäufe dem Umfang nach; keine Beteiligung der EZB an einem Schuldenschnitt; keine oder nur geringe Eingriffe in die Preisbildung. Es scheint, als bleibe dem EuGH nichts weiter zu tun, als den Karlsruher Schriftsatz zu kopieren und in seine eigene Entscheidung einzufügen.

Das Bundesverfassungsgericht akzeptiert also die alleinige formelle Kompetenz des EuGH zur Auslegung des EU-Rechts; zugleich erhebt es jedoch unüberhörbar den Anspruch, selbst an der materiellen Ausfüllung dieser Kompetenz mitzuwirken. Es wird nicht leicht sein für den EuGH, sich über diesen Anspruch hinwegzusetzen. Sollte er es dennoch tun, so folgt daraus noch keineswegs unmittelbar die Wirksamkeit des EZB-Beschlusses auch für Deutschland. Wie der EuGH zuständig ist für die Auslegung des EU-Rechts, so ist es Karlsruhe für die des Grundgesetzes. Das Gericht hat in der vorliegenden Entscheidung wiederum bekräftigt, es werde Verletzungen des Identitätskerns des Grundgesetzes – zu dem das Demokratieprinzip und damit das Budget-recht des Bundestages gehören – nicht hinnehmen; und es hat deutlich genug gemacht, daß es diesen Identitätskern durch eine uneingeschränkte Geltung des EZB-Beschlusses verletzt sähe. Die Kläger dürfen optimistisch bleiben.

Kommentar Seite 2

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