© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/14 / 14. Februar 2014

Grüße aus Tokio
Es könnte so schön sein
Albrecht Rothacher

Dem Moloch Tokio zu entkommen, ist jeder Vorwand recht. So traf es sich gut, zu einem Vortrag vor Studenten an der Internationalen Universität Akita eingeladen zu werden. Die Uni befindet sich in klösterlicher Abgeschiedenheit in der Mitte von Nirgendwo. Zum Thema „Außenpolitik der EU“ ist mir die ungeteilte Aufmerksamkeit gewiß, wohl weil es keinerlei Ablenkung gibt.

Akita ist eine hübsche Landpräfektur mit einer Million Einwohnern im Nordosten Japans. Malerisch die hohen Bergwälder, tiefen Seen, weiten Reisfelder und die zerklüftete Küste am Japanischen Meer. Gegenüber liegt, knapp 800 Kilometer Luftlinie entfernt, Sibirien und angrenzend das Staatsgebiet Nordkoreas.

Zurück nach Akita. Die Einwohner der Präfektur ernähren sich redlich von Land- und Forstwirtschaft, dem Fremdenverkehr und der Fischerei. Vor allem der Reis und der Sake gelten wegen des guten Wassers als die besten ihrer Art in Japan.

Leere Paläste der Kongreßzentren, Früchte der von Tokio finanzierten Bauwirtschaft.

Die Welt könnte hier also einigermaßen in Ordnung sein. Doch weit gefehlt. Die Präfektur hat den höchsten Bevölkerungsverlust (minus ein Prozent im Jahr), die niedrigste Geburten- sowie die höchste Selbstmord- und Alkoholismusrate Japans. Das größte Problem: Die Jugend wandert seit langem nach Tokio ab. In 25 Jahren werden hier 30 Prozent weniger Menschen leben, und 44 Prozent von ihnen werden über 65 Jahre alt sein.

Die gleichnamige Hauptstadt Akita bestätigt den Verfall, der vom aktuellen Tiefschnee nur notdürftig bedeckt wird. Ein überdimensionierter Hauptbahnhof, ein paar Schritte weiter beginnt die Fußgängerzone, auf der nur wenige flanieren, aufgegebene Geschäfte, verlassene Hotels und eine Innenstadt voller planlos angelegter unbenützter Parkplätze.

Dazwischen die modernen, von niemandem besuchten Paläste der Provinzmuseen und Kongreßzentren – Früchte der von Tokio subventionierten Bauwirtschaft, mit denen die sterbende Provinz seit Jahren zwangsbeglückt wird.

Einer der weinigen Lichtblicke ist die Ruinenlandschaft der Bergfestung von Akita mit ihren ehrwürdigen Parks, Schreinen und Festungstoren. Von hier aus hatten vor rund 1.300 Jahren die Samurai die örtlichen Ainu-Stämme besiegt.

An diesem kühlen Frühnachmittag ist die Anlage menschenleer. Nur eine Arbeitskolonne älterer Behinderter schippt im dichten Schneegestöber den Schnee zur Seite. Ein Stimmungsbild aus einer Provinz ohne Zukunft.

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