© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/14 / 21. Februar 2014

Anwohner fühlen sich gelinkt
Netzausbau: Geplante Hochspannungsleitungen könnten zu einer Enteignungswelle führen
Ronald Berthold

Die Stimmung kippt. „Energiewende ja, aber bitte nicht vor meiner Haustür.“ So in etwa läßt sich die Stimmung in vielen Gemeinden zusammenfassen. „Empörung ist zu harmlos, das ist schon an der Grenze zur Militanz“, sagt Helmut Himmler, Bürgermeister der oberpfälzischen Gemeinde Berg.

Der Grund: Jetzt kommen die Stromautobahnen. Riesige Hochspannungsleitungen werden das Land zerteilen. Denn die Windenergie muß von Nord nach Süd gebracht werden. Die Schneise der Trasse ist einen Kilometer breit. Sie führt von Schleswig-Holstein durch Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Hessen nach Bayern.

800 Kilometer mitten durch Deutschland. Anfang Februar haben die Netzbetreiber Tennet und TransnetBW das Projekt erstmals konkret vorgestellt. Die sogenannte „Sued.Link-Trasse“ soll 2022 stehen und den Verlust der Stromerzeugung durch das Abschalten der Kernkraftwerke ersetzen. Allein dieses Projekt wird mehrere Milliarden Euro teuer. Bezahlen dafür werden die Verbraucher, denn die Kosten werden auf den Strompreis umgelegt. Dieser wird also weiter klettern (siehe Infokasten). Doch das ist erst der Anfang.

In den kommenden Jahren werden die Netzbetreiber insgesamt 2.800 Kilometer neue Stromautobahnen durch Deutschland ziehen. Weitere 2.900 bereits vorhandene Kilometer wollen sie gewaltig aufrüsten. Kein Wunder also, daß der Widerstand in den Gebieten, durch die die gigantischen Leitungen mit ihren 60 bis 70 Meter hohen Türmen gespannt werden sollen, zunimmt. Denn wer seinen Grund und Boden nicht freiwillig hergibt für die Kolosse, wird im schlimmsten Fall enteignet. Wer nicht unter schweren Kabeln wohnen möchte, hat Pech gehabt. Wer sich um den Wertverfall seines Grundstückes sorgt, ebenso. Wer nicht den Wald abgeholzt sehen möchte, durch den die Trasse führt, auch.

Allgemeinwohl geht vor Eigennutz, Energiewende vor persönliches Wohlbefinden. Experten warnen bereits jetzt vor einer Enteignungswelle. „Das ist eine ganz andere Dimension des Infrastruktur-Ausbaus, als wir es bisher kennen“, sagte der Berliner Anwalt Peter Durinke gegenüber der Welt am Sonntag.

Geregelt ist das ganze in Artikel 14 des Grundgesetzes. Darin heißt es: „Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen.“ Daß es sich bei Tennet und TransnetBW um Privatunternehmen handelt, ist zweitrangig. Sie handeln in quasi-staatlichem Auftrag. Wieviel Entschädigung den Grundstücksbesitzern zusteht, richtet sich nach gerichtlichen Gutachten.

Die Gefahr von Stromausfällen wächst

Die beiden Unternehmen sorgen sich unterdessen vor allem um die Unterstützung aus der Politik. Nachdem Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) ein Moratorium für den Bau der Trassen gefordert hatte, betonten die Betreiber von Sued.Link bereits die Bedeutung für die wirtschaftliche Versorgungssicherheit Deutschlands. „Die Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Hessen werden im Jahr 2023 rund 30 Prozent ihres Jahresverbrauchs an Strom importieren müssen. Die Windenergie, die den Kernenergiestrom ersetzen soll, wird aber vor allem an den Küsten im Norden produziert.“ SuedLink bilde deswegen das Rückgrat für eine sichere Stromversorgung im Süden Deutschlands und sei die „Grundlage für eine funktionierende Wirtschaft und Gesellschaft“.

Von der Hand zu weisen sind solche Befürchtungen nicht. Immer mehr Windparks werden in Norddeutschland an das Stromnetz angeschlossen. Fehlen die Kapazitäten, um die gewonnene Energie nach Süddeutschland zu transportieren, droht im schlimmsten Fall ein Ungleichgewicht in den Netzen und damit ein Ausfall des Systems. Diese Nachricht ist mittlerweile auch in der Provinz angekommen.

So tobt im niedersächsischen Ochtrup derzeit ein Streit zwischen Anwohnern und Stadtwerken. Viele Bürger hatten sich Solaranlagen auf das Dach gesetzt, die nun allerdings nicht mehr ans Stadtnetz angeschlossen werden können. Die Kapazitäten seien schlicht erreicht, heißt es von den Verantwortlichen.

Der Ausbau des Hochspannungsnetzes betrifft also fast jede Gemeinde. Wenig verwunderlich, daß die Bundesnetzagentur von Stellungnahmen derzeit nur so überhäuft wird. Innerhalb von acht Wochen gingen nach Angaben der für den Ausbau des Stromnetzes verantwortlichen Behörde 7.000 Stellungnahmen ein. Die meisten davon Beschwerden und Widersprüche.

Das Fazit ist eindeutig: „Im Ergebnis wurde bei der diesjährigen Überprüfung der Großteil der Vorhaben bestätigt, die bereits im Bundesbedarfsplangesetz festgeschrieben sind.“ An der allgemein hohen Zustimmung zur Energiewende haben die Probleme um Sued.Link allerdings nichts geändert. Laut dem Umfrageinstitut TNS Infratest sind 68 Prozent der Bürger nach wie vor Fans der Energiewende.

Schaut man aber differenzierter auf die Zahlen, so ergibt sich ein zweigeteiltes Bild: Nur 18 Prozent halten deren Umsetzung und die Maßnahmen der Bundesregierung für gut oder sehr gut. Das heißt: Energiewende ja, aber bitte keine steigenden Strompreise. Doch das eine ist ohne das andere nicht zu haben. Der Traum ist von der Wirklichkeit nicht zu trennen.

 

Entwicklung der Strompreise

Die Ökostrom-Umlage ist seit 2003 um mehr als 1.500 Prozent gestiegen. Sie liegt jetzt bei 6,24 Cent je Kilowattstunde und muß von den Verbrauchern aufgebracht werden. Obwohl die Preise an der Strombörse ständig auf neue Rekordtiefs fallen, zahlt der deutsche Stromkunde Jahr für Jahr mehr.

Seit 2000 erhöhte sich der durchschnittliche Preis für eine Kilowattstunde Strom von 13,94 auf 29,73 Cent für Haushaltskunden – eine Steigerung um 113 Prozent. Ein Ende dieser Entwicklung ist nicht absehbar, denn auch die Kosten des Netzausbaus für die Erneuerbaren Energien werden auf die Stromkunden umgelegt. Andere Länder kennen diese politischen, von der Marktwirtschaft abgekoppelten Tarife höchstens bedingt.

Der durchschnittliche Strompreis lag 2012 in den 27 Staaten der Europäischen Union, also mit Deutschland, für Haushaltskunden bei 18,4 Cent pro Kilowattstunde. Die Deutschen zahlen demnach 61 Prozent mehr für ihre Energie als der durchschnittliche EU-Bürger. Auch in der Schweiz ist der Strom günstiger. (rb)

Foto: Hochspannungsleitung: Der Windstrom von der Küste muß nach Süddeutschland

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen