© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/14 / 14. Februar 2014

Der Offenbarungseid
Auswertung einer Vatikan-Umfrage: Die deutschen Bischöfe legen Rom ein Umdenken in Fragen der katholischen Sexualmoral nahe / Kirchenferne Medien zollen ihnen dafür Beifall
Gernot Facius

Mit Lob von außen sind die deutschen katholischen Bischöfe in den vergangenen Jahren wahrlich nicht verwöhnt worden. Medien unterschiedlichster Provenienz sprachen ihnen die Fähigkeit zu Transparenz und offener Kommunikation ab. Um so mehr überrascht das Echo auf ihre Auswertung einer Befragung zu Themen der Familie und Sexualmoral, zu der Papst Franziskus die Bischofskonferenzen in aller Welt aufgefordert hatte. Die Oberhirten hätten „Klartext“ gesprochen, so das Urteil der meisten Kommentatoren.

Auf zwanzig Seiten listen die Bischöfe auf, wie Katholiken über die kirchliche Lehre denken: Das 1968 von Papst Paul VI. in der Enzyklika „Humanae vitae“ formulierte Verbot künstlicher Empfängnisverhütung werde „von der großen Mehrheit als unverständlich abgelehnt und in der Praxis nicht beachtet“. Neun von zehn Befragten haben nichts gegen vorehelichen Geschlechtsverkehr einzuwenden, homosexuellen Lebensgemeinschaften wird mit großer Offenheit begegnet.

Den Ausschluß wiederverheirateter Geschiedener von den Sakramenten können die meisten „nicht nachvollziehen“, sie fordern eine „Pastoral des Respekts vor der Gewissensentscheidung des Einzelnen und einen barmherzigen Umgang mit Scheitern, der auch die Wiederzulassung zu den Sakramenten ermöglicht“.

Als Gründe für die Abkehr von der traditionellen Lehre benennt die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) einen Wandel in der Gesellschaft und eine für viele Gläubige unverständliche Sprache in römischen Dokumenten. Diese Texte seien „durch ihren sprachlichen Duktus und ihren autoritären Ansatz nicht dazu angetan, das Verständnis der Gläubigen zu wecken und zu finden“. Ein Seitenhieb gilt auch dem emeritierten Papst Benedikt, speziell dessen „Erwägungen zu den Entwürfen einer rechtlichen Anerkennung der Lebensgemeinschaften zwischen homosexuellen Personen“.

Mit Rom-Kritik und der damit verbundenen Forderung nach Reformen, nach „neuen Ansätzen“ in der katholischen Ehe- und Sexualmoral, hat der deutsche Episkopat selbst liberale oder kirchenferne Medien auf seiner Seite. Und in der Tat wurden die Bischöfe überschwenglich dafür gelobt, es den Römern nun schwarz auf weiß gegeben zu haben, wie die kirchliche Wirklichkeit aussieht. Daß Katholiken mit der kirchlichen Sexualethik fremdeln, daß viele Gläubige, alte wie junge, die Lehre als lebensfremd empfinden, weiß man allerdings spätestens seit den Debatten um „Humanae vitae“, die sogenannte Pillenenzyklika.

Das Resümee der DBK, da hat der Cicero-Autor Alexander Kissler recht, war so vorhersehbar wie ein Kälteeinbruch im Januar. Daß dieses Resümee in Teilen einem Offenbarungseid der deutschen Bischöfe gleichkommt, ist in Berichterstattung und Kommentierung weitgehend ausgeblendet worden. In dem Text findet sich nämlich auch ein zarter Hauch von Selbstkritik, wenn es zum Beispiel heißt: „Die kirchliche Lehre über Ehe und Familie spielt in der Jugendarbeit eine geringe Rolle. Nur vereinzelt wird in Predigten auf das katholische Familienbild Bezug genommen.“

Hier müssen sich deutsche Kleriker an die Brust klopfen und ein Mea culpa sprechen: Wir haben zentrale Botschaften nicht an den Mann oder die Frau gebracht, nicht immer klar zum Ausdruck gebracht, was das Besondere an einer christlichen, sakramentalen Ehe ist, was sie von anderen Beziehungen unterscheidet, dafür mehr über Toleranz, Umweltschutz und Afghanistan gesprochen. In einem katholischen Internetforum bemerkte ein Kommentator über die deutschen Bischöfe: „Sie erinnern irgendwie an einen Lehrer, der seinen Schülern jahrelang nichts beigebracht hat und sich dann darüber aufregt, daß sie reihenweise durchs Abi-tur fallen.“

Ein polemischer Einwurf, gewiß. Aber so unberechtigt ist er nicht. Daß die Kirche gerade in Fragen der Familie und der Sexualität ein dramatisches Vermittlungsproblem hat, daß Deutschland speziell in diesem Punkt Missionsland geworden ist, läßt sich nicht wegdiskutieren.

Wie soll geglaubt werden, was nicht verkündigt wird? „Wenn die Kirche sich davon abhängig macht, was Mehrheitsmeinung ist, gibt sie Theologie und Offenbarung als eigene Erkenntnisquelle preis“, warnt der Münsteraner Soziologe Detlef Pollack. Er begrüßt das auf Papst Franziskus zurückgehende Vorhaben, die Einstellung der Katholiken zu Ehe und Familie zu erheben, um für die im Herbst stattfindende Weltbischofssynode empirisches Material zu sammeln: „Aber die Methode einer Umfrage unter Funktionären kann keine repräsentativen Ergebnisse liefern, zumal dann nicht, wenn sie – wie in Deutschland – stark onlinegestützt arbeitet.“

Was der Wissenschaftler vom Exzellenz-Cluster „Religion und Politik“ der Uni Münster sagen will: Eine Neuausrichtung kirchlichen Handelns muß aus theologischen Überlegungen kommen, und man sollte die Antworten auf den Fragebogen des Papstes nicht überbewerten. Offen bleibt nämlich, wie repräsentativ die Einlassungen der „Basis“ wirklich sind. Zum Beispiel die Antworten aus dem Bistum Mainz, dem der frühere DBK-Vorsitzende Kardinal Karl Lehmann vorsteht. Es gab 919 Einsendungen – von 757.380 Katholiken, das entspricht einer Beteiligung von 0,12 Prozent. Hochgerechnet kommen in den 27 Bistümern 60 Prozent der Antworten von Hauptamtlichen; das stützt die Skepsis von Professor Pollack.

Zudem wird sich auf der Synode zeigen, daß es in der katholischen Welt sehr unterschiedliche Sichtweisen gibt, jeder Erdteil hat seine spezifischen Erfahrungen. Von Papst Franziskus, sagt der Bischof von Dresden, Heiner Koch, werde „Massives“ erwartet. Der Punkt der Enttäuschungen, meinte Koch im Kölner Domradio, werde noch kommen, „egal, was und wie die Synode sich verhält. Es ist eine gefährliche Situation, zumindest eine große Herausforderung.“

Es darf also fleißig spekuliert werden, wie der Pontifex mit den Ergebnissen der Umfrage umgeht. Verwegen, wenn nicht gar realitätsfern ist freilich die Schlagzeile von Welt online „Deutsche Bischöfe setzen Papst unter Druck“, ebenso der Kommentar „Deutsche Bischöfe tricksen Papst Franziskus aus“.

Foto: Robert Zollitsch, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, auf dem Evangelischen Kirchentag 2011 in Dresden: Abkehr von der Lehre

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