© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/14 / 07. März 2014

Die Qual mit der Wahl
Nordkorea: Kurz vor der sogenannten Parlamentswahl läßt Neu-Herrscher Kim Jong-un die Muskeln spielen
Marc Zöllner

Wenn Südkoreas Marine wie jedes Jahr im Frühling mit ihren US-amerikanischen Verbündeten in See sticht, um gemeinsame Übungen vor der Küste der Hafenstadt Busan abzuhalten, läßt auch Pjöngjang traditionell gern die Muskeln spielen. Diesmal mit Scud-C-Raketen mit einer Reichweite von rund 500 Kilometern.

Zwar schlugen vier von ihnen noch immer im nordkoreanischen Hoheitsgewässer ein. Zwei weitere wurden diesen Montag bereits von der japanischen Luftabwehr erfaßt. Nordkoreas Schläge lassen kurz nach dem ersten innerkoreanischen Familientreffen seit fünf Jahren die Spannungen unter den verfeindeten ostasiatischen Nationen noch weiter wachsen.

Raketen sollen Kims Regentschaft untermauern

Die Raketenabschüsse verfolgen dieses Mal ein zweites Nahziel: Der nordkoreanische Herrscher Kim Jong-un möchte seinen Untertanen praktisch demonstrieren, welche Fortschritte die abgeschottete kommunistische Diktatur in seiner kurzen Regentschaft bislang genießen durfte. Denn am 9. März sind Wahlen im Land.

Groß war demzufolge der Jubel, als Nordkoreas Diktator Kim Jong-un Anfang des Monats von der Wahlkommission seiner Partei die Zusage erhielt, sich zu den bevorstehenden Wahlen zur Obersten Volksversammlung, dem Parlament Nordkoreas, aufstellen lassen zu dürfen. Wahrscheinlich nicht nur auf einem, sondern gleich auf drei Listenplätzen – nämlich ebenso auf jenen seines Vaters, Kim Jong-il, sowie seines Großvaters, Kim Il-sung. Zwar sind beide verstorben, ihre Ämter bekleiden sie offiziell jedoch weiter.

Bei der Verkündung von Kims Kandidatur hätten sich die Anwohner des Berges Paektusan auch gleich spontan an dessen Hängen versammelt, um ihren drei „großen Generalissimos“ zu den Klängen koreanischer Marschmusik mit epochalen Titeln wie „Unser Sozialismus ist der beste in der Welt“ und „Wir werden General Kim Jong-un mit unserem Leben verteidigen“ im gemeinsamen Tanz zu huldigen. So berichtet zumindest die staatliche nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA auf ihrer Netzseite, die – aus Ermangelung an landeseigenem Internetzugang – gerade in Japan registriert ist.

Was klingt wie eine Realsatire, ist auch eine – falls man denn einen Blick zu erhaschen vermag. Aufgrund der zahllosen Energieengpässe lassen kürzlich veröffentlichte Nasa-Fotos den Eindruck entstehen, Nordkorea sei zumindest nachts komplett von der Weltkarte verschwunden.

Strom und Internet sind noch die geringsten Probleme des Landes: Aufgrund mangelnder Investitionen vegetierten bereits rund 84 Prozent aller nordkoreanischen Haushalte „an der Grenze zur Unterernährung“, berichtet die südkoreanische Agentur Yonhap News. Allein im Jahr 2013 mußten die Vereinten Nationen Nahrung im Wert von über 98 Millionen US-Dollar (rund 72 Millionen Euro) in die restriktive Diktatur einführen, um einer allgemeinen Hungersnot vorzubeugen.

Lagerhaft für Prediger schreckt die Welt auf

Einzig der Diktator lebt in Saus und Braus. Für die letzten zwei Jahre verzeichnete der mit Pjöngjang beschäftigte UN-Untersuchungsausschuß Privatausgaben des Diktators in Höhe von 645,8 Millionen US-Dollar (470 Millionen Euro) – unter anderem für Dutzende Mercedes Benz, unzählige Pianoflügel, ein eigenes Theater für tausend seiner engsten Gefolgsleute sowie „Sieben-Sterne-Partys mit Jet-Skis auf seiner Privatinsel“, wie später der im Februar nach Nordkorea gereiste US-Basketballstar Dennis Rodman zu Protokoll gab.

Nicht nur aufgrund seines Vermögens, welches der Diktator in dritter Generation unter anderem aus „illegalen Verkäufen von Alkohol in islamischen Staaten sowie dem Elfenbeinschmuggel von Afrika nach China“ bezieht, so der Telegraph, steht Kim Jong-un seit kurzem im Fokus weltweiter Kritik. Auch die eklatante Verletzung von Menschenrechten ist mittlerweile Untersuchungsgegenstand der UN. Wie viele derzeit in den Arbeitslagern des Regimes gefangen gehalten werden, lassen selbst Satellitenbilder nur schwer sagen. Schätzungen divergieren von 200.000 bis zu einer halben Million Menschen.

Unter ihnen befinden sich nicht mehr nur politische Dissidenten sowie deren Familienangehörige. In den rund drei Dutzend bislang nachgewiesenen Lagern finden sich auch Grenzflüchtlinge, zum Christentum konvertierte Nordkoreaner, südkoreanische Aktivisten, als Arbeitssklaven verschleppte Männer und Frauen aus Japan und sogar Westler wie der aus Australien stammende Prediger John Short, welcher erst Ende Februar verhaftet worden ist, weil er im Tourbus seiner Touristengruppe Passagen aus der Bibel laut vorlas.

„Im Land herrschen Zustände, die an die Nazi-Ära erinnern“, konstatiert der Vorsitzende des UN-Untersuchungsausschusses Nordkorea, Michael Kirby. Per offenem Brief an Pjöngjang spricht er sich für Auslieferung die Regierung Nordkoreas wegen Verbrechen wider die Menschlichkeit an den Internationalen Gerichtshof aus. Ob es zur Anklage kommt, ist fraglich. Bis dahin bereitet sich Nordkorea erst einmal auf die Festlichkeiten am Rande der Wahlen vor, deren Ausgang prophezeit wird: 100 Prozent für Kim Jong-un und seine Partei.

Foto: Kim Jong-un und Frau Ri Sol-ju bei einer Theateraufführung: Mit der Zigarette in der Hand unterstreicht der Diktator seine Ausnahmestellung

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