© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/14 / 14. Februar 2014

„Wir machen weiter“
Unter Demonstranten in Bangkok: Die Kämpfer gegen die Rothemden-Regierung geben sich noch lange nicht geschlagen
Hinrich Rohbohm

Wir machen weiter“, sagt Boss entschlossen. Der Kleinhändler sitzt vor seinem Zelt und ballt die Faust. „Es muß endlich Schluß sein mit der Korruption dieser Marionettenregierung“, schimpft der Anhänger der „Bewegung gegen das Thaksin-Regime“.

Seit gut einem Monat kampiert Boss auf den Straßen Bangkoks. Sein kleines Lebensmittelgeschäft muß seine Frau derzeit allein betreiben. „Aber auch sie kommt immer wieder vorbei, um ebenfalls zu demonstrieren, erzählt der fünffache Vater, dessen Kinder und Enkelkinder an den Wochenenden auch dabei sind.

Seit Oktober 2013 ist der seit Jahren andauernde Konflikt zwischen Anhängern der Thaksin befürwortenden Rothemden und seiner Gegner, den Gelbhemden, aufs neue ausgebrochen. Bereits 2010 hatte es schwere Ausschreitungen zwischen den rivalisierenden Gruppen gegeben. Damals waren es die Rothemden, die gegen die dem Lager der Gelbhemden zuzurechnende Regierung protestierten und Barrikaden errichteten. Nach den Wahlen 2011 gelangten die Rothemden an die Regierung. Premierministerin wurde Yingluck Shinawatra, Schwester des 2006 aus dem Amt geputschten Ex-Premiers und Milliardärs Thaksin Shinawatra, gegen den die Vorgänger-Regierung Hafbefehl wegen Terrorismus-Verdachts erlassen hatte.

Weil der Haftbefehl im Oktober aufgehoben wurde und die Yingluck-Administration zudem beabsichtigte, ein Amnestiegesetz zugunsten Thaksins auf den Weg zu bringen, rief die Opposition unter der Führung des ehemaligen Generalsekretärs der aus dem Gelbhemden-Lager stammenden Demokratischen Partei, Suthep Thaugsuban, zu Massenprotesten gegen die Regierung auf.

Im November hatten Oppositionelle das Finanzministerium besetzt. Nachdem es auch zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Anhängern von Regierung und Opposition gekommen war, setzte Yingluck für den 2. Februar Neuwahlen an. Die Opposition hingegen rief zum Boykott auf, fordert zunächst einen Volksrat, der das politische System Thailands grundlegend reformieren soll.

„Was bringt uns eine Demokratie, wenn ein Mann mit viel Geld sich Stimmen kaufen kann“, fragt Boss, der sich zudem darüber beklagt, daß die Regierung lediglich Politik für ihre eigene Klientel betreibe. So würde allein der von der Yingluck-Administration garantierte Mindestpreis für Reis den Staat mehr als 350 Milliarden Baht kosten. Eine Summe, die etwa acht Milliarden Euro entspricht und den Staatshaushalt erheblich belastet.

Seit Oktober demonstrieren Leute wie Boss gegen die amtierende Regierung. Dazu aufgerufen hat das oppositionelle „Volkskomitee für Demokratische Reformen“ (PDRC). Nachdem es im November auch zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Polizei und Regierungsbefürwortern gekommen war, setzen beide Seiten nun auf Deeskalation. Die Polizei hat sich weitestgehend zurückgezogen. Die Opposition beschränkt ihre Maßnahmen auf friedliche Straßenblockaden und Protestmärsche in Bangkok. Sie halten bedeutende Verkehrsknotenpunkte der Hauptstadt besetzt.

Die Straßen sind mit Absperrgittern versehen. Dahinter herrscht mehr Volksfest- als Demonstrationsatmosphäre. Außenstehende würden angesichts dessen, was sich auf den Straßen Bangkoks abspielt, eher an ein Rockkonzert als an Proteste denken. Auf einer Bühne treten Sänger auf, während die Demonstranten sich Isomatten auf die Straße gelegt haben und darauf sitzend im Takt klatschen. Verkaufsstände reihen sich auf den besetzten Straßen aneinander, an denen auch Unbeteiligte und Touristen interessiert vorbeischlendern. Die Protestler verkaufen T-Shirts. „Shutdown Bangkok – Restart Thailand“ steht auf ihnen in Anspielung auf die Blockade und die damit verbundene Reformforderung.

Der ganze Protest schadet doch nur der Wirtschaft

Es ist Abend. Auch Boss hat sich nun seine Isomatte geschnappt, um von seinem Zelt nach vorn zur Bühne zu gehen, wo gerade ein Protestler eine mit starkem Beifall begleitete flammende Rede gegen die Regierung hält. Die Sonne steht jetzt tiefer. Der Platz vor der Bühne füllt sich zusehends. Einer der Aktivisten schwenkt stolz eine große Thailand-Fahne. Punkt sechs wird es still. Auf der Bühne stimmt ein Sänger voller Leidenschaft die Nationalhymne an, in die die Protestler einstimmen. „Thai, Thai, Thai“, rufen alle und strecken die Faust in die Höhe. Das Bekenntnis zum König und zum eigenen Land wird bei den Oppositionellen großgeschrieben.

„Unser Problem ist, die Leute auch nach der Wahl zum Weitermachen zu mobilisieren“, erklärt Pum, eine 23jährige Marketing-Studentin, die die Demonstrationen mit organisiert. Das sei nicht einfach, immer mehr Protestler würden sich ausklinken und wieder ihrer Arbeit nachgehen. Geschäftsinhaber an den besetzten Straßenabschnitten haben schon seit Wochen ihre Läden geschlossen, werden unruhig, weil ihnen aufgrund der Proteste ihre Existenz wegzubrechen droht. Taxifahrer klagen über Umsatzeinbußen.

„Aber der Protest darf jetzt nicht enden, sonst ändert sich nichts“, sagt Pum. Daß es sich bei der Opposition lediglich um die Elite handele, wie in zahlreichen Medien behauptet, hält sie für zu kurz gegriffen. „Natürlich sind Geschäftsleute und Büroangestellte dabei, aber es demonstrieren genauso auch Garküchen-Verkäufer, Bauern oder Bauarbeiter mit uns. Dieses Arm-gegen-Reich-Klischee stimmt so nicht“, betont sie.

Um den Protest auszuweiten, will die Opposition nun die Reisbauern für ihre Demonstration gewinnen. Die Regierung hatte ihnen finanzielle Unterstützung in Höhe von umgerechnet drei Milliarden Euro zugesagt. Geflossen ist das Geld bisher nicht. Deshalb sammelt die Opposition für die Bauern. Die Regierung reagierte, erklärte, sie habe jetzt eine Möglichkeit gefunden, das Geld auszuzahlen.

Während die Protestler in Bangkok und in Südthailand zahlreiche Anhänger haben, steht der Norden und Nordosten des Landes mehrheitlich auf der Seite der Regierung. „Der ganze Protest schadet doch nur unserer Wirtschaft“, schimpft ein Thaksin-Anhänger. Touristen blieben weg, Investoren würden abgeschreckt. „Jetzt profitieren eben mal andere Landesteile“, meint ein weiterer Anhänger der Rothemden und führt die Verbesserung der Infrastruktur und die Gesundheitsreform als Erfolge Shinawatras an. Zudem hätten die Wahlen gezeigt, daß die Mehrheit der Bevölkerung hinter dem System Shinawatra stehe.

Die Opposition hingegen nimmt dem in Dubai im Exil lebenden Milliardär besonders übel, daß er unter anderem als persönlicher Berater des kambodschanischen kommunistischen Machthabers Hun Sen fungiert.

Boss jedenfalls will seinen Protest so schnell nicht aufgeben. „Ich tue das schließlich für mein Land“ sagt er.

Foto: Massenprotest gegen die „Marionettenregierung“ / Kleinhändler Boss: „Ich tue das für mein Land“

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