© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/14 / 21. Februar 2014

Kampf um die Ideale der Staatsgründer
Peter Beinart sieht den Zionismus in der Krise und übt Kritik an der US-amerikanischen Israel-Lobby
Michael Wiesberg

Peter Beinarts Buch „The Crisis of Zionism“ sorgte im März 2012 in den USA, etwa vor etwa anderthalb Jahre vor der Veröffentlichung der deutschen Übersetzung, insbesondere unter dortigen Juden und den sehr agilen jüdischen Organisationen für eine kontroverse Debatte. Beinart prangert prozionistische Lobby-Organisationen wie Aipac oder die Anti Defamation League für ihre kritiklose Unterstützung der Regierung Netanjahu an. Diese stehe mit ihrer illegalen Siedlungspolitik, der Fortsetzung der seit 1967 andauernden Besetzung palästinensischen Landes sowie der Mißachtung der Menschenrechte der Palästinenser und des Völkerrechts einer Friedenslösung im Nahen Osten entgegen.

Besonders schrill dürfte vielen Vertretern der „Israel-Lobby“ die Feststellung im Ohr geklungen haben, daß nicht mehr die Schwäche Israels das Problem sei, sondern der verantwortungsvolle Umgang mit seiner Stärke. Derartige Kritik wird in den USA, aber auch in Westeuropa bestenfalls hinter vorgehaltener Hand geäußert. Wer sie öffentlich macht – man denke zum Beispiel an den Politikwissenschaftler Norman Finkelstein –, muß unter Umständen mit seiner öffentlichen Demontage, ja sozialen Isolierung rechnen. Deren Mechanismen ähneln sich in der Regel: Eine inhaltliche Auseinandersetzung wird weitgehend vermieden, dafür wird der Autor mit Verdächtigungen und Angriffen auf seine Person konfrontiert. So geschah es auch im Fall Beinart. Ihm wurde unter anderem übersteigerter Ehrgeiz, Selbstgerechtigkeit und anderes mehr unterstellt.

Bemerkenswert an dem „Häretiker“ Beinart ist, daß er sich selbst als liberalen Zionisten bezeichnet. Der 1971 geborene Politikwissenschaftler und Journalist bekennt, daß ein Video, in dem zu sehen ist, wie ein palästinensischer Junge gewaltsam von seinem Vater getrennt wird, der dann in einem Gefangenentransporter fortgebracht wird, bei ihm ein grundsätzliches Umdenken ausgelöst habe. Für Beinart entehren Vorgänge wie diese die Ideale der israelischen Staatsgründung. Diese Ideale bauten auf der sozialen und politischen Gleichberechtigung aller Bürger auf.

Israel hat die Wahl zwischen Apartheid oder Selbstmord

Deshalb ist die jüdische Siedlungs- und Besatzungspolitik für ihn der Dreh- und Angelpunkt der Zukunft Israels. Wie kann es, so seine Frage, bei gut 300.000 jüdischen Siedlern im Westjordanland und gut 200.000 in Ostjerusalem einen Palästinenserstaat geben? Kommt es indes nicht zu einem Palästinenserstaat und bleibt das Westjordanland besetzt, dann drohe ein jüdischer Staat „auf der Grundlage der Apartheid“. Orientiert sich Israel aber an den Idealen seiner Staatsgründer und gewährt den Palästinensern in seinen Staatsgebiet alle Bürgerrechte, dann begehe der jüdische Staat „Selbstmord“, weil die jüdische Mehrheit im Staat sukzessive abnehmen werde.

Bekanntlich sind bisher alle Versuche gescheitert, zumindest zu einem Siedlungsstopp zu kommen. In diesem Zusammenhang fokussiert Beinart insbesondere die Versuche von US-Präsident Obama, zu einem Stopp der völkerrechtswidrigen Siedlungspolitik zu gelangen. Israels Ministerpräsident Netanjahu machte nicht nur unmißverständlich klar, daß er in dieser Frage letztlich zu keinerlei Zugeständnissen bereit sei, sondern stellte Obama auch öffentlich bloß.

Beinart läßt keinerlei Zweifel daran aufkommen, daß er in Netanjahu und den jüdischen Lobby-Organisationen in den USA die wesentlichen Faktoren für den von ihm als krisenhaft diagnostizierten Zustand Israels sieht. Diese hätten die liberal-zionistischen Ideale aufgegeben und seien auf einen Kurs eingeschwenkt, der nicht mehr die Mehrheit der US-Juden repräsentiere. Ihren Einfluß sicherten sie mit einer starken Lobbyarbeit in Washington ab, der Oba-ma immer wieder zu Konzessionen gegenüber der Regierung Netanjahu zwinge. Die diesbezüglichen Ausführungen Beinarts zeigen nebenbei, wie einflußreich die Israel-Lobby in den USA ist. Zu erinnern sei in diesem Zusammenhang unter anderem an die Kontroversen um die diesbezüglichen Thesen der beiden US-Politikwissenschaftler Mears-heimer und Walt, bei denen versucht wurde, diesen Einfluß herunterzureden oder die Kritik daran gleich als Antisemitismus zu geißeln.

Wenig überzeugend indes sind die Vorschläge, die Beinart unterbreitet, um der von ihm beklagten Entwicklung Israels etwas entgegenzusetzen. So ruft er zum Beispiel zum Boykott israelischer Waren auf, die im Westjordanland (dem „undemokratischen“ Israel) hergestellt werden. Wenn er dann im Gegenzug empfiehlt, verstärkt Waren aus dem eigentlichen Israel zu kaufen, verlangt er die Quadratur des Kreises, denn die Unternehmen, die in den besetzten Gebieten tätig sind, sind cum grano salis dieselben, die auch in Israel selbst ansässig sind.

Viele werden aber auch noch aus einem anderen Grund für die Einwürfe Beinarts nur ein Achselzucken übrig haben. Wo ist denn etwas von einer Krise des Zionismus spürbar? Ist es nicht vielmehr so, daß Israel unter Benjamin Netanjahu, der sich sogar erlauben kann, Obama in die Schranken zu verweisen, stärker denn je dasteht? Wo zeigt sich die abnehmende Identifikation US-amerikanischer Juden mit dem Staat Israel? Hat Israel in den letzten Jahren irgendwelche außenpolitischen Nachteile aufgrund seiner Politik hinnehmen müssen? Die Antworten auf diese Fragen sprechen aus Sicht der Kritiker klar gegen Beinarts Forderungen. Ja mehr noch, würde man ihnen folgen, könnten diese die Lage eher verkomplizieren.

Beinart mag eine scharfe, gut recherchierte Analyse vorlegt haben, deren Appelle bedenkenswert sind. Im Endeffekt bestätigt sein Buch aber nur einmal mehr, daß Papier geduldig ist. Derzeit spricht nämlich alles dafür, daß das Israel Benjamin Netanjahus die bisher beschrittene Linie kompromißlos weitergehen kann. Dies auch deshalb, weil Kritiker wie Beinart bestenfalls Einzelstimmen bleiben, die im Gezeter öffentlicher Meinungsbildung leicht übertönt werden können.

Peter Beinart: Die amerikanischen Juden und Israel: Was falsch läuft. Aus dem Englischen von Stephan Gebauer. Verlag C. H. Beck, München 2013, gebunden, 320 Seiten, 24,95 Euro

Foto: Präsident Obama unterzeichnet US-israelisches Sicherheitsabkommen im Beisein wichtiger jüdischer Lobbyvertreter: Großer Einfluß

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen