© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/14 / 07. März 2014

Nervenkrieg auf der Krim
Mit dem Aufmarsch russischer Truppen demonstriert Präsident Putin, daß eine Lösung der ukrainischen Frage nicht an Moskau vorbei möglich ist
Günther Deschner

Täglich spitzt sich die Lage in der Ukraine weiter zu – und noch ist kein Ende der Eskalation abzusehen. Rußland verstärkt seine militärische Präsenz im Schwarzen Meer, auf der Halbinsel Krim und im Hafen Sewastopol, die Ukraine versetzt ihr Militär in Bereitschaft. EU und Amerikaner machen Moskau massive Vorwürfe, monieren „eine Verletzung des Völkerrechts“ und drohen mit einem „Ausschluß aus der G8-Gruppe“, dem Kreis der führenden Industriestaaten. Schon titelt Amerikas führendes Geostrategie-Magazin: „Die Ukraine und der kleine Kalte Krieg“.

Andere prominente westliche Stimmen stellen aber auch selbstkritische Fragen: „Von Rußland zu verlangen, sich abstinent gegen politische Entwicklungen im Nachbarland Ukraine zu verhalten, wäre das nicht so, wie wenn Rußland versuchen würde, Mexiko dem Einflußbereich der USA zu entziehen?“ Mit diesem Vergleich versucht etwa der amerikanische Rußland-Experte Gordon Hahn, die Krise aus russischer Sicht zu verdeutlichen. Natürlich hinkt der Vergleich: Rußland ist anders als die USA keine Supermacht mehr, hat nicht mehr die Möglichkeit, weltweit Macht und Einfluß nach eigenem Gutdünken auszuüben.

Dennoch erhebt Rußland als „größter Nachfolgestaat der Sowjetunion“, als regionale Großmacht, weiterhin einen Anspruch auf eine „russische Einflußzone“ in benachbarten ehemaligen Sowjetrepubliken: Rußland ist mit diesen Ländern historisch, kulturell und wirtschaftlich eng verbunden. Rund 70 Prozent der russischen Gas- und Ölexporte werden durch die Ukraine geleitet, 90 Prozent der russischen Lieferungen sind für Europa, auch für Deutschland, bestimmt. Dazu kommt, daß Millionen Russen in den ehemaligen Sowjetrepubliken leben, die Moskau als „nahes Ausland“ bezeichnet. Gerade diese neuen Staaten versuchte Amerika verstärkt unter seinen Einfluß zu bringen.

Am heftigsten umstritten sind die geopolitisch exponierten Staaten Ukraine und Georgien. Im Westen glaubt man, so wie Moskau 2008 in Georgien militärisch interveniert habe, genauso werde es nun auch auf die Krise in der Ukraine reagieren. Ein Rückblick auf Rußlands Politik gegenüber Georgien zeigt aber eine andere Faktenlage. Es war der damalige georgische Präsident Saakaschwili, der im Vertrauen darauf, von Washington unterstützt zu werden, den Konflikt mit Moskau suchte. Saakaschwili glaubte, so könne er eine Intervention der Nato im Südkaukasus provozieren und auf diesem Weg Georgien sowie die weiteren möglichen Aufnahme-Kandidaten Ukraine und Moldawien in die Nato hineinmanövrieren. Saakaschwilis Strategie endete mit einer Niederlage. Moskau hingegen intervenierte in einem potentiellen Nato-Mitgliedsstaat, ohne daß die Nato reagieren konnte.

Für Putin war der fünftägige „Blitzkrieg“ eine prägende Erfahrung. Ein Jahr zuvor hatte er auf der Münchner Sicherheitskonferenz die dort versammelten Politiker und Militärexperten daran erinnert, wie viele Zugeständnisse Rußland seit dem Ende des Kalten Krieges – mehr oder weniger alternativlos – dem Westen gemacht hatte. Es war eine beeindruckende Liste: Auflösung des Warschauer Paktes, Rückzug der sowjetischen Truppen, Zustimmung zu einem wiedervereinigten Deutschland, das als Ganzes in die Nato aufgenommen wurde. Als Gegenleistung werde die Nato „keinen Zentimeter“ weiter nach Osten vorrücken, das sei damals Moskau versprochen worden. Kaum ein Jahrzehnt nach der Auflösung des Warschauer Paktes hatte die Nato jedoch begonnen, einen der ehemaligen Satellitenstaaten der Sowjetunion nach dem andern aufzunehmen.

Selbst Michail Gorbatschow, politisch ein anderes Naturell als Putin, resümierte in seinen Memoiren verbittert: „Washington dachte damals, daß es uns als Konkurrenten nun gar nicht mehr gibt und daß es sich alles leisten kann.“ Das Mißtrauen gegen die politischen Ziele Amerikas, der „einzig verbliebenen Supermacht“, sitzt seither tief. 2008, als der ukrainische Präsident Juschtschenko sein Land in die Nato führen wollte, beschwor der frühere russische Regierungschef Gaidar, ein liberaler Reformer, den Westen: „Wer die Ukraine in der Nato sehen will, übersieht, daß Rußland damit im Ernstfall nicht mehr verteidigungsfähig ist.“

Die Krise stellt sich am deutlichsten auf der Halbinsel Krim dar, wo die Mehrheit eher pro-russisch, der Widerstand gegen die neuen Machthaber in Kiew am stärksten ist. Bemerkenswert ist, daß jetzt der ehemalige US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski daran erinnert, daß die Krim seit Jahrhunderten zu Rußland gehöre.

Er hatte einst die These vertreten, nur wenn es dem Westen gelinge, die Ukraine auf seine Seite zu ziehen, könne er verhindern, daß Rußland wieder als „neues Imperium“ auferstehe. Jetzt gibt sich der Geopolitiker weniger ideologisch. Die Krim sei nur durch eine „Schenkung“ des aus der Ukraine stammenden Kreml-Chefs Chruschtschow 1954 an die Ukraine gefallen. Aktuell sieht Brzezinski hingegen folgendes Szenario: „Die Krim trennt sich von Kiew und verbündet sich mit Moskau. Die neue ukrainische Regierung kann nicht viel dagegen tun.“ Und der Ukraine schlug er jüngst vor, sie solle ihren Platz auf der politischen Landkarte Europas nach finnischem Vorbild einnehmen – in ihrem Gesellschaftsmodell nach Westen orientiert, sich niemals jedoch an militärischen Bündnissen gegen Rußland beteiligen.

In dieser verfahrenen und undurchsichtigen Situation hätte Deutschland, das mit beiden Konfliktpartnern durch vitale wirtschaftliche Interessen verbunden ist, die Chance, als ehrlicher Makler aufzutreten. Bundesaußenminister Steinmeier hat Präsident Putin vorgeschlagen, eine Kontaktgruppe zur Lösung der Krise zu bilden, und der Vorschlag wurde offensichtlich angenommen. Gelingt die Rückkehr zur Diplomatie und eine Lösung ohne Waffengewalt, wäre dies auch ein wichtiger Erfolg für Deutschland, das so seiner Rolle als Vermittler und Stabilisierer in Europa gerecht werden könnte.

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