© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/14 / 07. März 2014

Mehr als nur Irrlichter
Große Koalition: In Berlin mehren sich die Zeichen, daß sich die SPD hinter den Kulissen nach neuen Bündnispartnern umschaut
Paul Rosen

Bröckelnde Mehrheiten führen zum Ende jeder Koalition. Vielleicht nicht gleich, aber der Bruch rückt näher. In dieser Lage befindet sich die Große Koalition in Berlin. Obwohl das von Angela Merkel (CDU) geführte Bündnis von Union und SPD rund 80 Prozent der Bundestagsmandate vereint, wirkt es seltsam instabil. Die Kanzlerin muß erfahren, daß sie mit Beginn ihrer dritten Amtszeit den Zenit ihrer Macht erreicht hat. Erste Risse im „System Merkel“ sind zu erkennen. Mit jedem Tag wachsen die Zweifel, ob Merkel die dritte Amtsperiode erfolgreich zu Ende bringen kann.

Innerhalb der Union konnte die Kanzlerin und CDU-Chefin ihre Macht in jüngster Zeit zwar noch ausbauen. In der Partei gibt es keinen deutschlandweit bekannten Politiker mehr, der ihr das Wasser reichen könnte. Prominente Ministerpräsidenten wie Kurt Biedenkopf, Bernhard Vogel, Jürgen Rüttgers, Günther Oettinger und Roland Koch sind in Rente, abgewählt oder geflüchtet und wurden durch namenlose CDU-Statthalter ersetzt; die immer wieder als Rivalin bezeichnete Ursula von der Leyen mußte als Strafkommando für Unbotmäßigkeit das Verteidigungsministerium übernehmen.

SPD-Abgeordnete stimmten nicht mit der Koalition

Zuletzt konnte Merkel erstmals in der Geschichte der seit den Anfängen der Bundesrepublik bestehenden Unionsgemeinschaft direkt in die bayerische Schwester hineinregieren. Als Landwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wegen seiner Plauderei über einen möglichen Kinderporno-Verdacht gegen den ehemaligen SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy unter Druck geriet, war es Merkel, die Friedrichs auf der Heimreise ins bayerische Hof befindlichen Dienstwagen zurück nach Berlin dirigierte, wo der CSU-Mann seinen Rücktritt erklären „durfte“. CSU-Chef Horst Seehofer konnte das Procedere nur noch abnicken.

Merkels Problem besteht darin, daß in der Koalition die Sozialdemokraten den Ton angeben. Höchstens einige Stunden während der Edathy-Affäre sah es danach aus, daß Fraktionschef Thomas Oppermann, der in der Causa Edathy beim Chef des Bundeskriminalamtes, Jörg Ziercke, angerufen hatte und möglicherweise Dienstgeheimnisse erfragen wollte, zum Rücktritt gedrängt werden könnte. Aber die Sozialdemokraten zogen eine Mauer der Solidarität um den Fraktionschef. Die anderen Mitwisser, SPD-Chef Sigmar Gabriel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier, gingen schon früher erfolgreich in Deckung.

Parallel dazu schauen sich die Sozialdemokraten nach neuen Bündnisoptionen um. Viele SPD-Abgeordnete leben außerhalb Berlins in einem kommunalen rot-grünen oder rot-rot-grünen Milieu, die großkoalitionäre Rücksichtnahme auf die Bürgerlichen der CDU und CSU in Berlin stört sie. Schon gehen viele Abgeordnete andere Wege. Als der Bundestag am 16. Januar 2014 über einen Antrag der Grünen gegen die Optionspflicht bei der Staatsangehörigkeit (Pflicht zur Entscheidung für den deutschen oder einen anderen Paß) abstimmte, lehnte der Bundestag mit den Stimmen der Union und der Mehrheit der SPD-Abgeordneten den Antrag ab. Ein Teil der anwesenden SPD-Abgeordneten stimmte nicht mit der Koalition. Der bisher einmalige Vorgang ist Grund genug, dem Bündnis keine allzu lange Lebensdauer zu bescheinigen.

Zu dem Eindruck paßt ein Vorstoß aus dem Bundesrat, mit dem die SPD-Länder Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein sowie das grün-rot regierte Baden-Württemberg allen hier geborenen Ausländerkindern dauerhaft die doppelte Staatsbürgerschaft ermöglichen wollen. Das steht in diametralem Gegensatz zum Koalitionsvertrag und zu den Plänen von Innenminister Thomas de Maizière (CDU), der hier geborenen Ausländerkindern die doppelte Staatsbürgerschaft erlauben will, wenn sie bis zum 23. Lebensjahr zwölf Jahre in Deutschland gelebt oder einen deutschen Schulabschluß haben. Pikant: Die SPD-Ministerpräsidenten Torsten Albig (Schleswig-Holstein) und Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz) sowie der baden-württembergische Vizeministerpräsident Nils Schmid haben den Koalitionsvertrag unterschrieben. „Da frage ich mich: Was soll das“, empörte sich CSU-Chef Seehofer. „Ich erwarte schon, daß das Irrlichtern der SPD ein Ende findet“, sagte CDU-Generalsekretär Peter Tauber.

Doch die Irrlichter werden immer zahlreicher, nachdem die SPD ihre grundsätzlichen Vorbehalte gegen eine Koalition mit der Linkspartei eingestellt hat. Medien berichten erfreut über eine „rot-rot-grüne Krabbelgruppe“ namens „R2G“, in der sich Politiker der potentiellen Dreierkoalition treffen. Daß es allein für Rot-Grün noch mal reichen könnte, wird nicht mehr geglaubt, und die Grünen fühlen sich dem linken Lager näher als dem bürgerlichen. Hessen ist ein Experiment – mehr noch nicht. Zwar pfeift Gabriel seinen Stellvertreter Ralf Stegner zurück, wenn der laut Gespräche mit den anderen linken Kräften fordert, aber nur wenig getarnt laufen diese Gespräche längst. Wenn Linken-Chef Bernd Riexinger sagt, „es ist gut, wenn die Eiszeit endet“, trifft er damit auch das Bauchgefühl der Sozialdemokratie.

CDU-Vize Thomas Strobl fährt schweres Geschütz auf und droht bereits mit dem Ende der Großen Koalition, falls die SPD der Bundesratsinitiative zustimmen sollte. Doch die Drohungen werden der Union nicht helfen. Sie hat derzeit außer der SPD keinen Partner mehr.

Foto: Linksfraktionschef Gregor Gysi, SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel: „Rot-rot-grüne Krabbelgruppe“

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