© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/14 / 21. Februar 2014

Gut gemeint, schlecht gemacht
Entwicklungshilfe: Milliarden Steuergelder verbessern nicht automatisch die Umstände vor Ort, oft begünstigen sie nur Korruption und Mißwirtschaft
Christian Vollradt

Entwicklungshilfe soll den Menschen in den betreffenden Empfängerländern „die Freiheit geben, ohne materielle Not selbstbestimmt und eigenverantwortlich ihr Leben zu gestalten und ihren Kindern eine gute Zukunft zu ermöglichen“, so faßt das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit die Intention deutscher Entwicklungszusammenarbeit zusammen. Für dieses Ziel stellen Deutschlands Steuerzahler pro Jahr über zehn Milliarden Euro zur Verfügung. Der Großteil davon geht auf direktem Weg in 64 Partnerländer. Indirekt werden über Weltbank oder EU weitere 150 Staaten gefördert.

Eigeninitiative wird oft schon im Keim erstickt

Unabhängige Experten bezweifeln jedoch, daß dieses Ziel erreicht wird. Im Gegenteil, sie sehen die Wirkung der Geldflüsse eher als kontraproduktiv. Doch „Kritik an der Entwicklungshilfe galt viele Jahre als politisch inopportun“, so Volker Seitz, ehemals hochrangiger deutscher Diplomat in Afrika und ein Kenner der Materie (siehe Seite 3).

Seitz’ Zweifel am Sinn der Entwicklungshilfe haben in jüngerer Vergangenheit mit Dambisa Moyo (JF 2/13) und James Shikwati ausgerechnet zwei aus Afrika stammende Ökonomen geteilt. Ihre in etwa gleichen Argumente: Die Zahlungen aus den reichen Staaten des Nordens und Westens helfen nicht den Armen in den Empfängerländern, sondern nur den dortigen korrupten Eliten sowie der aufgeblähten Hilfsindustrie in den Geberstaaten. Deren gemeinsames eigennütziges Interesse besteht darin, daß alles im wesentlichen so bleibt wie es ist. Damit die Gelder weiter fließen, muß die Armut aufrechterhalten werden, so der zynische Zirkelschluß. In erster Linie halte Entwicklungshilfe die Empfänger davon ab, Eigeninitiative zu zeigen, das Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

Auch eine andere der theoretischen Begründungen für den Sinn von Entwicklungshilfe wird in der Praxis widerlegt. Vor allem die, wonach man mit ihr Fluchtursachen und somit ungeregelte Einwanderung verhindern könne. Dieser Theorie liegt die Annahme zugrunde, daß Flüchtlingsbewegungen durch sogenannte Push- und Pull-Faktoren ausgelöst werden.

Push-Faktoren, die die Leute aus ihrem Land vertreiben, sind zum Beispiel Kriege oder Bürgerkriege, aber auch Rechtsunsicherheit sowie vor allem Armut und hohe Arbeitslosigkeit. Zu ihnen gesellen sich die Pull-Faktoren, welche ein Zielland anziehend machen: Frieden, wirtschaftliche Prosperität und hohe Löhne sowie ein funktionierendes Bildungs-, Gesundheits- und vor allem Sozialsystem.

Die Schlußfolgerung lautet also, daß mit finanzieller Hilfe die Lage in den Herkunftsländern so weit verbessert wird, um den Anreiz für Emigration abzubauen. Nach dem Motto: Geht es den Menschen besser, wollen sie nicht mehr zu uns.

Allerdings funktioniert die Praxis nicht so einfach wie diese Theorie. Denn Entwicklungshilfe verbessert nicht automatisch die Lebensumstände der Menschen in den betroffenen Ländern, meistens verfestigt sie nur die Mißstände, etwa Mißwirtschaft und Korruption.

Im übrigen würde selbst eine immens aufgestockte Hilfe die Lage in den Entwicklungsländern nicht in absehbarer Zeit auf das gleiche Niveau wie in den reichen Ländern des Nordens anheben können. Schließlich ist das Geld auch auf zu viele Empfängerstaaten verteilt, als daß ein Land wie Deutschland – selbst im Verbund mit anderen EU-Partnern – einen bestimmenden Einfluß nehmen könnte.

Entwicklungshilfe kann Emigration nicht stoppen

Vor allem aber ist es ein Irrglaube, daß eine Verbesserung der Lebensverhältnisse automatisch zu weniger Auswanderung führt. Auswandern ist teuer, zumal wenn Schleuser mitverdienen wollen und daher bezahlt werden müssen. Die Erfahrung zeigt, daß gerade nicht die Ärmsten der Armen ein Land verlassen (weil sie sich das gar nicht leisten können), sondern eher Angehörige der unteren Mittelschicht. Wächst diese Schicht, weil tatsächlich einzelne Entwicklungsprojekte mal Erfolge zeitigen, etwa bei schulischer oder beruflicher Bildung, dann steigt auch das Potential auswanderungsfähiger Menschen.

Wissenschaftler der Universität Oxford haben nachgewiesen, daß die Emigration in Ländern mit zunehmender Entwicklung gerade steigt – zumindest bis sie ein mittleres Einkommensniveau erreicht haben, erst danach läßt der Wunsch zu gehen nach.

Wie wenig Entwicklungshilfe die Flüchtlingsströme beeinflussen kann, belegt auch die Gegenüberstellung mit der Asylstatistik. Ausgehend von der Tatsache, daß viele Asylbewerber in Wahrheit nicht aus politischen, sondern wirtschaftlichen Motiven nach Deutschland kommen, ist offenkundig, daß es nicht die Armenhäuser der Welt sind, aus denen die meisten zu uns flüchten.

Unter den zehn Hauptherkunftsländern befinden sich Serbien, Mazedonien, Bosnien-Herzegowina, Rußland, das Kosovo und Albanien; allesamt zwar mit einem geringeren Wohlstandsniveau, jedoch keine Entwicklungsländer. Wobei Serbien und Bosnien sogar Entwicklungshilfe aus Deutschland bekommen. Genau wie Afghanistan, das an zweiter Stelle in der Rangfolge der Empfängerstaaten deutscher Hilfe steht, genauso wie es auf Platz vier der Herkunftsländer der Asylbewerber rangiert.

Nur zwei unter diesen zehn Hauptherkunftsländern – Somalia und Eritrea – gehören in die Kategorie Ärmste der Armen. Gerade sie erhalten aber keine staatliche Entwicklungshilfe aus Deutschland. Somalia nicht mehr, weil das Land ein gescheiterter Staat ohne Struktur, quasi ohne Ansprechpartner und zudem hochgefährlich ist, Eritrea seit 2008 nicht mehr, weil das dortige diktatorische Regime extrem restriktive Bedingungen für die Entwicklungszusammenarbeit stellt.

Interessanterweise verfolgen dagegen die Chinesen einen ganz anderen Ansatz auf dem Schwarzen Kontinent. China investiert dort Milliarden in Infrastrukturprojekte, steht aber ganz offen dazu, dies nicht aus moralischer Verantwortung, sondern zur wirtschaflichen Interessenwahrung (Stichwort: Rohstoffe) und politischen Einflußnahme zu tun. Wohltätigkeitskritiker Shikwati sieht darin den Vorteil, daß die Entwicklungsländer in dem Fall nicht als Almosenempfänger, sondern Handelspartner aufträten. Nebenbei sei erwähnt, daß China bis 2010 an erster Stelle unter den Empfängerstaaten deutscher Entwicklungshilfe stand.

Foto: Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) in Indien: Mit 1,1 Milliarden Euro ist das Land größter Empfänger deutscher Entwicklungshilfe

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