© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/14 / 21. Februar 2014

Der Feind aus dem Blickwinkel eines Schöngeistes
Martin Mosebachs Marbacher Reflexionen „gelegentlich“ einer Schmitt-Tagung in der aktuellen Ausgabe der Literaturzeitschrift „Sinn und Form“
Markus Heubner

Auch wer wenig über Carl Schmitt weiß, ordnet ihm mühelos die Urheberschaft der scheinbar banalen Bestimmung des Politischen als Freund-Feind-Beziehung zu. Was lag darum näher, als im Juli 2013, zum 125. Geburtstag des Staatsrechtlers, eine Marbacher Tagung mit einem Abendvortrag zum Thema „Der Feind“ zu krönen. Dafür auserkoren war der Büchnerpreisträger Martin Mosebach.

Was dem illustren Redner einfiel, liegt nun gedruckt vor (Sinn und Form, 1/2014). Er startet furios, fragt keck, warum Schmitts Definition überhaupt derart Sensation gemacht habe. Könne politische Theorie auf Feindschaft doch getrost verzichten, weil nur der wirklich politisch handle, der sich alle Optionen offenhalte, wer im Feind von heute bereits den Verbündeten von morgen sehe. Aber den so schwunghaft einsetzenden Kritiker erfaßt schnell Angst vor der eigenen Courage. Läßt sich Schmitts „totale“ Feindschaft auch so simpel negieren oder als Phänomen auf die „Entgleisung politischer Abenteurer“ reduzieren? Fragen, die Mosebach mit dem „Riesenkomplex ‘Feindschaft’“ konfrontieren und sogleich zum Rückzug auf seine Kompetenz als Erzähler führen, dem Theorie ohnehin fremd sei. So wolle er sich der Sache lieber auf „höchst impressionistische Weise“ nähern und in Bildern primär Zusammenhänge betrachten, „in denen Feindschaft fruchtbar war“.

Was meint fruchtbare Feindschaft? Im ersten Bild, einem Schnappschuß vom indischen Subkontinent mit 2000jähriger Geschichte unablässiger Kriege, bleibt sie unauffindbar. Im zweiten, das die „agonale Kultur“ der Antike skizziert, wird sie sichtbarer. Die Ära der „Ausräuberungskriege“ griechischer Kleinstaaten fiel zusammen mit der „noch heute unfaßbaren Blüte“ von Dichtung, Philosophie und Kunst. Es bestand offenbar ein Konnex zwischen der Schaffung „unüberbietbarer Schönheit und unüberbietbarer Grausamkeit“. Daß die Intensität des Lebens in kriegerischen Zeiten regelmäßig fruchtbare kulturelle Folgen hat, diese Einsicht ist freilich nur eine Variation des Gemeinplatzes vom Krieg als dem Vater aller Dinge.

Das dritte, „Die Feindschaft Parzivals“, und vierte Bild, Justus Mösers „Lob des Faustrechts“ gewidmet, gewinnen ihre Konturen aus Schmitts Unterscheidung zwischen der alteuropäischen Völkerrechtsepoche gehegter Kriege mit ihren parzivalischen Manieren, an deren „Ritterlichkeitsresten“ man bis in den Zweiten Weltkrieg hinein festhielt, und aus der auf „Ausrottung“ fixierten Totalisierung des Krieges im Zeitalter der Massen nach 1789. Mit dem Terror gegen die Zivilbevölkerung verschwand das ehrwürdige Institut der Haager Landkriegsordnung im 20. Jahrhundert endgültig in der Rumpelkammer der Rechtsaltertümer.

Abgesehen davon, daß hier die destruktiven die „fruchtbaren“ Elemente der Feindschaft vollständig verdecken, sind diese historischen Exkurse wenig originell. Aber richtig unerheblich ist dann die Schmitts Panorama aus Völkerrechtsgeschichte und politischer Theologie noch angefügte Facette von Mose-bachs fünftem, bei Götz Aly entliehenem Bild, das die Tötung von 240 Psychiatrie-Patientinnen an der Ostfront 1942 als Resultat eines „nihilistischen Pragmatismus“ begreift. Und ins fast Triviale entgleitet das Schlußbild über die „Feindschaft in nuce“, deren Zeuge der Romancier während eines neapolitanischen Arbeitsurlaubs wurde.

Neue Einsichten zu Schmitts Politikbegriff sind diesem Vortrag kaum abzugewinnen. Denn den Rückzug ins Impressionistische bezahlt Mosebach mit Realitätstrübungen. Kein Wunder, war für den großen Plettenberger Impressionismus soviel wie „Occasionalismus“, das Zentrum romantischen Lebensgefühls, dem alles Reale nur „Gelegenheit“ ist, die Welt in Stimmung und Phantasie, nicht aber durch eingreifende Tätigkeit zu verändern. Der „Feind“ ist Mosebach daher lediglich Anlaß zu museal-ästhetizistischen Betrachtungen eines Unpolitischen.

www.sinn-und-form.de

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