© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/14 / 21. Februar 2014

Geburtsurkunde, Schulabschluß, Doppelpaß
Integration: Die Große Koalition streitet über die Bedingungen für eine erneute Reform des Staatsangehörigkeitsgesetzes
Christian Schreiber

Der Teufel scheint in diesem Fall wirklich im Detail zu stecken. Da hatte die SPD zum Abschluß der Koalitionsverhandlungen mit der CDU euphorisch verkündet, daß eine Neuregelung der doppelten Staatsbürgerschaft für Nicht-EU-Ausländer beschlossene Sache sei. Die Sozialdemokraten erreichten im Ringen mit der Union, daß der Optionszwang aus dem Staatsbürgerschaftsrecht gestrichen werden soll. Drei Monate später – im mittlerweile schon tristen Berliner Regierungsalltag – sieht die Sache ganz anders aus.

CDU/CSU wiesen in der vergangenen Woche darauf hin, daß dies allerdings nur „für in Deutschland geborene und aufgewachsene Kinder“ gelten soll. Vor allem das Wort „aufgewachsen“ sorgt nun für einen handfesten Koalitionsstreit. Nach der bislang geltenden Optionspflicht müssen sich in Deutschland geborene Kinder aus Zuwandererfamilien, die mit der Geburt zunächst den deutschen Paß neben der Nationalität ihrer Eltern bekommen, bis zum 23. Geburtstag für eine Staatsangehörigkeit entscheiden. Legen sie sich nicht fest, geht der deutsche Paß verloren. Die Regelung betraf in der Vergangenheit vor allem junge Türken.

Die SPD trommelt seit Jahren massiv für den Doppelpaß. Sie möchte, daß alle in Deutschland geborenen Einwandererkinder auch aus Nicht-EU-Staaten zusätzlich zur Nationalität ihrer Eltern dauerhaft auch die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) hält dagegen. Für ihn ist ein Kind dann in Deutschland aufgewachsen, wenn es hier einen Schulabschluß erreicht hat. Unions-Fraktionsvize Thomas Silberhorn sagte der Zeit, Sprache und Bildung seien die wichtigsten Voraussetzungen für gelungene Integration. „Der deutsche Paß muß ein Dokument erfolgreicher Integration bleiben“, erklärte er und warnte vor Loyalitätskonflikten von Jugendlichen beim Wegfall des Optionszwangs. De Maizière selbst unterstrich, daß das Kriterium „aufgewachsen“ nicht verhandelbar sei. In 90 Prozent der Fälle hätten die Betroffenen einen Schulabschluß und müßten nur Geburtsurkunde und Zeugnis vorlegen. „Der Vorschlag ist also anwendungsfreundlich.“

Die Definition des Begriffs „aufgewachsen“ hat sich in der Vergangenheit als schwierig herausgestellt. Darüber gab es bereits während der Koalitionsverhandlungen immer wieder Diskussionen. Seinen neuen Gesetzesentwurf bezeichnete der Innenminister dennoch als „handhabbaren und einfachen Vorschlag, der dem vereinbarten Kompromiß angemessen gerecht wird“. Der Nachweis eines Schulabschlusses sei einfacher und deshalb „keine Hürde, sondern eine Erleichterung“, sagte de Maizière der Süddeutschen Zeitung und kündigte eine zügige Entscheidung über das Gesetz an.

Doch damit haben die Genossen in Berlin ein Problem. Sie fürchten den Zorn der Migranten und mögliche Auswirkungen auf deren Wahlverhalten. Schließlich hatte die SPD in der Vergangenheit bei Wahlen besonderen Zulauf aus Zuwandererfamilien. „Ich halte die Vorschläge von Herrn de Maizière für nicht durchführbar und wenig praktikabel“, sagte die SPD-Fraktionsvize Eva Högl dem Tagesspiegel. Sowohl der Schulabschluß als auch eine Meldebescheinigung seien mit einem sehr hohen bürokratischen Aufwand verbunden: „Der Optionszwang ist insgesamt keine zeitgemäße Regelung. Ich plädiere dafür, das Merkmal ‘aufgewachsen’ zu ignorieren“, forderte Högl.

Ausufernde Bürokratie machte auch die Staatsministerin für Integration, Aydan Özoguz, SPD, geltend. „Keiner kann ein Interesse daran haben, daß die Kommunen einen kaum zu bewältigenden Verwaltungsaufwand zugeschoben bekommen, der noch mehr Kosten verursacht, Personal bindet und keinen zusätzlichen Integrationsnutzen beinhaltet“, sagte sie dem Spiegel und ergänzte: „Wir dürfen jetzt nicht einen alten Vorbehalt durch einen neuen ersetzen.“

Länder haben Optionsverfahren ausgesetzt

Einige ihrer Parteifreunde fühlen sich ohnehin schon nicht mehr an die Absprachen im Koalitionsvertrag gebunden. Mehrere SPD-geführte Bundesländer haben Bundesratsinitiativen zur Abschaffung des Optionszwangs angekündigt. Der Innenminister von Schleswig-Holstein Andreas Breitner (SPD) stellt die im Koalitionsvertrag festgeschriebene Abmachung unmittelbar in Frage: „Das Staatsangehörigkeitsrecht kennt im Zusammenhang mit dem Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit nicht die Kategorie ‘aufgewachsen’.“ Für die Abschaffung des Optionszwangs sei sie daher unerheblich, sagte er der Welt.

Mehrere SPD-regierte Länder haben bereits laufende Optionsverfahren ausgesetzt. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius, Sprecher der SPD-Ressortleiter, kündigte an, daß Niedersachsen sich für eine „vollständige Abschaffung der Optionspflicht – ohne Wenn und Aber – einsetzen wird“. Ausschlaggebend sei allein das Kriterium „Geburt im Bundesgebiet“. Dies wiederum gefällt der Union gar nicht. Innenexperte Wolfgang Bosbach erklärte der Nachrichtenagentur dpa, der Schulbesuch solle „die gelungene Integration in die Lebensverhältnisse in Deutschland“ zeigen: „Daran gibt es nichts zu deuteln.“

Foto: Deutsch-türkische Doppelstaatlerin: „Keine Hürde, sondern eine Erleichterung“

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