© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/14 / 07. März 2014

„Dahinter steckt ein Kulturkampf“
Er ist der Mann, der es allein mit Facebook aufnimmt. Max Schrems wollte nicht hinnehmen, daß der Internet-Gigant unsere Daten sammelt und hat ihn verklagt. Sein Projekt, das international Schlagzeilen machte, nennt er „Europe vs. Facebook“.
Moritz Schwarz

Herr Schrems, wie sind Sie bitte auf die Idee gekommen, Facebook zu verklagen?

Schrems: Auf dem Papier haben wir in Europa ein gutes Datenschutzrecht – ich wollte mal den Praxistest machen.

Ihr Ergebnis?

Schrems: Ich bin Jurist, spreche fließend Englisch, habe mich jahrelang eingelesen, habe etwa 50.000 Euro Spendengelder als Sicherheit gesammelt und prozessiere seit drei Jahren; mit überschaubarem Erfolg. Und jetzt stellen Sie sich mal vor, ein „normaler“ Bürger würde klagen ...

Aber Facebook betont, sich bezüglich des Datenschutzes absolut korrekt zu verhalten.

Schrems: Ja, was sollen sie auch sonst sagen. Die Juristen, die in den USA dafür zuständig sind, haben aber weder viel Ahnung noch großen Respekt vor den europäischen Gesetzen. In den USA wird sehr klar gesagt, daß man die Datenschutzgesetze ohnehin brechen kann und nichts passiert.

Sie haben daraufhin von Facebook Ihre Daten verlangt – geht das so einfach?

Schrems: Natürlich nicht, erst wollten sie nichts rausrücken. Es bedurfte 22 E-Mails, bis einer den Fehler machte, mir meine Daten zu schicken. Bis heute habe ich nicht alle. Aber wenn man das, was sie mir schickten, auf DIN-A-4-Papier ausdrucken würde, ergäbe das einen Stapel von 1.200 Seiten! Und dabei poste ich vielleicht einmal die Woche etwas bei Facebook, bin also kein „heavy user“, kein Dauernutzer. Und doch kam schon bei mir ein solcher Berg zusammen.

Gut, aber wenn Sie all die Daten dort eingegeben haben, ist das doch Ihre Schuld.

Schrems: Ja, das glauben viele Leute, aber allein 300 Seiten waren von mir gelöschte Daten, die gar nicht mehr hätten dasein dürfen. Darüber hinaus gab es jede Menge Daten, die ich gar nicht eingegeben, sondern die Facebook generiert hatte oder andere Leute hochgeladen haben.

Wie das?

Schrems: Facebook speicherte zum Beispiel, von wo aus ich mich eingeloggt, wo ich mich jeweils aufgehalten hatte. Es gibt jede Menge Informationen, die Facebook über uns gewinnt, indem es uns und unser Umfeld beobachtet. So verfolgten sie mit den „Gefällt mir“-Buttons unser Surf-Verhalten, ohne daß man da jemals draufdrückt.

Warum macht Facebook das?

Schrems: Offiziell aus „Sicherheits- und anderen wichtigen Gründen“.

Und was glauben Sie?

Schrems: Ich glaube, Facebook weiß das selbst nicht so genau. Sie wissen aber, daß diese Daten sehr, sehr wertvoll sind – Stichwort „Big Data“ –, daß man damit in Zukunft viel machen kann und daß es daher besser ist, diesen Schatz zu horten. Generell ist es möglich, per mathematischen Algorithmen unglaublich viele zusätzliche und auch brisante Informationen aus den harmlosen Daten herauszurechnen, die wir unbedarft im Netz hinterlassen. Etwa ist es möglich, über Song-Listen die sexuelle Orientierung von Menschen hochzurechnen. Man kann also aus relativ belanglosen Daten neue, sehr problematische Daten generieren. Dazu kommen Daten, die gewonnen werden, indem man unser Umfeld analysiert. Auch wenn ich mich im Internet etwa nie politisch äußere, kann auf meine politische Einstellung geschlossen werden, indem verfolgt wird, welche Nachrichten ich aufrufe, welche Seiten ich besuche, und vor allem, was meine Freunde über sich angeben. So kann über jeden von uns ein umfangreiches Profil erstellt werden. Und genau das ist die Methode, die Facebook anwendet.

Immerhin waren Vertreter von Facebook schließlich bereit, sich mit Ihnen zu treffen.

Schrems: Ja, nur gebracht hat es nichts. Denn statt etwas zu verbessern, hat Face-book durch die Auseinandersetzung nur eines gelernt: die Dinge besser zu verstecken. Man sieht nicht mehr so direkt, daß man eigentlich verarscht wird.

Inwiefern?

Schrems: Zum Beispiel gab es früher eine Funktion „Entfernen“. Dann konnten wir beweisen, daß damit Daten nur unsichtbar, aber nicht entfernt wurden. Die Lösung von Facebook war, nicht etwa nun endlich die Daten zu löschen, sondern den Button in „Verstecken“ umzubenennen. Oder: Gelöschte Freunde wurden weiter gespeichert. Heute tut Facebook das formal nicht mehr, dafür aber speichern sie das Faktum, daß ein Freund gelöscht wurde – sprich, alles bleibt beim alten, nur heißt die Kategorie jetzt anders. Oder: Die Datenschutzbestimmungen von Facebook umfassen zwanzig Seiten, die heftigen Sachen stehen allerdings erst am Ende, in der Hoffnung, daß bis dahin keiner liest. Würde man die ganzen Bedingungen lesen, bräuchte man ohnehin ungefähr 45 Minuten. Und natürlich haben sie „WhatsApp“ nicht gekauft, um deren und ihre Daten zu ihrem Nutzen zu verbinden, nein, sondern nur, um die Welt zu einem kommunikativeren Ort zu machen ...

Allein gegen Facebook, macht Ihnen das nicht manchmal Angst?

Schrems: Ich bin ein relativ angstfreier Mensch.

Aber Sie legen sich mit einem Giganten an.

Schrems: Das hört sich schlimmer an, als es ist.

Die haben Geld, haben Spitzenanwälte – machen die Ihnen nicht die Hölle heiß?

Schrems: Sie würden sich wundern!

Inwiefern?

Schrems: Manchmal frage ich mich, ob es denen regelrecht Spaß macht, sich selbst ins Knie zu schießen – das, was ihre Anwälte bieten, ist oft wirklich erbärmlich.

Konkret?

Schrems: Etwa widersprechen sich ihre Schriftsätze permanent. Oder sie bringen „Argumente“, die sich sofort widerlegen lassen.

Zum Beispiel?

Schrems: Sie räumen ein, daß Facebook in einer bestimmten Sache gar keine Zustimmung der Nutzer hat, argumentieren dann aber, es läge stattdessen die Zustimmung Dritter vor. Eine Zustimmung durch Dritte ist aber natürlich ungültig.

Nimmt Facebook Sie etwa nicht ernst, so daß sie nicht mal gute Anwälte bestellen?

Schrems: Nein, der Prozeß findet in Irland statt und dort ist es nicht üblich, die Dinge mit einer gewissen Gründlichkeit durchzuprüfen. Irische Anwälte versuchen vielmehr rhetorisch den Richter in ihre Richtung zu lenken. Nun geht es aber um EU-Recht, das doch genau ist, und da kommen die irischen Facebook-Anwälte nicht recht vorwärts.

Ergo sind Sie dabei, Facebook zu besiegen?

Schrems: Leider nein, aber nicht wegen der Anwälte, sondern wegen der Politik.

Der Politik?

Schrems: Der Prozeß findet in Irland statt, weil Facebook dort seine Europa-Zentrale hat. Und warum Irland? Weil das Land durch günstige Konditionen US-Unternehmen anlockt, vor allem in Steuerfragen, aber auch bezüglich sonstiger Regulierungen, dazu gehören auch Datenschutzrichtlinien.

Facebook ist in Irland, weil dort der Datenschutz kleingeschrieben wird?

Schrems: Nein, in erster Linie wegen der Steuervorteile – die schlechte Datenschutzlage beziehungsweise das irische Prozeßrecht ist ein Vorteil, der ihnen nun zusätzlich nützt. So dürfen wir etwa die Akten in unserem eigenen Verfahren nicht sehen, wir dürfen die Beweismittel nicht sehen und dürfen die Gegenargumente von Facebook nicht erfahren – so führt man Prozesse vielleicht in Rußland, aber eigentlich nicht in der EU. Anderseits: Gäbe es die irischen Steueranreize nicht, müßten wir in Kalifornien klagen – jeder kann sich ausmalen, was ein US-Richter sagen würde, wenn man dort mit europäischen Datenschutzrichtlinien ankommt. Tatsächlich ist es so, daß die Facebook-Nutzer weltweit einen Vertrag mit Facebook in Irland haben. Lediglich kanadische und US-Nutzer haben ihren Vertrag mit Facebook USA, weil in ihren Ländern das Steuersparmodell nicht gilt. Andererseits: Aus österreichischer Perspektive ist Irland, wie gesagt, ein ungünstiges Pflaster für den Datenschutz.

Es handelt sich um EU-Recht, also spielt das Land doch keine Rolle.

Schrems: Theorie und Praxis. Die EU erläßt zwar Gesetze, aber es ist Sache der Mitgliedsstaaten, diese durchzusetzen, und in Irland wird das europäische Datenschutzrecht einfach nicht ordentlich angewandt.

Wie bitte?

Schrems: Ja! Beschwerden werden von der irischen Datenschutzbehörde einfach liegengelassen. Und wenn man fragt warum, gibt’s keine Antwort.

Wird die Behörde dann nicht verklagt?

Schrems: Das kostet 20.000 bis 30.000 Euro. Das macht kein normaler Mensch.

Die EU könnte Irland verklagen.

Schrems: Richtig, aber das tut sie nicht – und zwar, weil man sich zur Zeit auf die neue Datenschutzverordnung auf europäischer Ebene einigen möchte. Dazu braucht man die Mitgliedsstaaten, die man ergo bei dem Thema nicht verärgern will.

Wieso trauen Sie sich zu klagen?

Schrems: Weil ich „Europe vs. Facebook“ im Rücken habe.

Wer genau steckt dahinter?

Schrems: Es ist de facto eine One-Man-Show mit angeschlossenem Unterstützerkreis. Aber wir haben bis jetzt etwa 50.000 Euro Spenden gesammelt. Nur deshalb kann ich meine Klagen durchziehen, denn wenn ich verliere, hafte ich privat. Das Geld gibt mir Rückendeckung.

Und wenn Sie gewinnen?

Schrems: Jeder Spender kann angeben, was dann passieren soll: Rückzahlung oder weiterspenden an andere.

Facebook-Gründer Mark Zuckerberg meint, Privatsphäre sei nicht mehr zeitgemäß. Sind Sie ein „Neandertaler“?

Schrems: Nein, ich glaube, dahinter steckt ein Kulturkampf: In den USA herrscht einfach eine ganz andere Auffassung von diesen Dingen. Bezeichnend war ein Interview der New York Times mit mir. Das erste, was die von mir wissen wollten war: „Warum habt ihr Europäer diesen Datenschutz? Wegen der Nazis? Wegen der Kommunisten?“ Aber dieser grundlegende Unterschied zeigt sich nicht nur beim Datenschutz, sondern auch beim Konsumenten-, Mieter-, Klimaschutz etc.

Deshalb also apostrophieren Sie Ihre „One-Man-Show“ als „Europe“ gegen Facebook?

Schrems: Ja, die Idee war ein Experiment: Was passiert, wenn EU-Recht mit Facebook zusammenstößt.

Sie sagen: „Ich glaube nicht, daß die Masse die Datenschutz-Problematik wirklich versteht.“ Wenn das so ist, haben wir dann den Kampf darum nicht schon verloren?

Schrems: Das ist davon abhängig, ob in Zukunft die Masse der Bürger für das Thema sensibilisiert werden kann.

Offenbar kann sie das eben nicht, wenn Ihre Aussage stimmt.

Schrems: Sicher nicht von heute auf morgen. So ein Bewußtsein muß wachsen, so wie das in Sachen Umweltschutz ja auch viele Jahre gebraucht hat. Ich räume ein, es ist schwierig, zumal wir es hier nicht mit einer Schwarzweiß-Entscheidung zu tun haben, wie etwa „Atomkraft: Ja oder nein?“ Denn klar ist, wir wollen diese Technologie. Worum es geht, sind die Grautöne, um den richtigen Umgang damit.

Also wie geht der Kampf aus?

Schrems: Ich gebe zu, daß die Gefahr real ist, zu verlieren, so wie in den USA. Die Amerikaner haben sich im Grunde leider weitgehend damit abgefunden, daß diese Datenkraken relativ unbeschränkt schalten und walten können, auch wenn viele Amerikaner es hassen. Wenn es uns aber gelingt, in Europa die Bürger für den Datenschutz zu gewinnen, dann kommt es darauf an, ob es zweitens gelingt, daß die Europäer sich zusammentun und sich auch endlich selbst ernst nehmen. Denn wir haben in Europa leider den Hang, uns in Fragen des Internets als irgendwie minderbemittelt zu betrachten. Dabei sind wir der größte Markt weltweit, und die USA sind auch angewiesen auf uns. Als ich in den USA war, wurde an der Uni streng europäisches Kartellrecht gepaukt – weil die Europäer hier zuvor endlich mal Flagge gezeigt hatten und die Amerikaner begriffen, daß sie daran dann nicht vorbeikommen. Natürlich gibt es keine Garantie, aber ich bin ein optimistischer Mensch. Ich glaube, ja, wir können etwas ändern!

 

Maximilian Schrems, für ein internationales Presseecho sorgte der österreichische Student Max Schrems, als er 2012 im Alleingang Facebook verklagte, lediglich unterstützt von der anschließend gegründeten Spendeninitiave „Europe vs. Facebook“ (Logo oben). Schrems, geboren 1987 in Salzburg, studierte in Wien Rechtswissenschaften mit Schwerpunkt IT-Recht und Datenschutz. Inzwischen hat er fast zwei Dutzend Beschwerden gegen Facebook eingereicht und ist mit mehreren Preisen von Bürgerrechtsorganisationen ausgezeichnet worden. Auf ihrer Netzseite bietet „Europe vs. Facebook“ auch eine Unterstützerfunktion an.

www.europe-v-facebook.org

Foto: Wiener Jura-Student Schrems: „Selbst wenn ich mich im Internet nie dazu äußere, kann auf meine politische Einstellung geschlossen werden. Sie gewinnen Daten, indem sie uns beobachten.“

 

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