© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/14 / 21. Februar 2014

Napoleon der Kunsträuber
Die siegreichen Franzosen schafften Europas Schätze in professioneller Manier nach Paris
Karl-Heinz Schuck

Kunstraub in der Folge kriegerischer Auseinandersetzungen ist kein Phänomen der Moderne. Jedoch ging es bis zum Ende des 18. Jahrhunderts zumeist darum, dem Gegner damit eine Schmach zuzufügen oder Kriegsbeute zu machen. Historische Beispiele sind in der Antike die Verbringung griechischer Kunstwerke nach Rom, im Mittelalter der Kunstraub aus Glaubensgründen durch die Kreuzfahrer, die als Sieger Rechte auf den Besitz der Ungläubigen sahen, in der Neuzeit das Plündern und Vereinnahmen von Kunstwerken im Dreißigjährigen Krieg, die von Soldaten gezwungenermaßen gegen Nahrungsmittel eingetauscht wurden.

Der großangelegte, ideologisch motivierte und staatlich organisierte Kunstraub in eroberten Ländern, wie er infolge des Zweiten Weltkrieges durch ungelöste Rückgaberegelungen auch heute noch zwischenstaatliche Beziehungen belastet, begann erstmals im Zeitalter der Französischen Revolution und der Napoleonischen Kriege.

Insbesondere aus deutscher Sicht dürfte das Thema der systematisch nach Frankreich verbrachten Beutekunst von besonderem Interesse sein. Wie nach Ende der Napoleonischen Ära die Restitution der geraubten Kunstwerke durchgeführt wurde, welche Positionen die französische und die alliierte Seite dabei einnahmen und welche theologisch-ethischen und philosophischen Argumente die Rückgabe von Beutekunst grundsätzlich begründen oder verneinen können, könnte sogar Anregungen auf aktuelle Fragen von Restitution geraubter Kunstgegenstände aus dem Zweiten Weltkrieg geben.

In allen Ländern, die französische Truppen Anfang des 19. Jahrhunderts eroberten, wurden systematisch Kunstwerke geraubt. Anders als in einigen Pariser Stadtführern verbreitet, gehört ausgerechnet der „Obelisk von Luxor“ auf dem zentralen Place de la Concorde nicht dazu. Den hat nicht Napoleon bei seinem Ägyptenfeldzug (1799–1801) erbeutet, sondern kam als Geschenk Muhammad Ali Paschas 1837 an die Seine. Aus den deutschen Staaten wurden neben großen Mengen an Büchern, Drucken, Statuen, Büsten, Münzen, Schmuck, Gemmen nach Frankreich verbracht:

l aus Kassel 345 Gemälde

l aus Braunschweig 278 Gemälde

l aus Schwerin 209 Gemälde

l aus Potsdam 116 Gemälde

l aus München, Nürnberg und Augsburg 72 Gemälde.

Besonderes Augenmerk dürfte dabei verdienen, wie und von wem dieser Kunstraub für das Musée Napoléon organisiert wurde, welche Standpunkte nach dem Ende der Herrschaft Napoleons bezüglich Verbleib und Rückgabe aufeinandertrafen und wie schließlich die Rückführung durchgeführt wurde.

Das systematische Zusammentragen von Kunst aus fremdem Besitz nahm nach der Revolution in Frankreich seinen Anfang mit der Beschlagnahme und Verstaatlichung des Eigentums der königlichen Familie, der Kirchen und der émigrés. Der vom französischen Staat organisierte Kunstraub in anderen Ländern begann 1794 durch Kunstsachverständige, die den französischen Truppen in die Österreichischen Niederlande folgten und mit System Kunstwerke aufspürten und abtransportieren ließen.Dieser Raubzug wurde in den Folgejahren in Italien, Ägypten und Spanien zwischen 1796 und 1812 fortgesetzt. Deutschland und Österreich wurden zwischen 1794 und 1809 in Folge der französischen Feldzüge ebenfalls mehrfach beraubt.

Paris als „Zentrum allen Kulturbesitzes“ definiert

Die Eroberung von Kunstwerken wurde ebenso sorgfältig organisiert wie die militärischen Unternehmungen. Um einen rechtmäßigen Anschein zu gewährleisten, fand Napoleon das Mittel, in besonderen Klauseln der Waffenstillstands- und Friedensbedingungen die Auslieferung von Kunstwerken aufzunehmen, welche auch auf die zu zahlenden Kriegskontributionen angerechnet wurden.

Der Kunstraub erfuhr eine zunehmende Professionalisierung. So wurde 1800 mit François-Marie Neveu ein für Deutschland zuständiger Regierungskommissar für Wissenschaft und Künste ernannt, der den Auftrag hatte, die Siege der Armee zur Aneignung von Kunstwerken zu nutzen.

Bereits ab 1798 begleitete Dominique-Vivant Denon (1747–1825) den späteren Kaiser Napoleon auf fast allen Feldzügen mit der Aufgabe, in den eroberten Gebieten Kunst auszuwählen. 1802 wurde er zum Direktor des Musée central des arts (später Musée Napoléon) ernannt und somit im Prinzip inoffizieller Minister der Künste. Denon wurde zum gefürchtetsten Mann in der europäischen Kunstwelt und erwarb sich den Namen „Einpacker“. Bei der Beschlagnahme von Manuskripten und Druckwerken agierte er eher lustlos, in Galerien und Museen dafür mit großer Energie. Die von ihm durchgeführten Kunstraubkampagnen waren die für Frankreich fruchtbarsten und führten ab 1814 auch zu den lebhaftesten Rückgabeforderungen.

Das revolutionäre Frankreich ging sehr schnell dazu über, den von ihm begangenen Kunstraub zu begründen. Bereits 1794 wurde Paris durch den „Ausschuß für Volksbildung“ als Zentrum allen Kulturbesitzes bezeichnet. Napoleon griff diesen Gedanken während seines Italienfeldzuges 1796 auf und argumentierte, daß Kunst nach Frankreich gehöre, da Paris das künftige Kulturzentrum sei.

War es zunächst im Rahmen der revolutionären Ideologie Ziel, die Kunstwerke vom Joch der Tyrannen zu befreien und durch Verschickung nach Frankreich ins Leben zurückkehren zu lassen, sah man später auch ein Eroberungsrecht im Namen der Bildung. Unter Denon wurde der Kunstraub auch damit legitimiert, Sammlungen in Paris zu vervollständigen und dem Ideal enzyklopädischer Vollständigkeit nahe zu kommen; ebenso damit, daß nur so in Kriegszeiten die Kunstwerke geschützt werden könnten.

Nach der Kapitulation Frankreichs verfügte König Ludwig XVIII. zunächst die Rückgabe eines sehr geringen Teils der Beutekunst. Dies geschah wohl auch auf Drängen des preußischen Gesandten, der an Deutschlands Opfer für die Restauration der Bourbonen-Monarchie erinnerte. Im Juni 1814 erklärte der Monarch jedoch, daß die erbeuteten Meisterwerke der Kunst von nun an zu Frankreich gehörten – aufgrund von Rechten, die beständiger als die der Sieger seien. Um den französischen König innenpolitisch nicht zu schwächen, gingen die Alliierten sehr behutsam vor, und vor allem die deutsche Seite verlegte sich zunächst mit Expertenhilfe auf das vorbereitende Lokalisieren und Identifizieren, dabei auf abschließende diplomatische Regelungen wartend. Denon glaubte seinen Museumsbesitz zunächst gesichert, da er von der Legalität der verschiedenen Friedensverträge überzeugt war. Die französische Seite argumentierte auch, daß man mit Kunstwerken besser umgehe als die Vorbesitzer und sie auch restaurativ besser als in ihrer alten Heimat behandeln könne.

Preußisches Militär besorgte Rückholung des Raubguts

Auf deutscher Seite allerdings hielt man dieses Argument für wenig stichhaltig und sah eher die Kunstwerke im Pariser Louvre zu oft feuchter Luft und Nebel der Seine ausgesetzt und befürchtete, sie seien eher schlecht gelagert. Die Presse wies in dieser Zeit nachdrücklich darauf hin, daß in einem Friedensvertrag notwendig Klauseln über die Restitution aller geraubten europäischen Kunstwerke einzufügen seien; eine Rückgabe wurde auch generell als gerecht empfunden.

Das von den Franzosen selbst aufgestellte Recht des Sieges sprach deutlich für die Auslieferung der Kunstwerke. Nach der Vertreibung Napoleons mußten die Schätze also zurückkehren. Man forderte mehr Vaterlandsliebe anstatt kosmopolitischer Gefühle – die Auffassung, Kunst gehöre einem höheren Vaterland als dem politischen an, wurde als Volksverrat bezeichnet. Die öffentliche Meinung in Deutschland bildete sich dahin aus, daß Kunstgegenstände unveräußerliches Volkseigentum seien. Kunst könne nur zur Geltung kommen, wenn sie in heimatlichen Plätzen anzuschauen sei.

Waren die alliierten Sieger zunächst eher versöhnlich gestimmt und spielte die Beutekunst keine Rolle in den Verhandlungen, änderte sich dies nach Napoleons Herrschaft der hundert Tage und der Schlacht von Waterloo. Um die nach seiner Meinung laschen und inkompetenten Diplomaten herauszuhalten, brachte das preußische Militär seine Forderungen unter Androhung militärischer Gewalt vor, um weiteren Hinhaltetaktiken vorzubeugen und schnell eine unumkehrbare Lage zu schaffen.

Von Juni bis November 1815 wurden die deutschen Gemälde aus den Museen herausgeholt, wobei sich das Personal hinhaltend verhielt und sich nur unter Druck den Fakten beugte. Bis August 1815 sammelten sich auch die Bevollmächtigten der anderen betroffenen Länder in Paris, um ihre Werke einzufordern. Ende September erklärte die alliierte Seite ausdrücklich, daß alle Klauseln der französischen Friedensverträge, die Beutekunst beinhalteten, als nichtig zu betrachten seien. Bis 15. November 1815 sollten die Rückgaben erledigt werden.

Allerdings wurden längst nicht alle geraubten Kunstwerke wieder aufgefunden. Der französische Innenminister Jean-Antoine Chaptal ersann 1801 eine Lösung, die übervollen Depots der Hauptstadt zu räumen und ordnete in seinem „Décret Chaptal“ die Gründung von 15 Museen in Provinzhauptstädten an, die von Paris aus mit Kunstwerken versorgt werden sollten. Am 27. September 1815 erging ein Schreiben an die jeweils zuständigen Präfekten und Städte, die bis 1811 aus Paris zugeteilten Bilder dorthin zurückzuschicken – jedoch wurden Rückgaben oft zäh und listenreich vereitelt.

Darüber hinaus waren viele Werke zwischenzeitlich in fremde Hände wie zum Beispiel an Kaiserin Joséphine und verschiedene Generäle Napoleons sowie Günstlinge des Hofes gelangt, oder man hatte schlicht den Überblick über die Lagerorte der Beute verloren. Dieses Raubgut befindet sich wohl heute noch in Frankreich.

Foto: René Berthon, „Napoleon empfängt die Abgeordneten des Berliner Senats am 19. November 1806 im Stadtschloß“, Öl auf Leiwand 1808: Französische Kunstsachverständige durchkämmten im Schlepptau der siegreichen Truppen Napoleons die europäischen Schlösser und Museen

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