© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/14 / 14. März 2014

Ungeliebter Rettungsschirm
Euro-Krise: Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über Beteiligung am ESM
Gerhard Vierfuss

Am kommenden Dienstag wird das Bundesverfassungsgericht sein lange erwartetes Urteil über den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) verkünden. Das Gericht entscheidet darüber, ob das deutsche Zustimmungsgesetz zum ESM-Vertrag und die weiteren im Zusammenhang damit stehenden Gesetze wirksam sind, oder ob sie gegen Vorschriften des Grundgesetzes verstoßen. Theoretisch möglich ist, daß das Verfassungsgericht die Gesetze für nichtig erklärt und Deutschland aus dem ESM-Vertrag ausscheiden muß.

Kläger sind unter anderem der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler sowie zahlreiche Bürger, die sich in dem Verein Mehr Demokratie zusammengeschlossen haben. Das Verfahren bildete zunächst eine Einheit mit demjenigen zu den Staatsanleihenkäufen der EZB; erst vor einem Monat entschied das Bundesverfassungsgericht, sie zu trennen und das EZB-Verfahren dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen.

Gericht machte Auflagen

Zur Erinnerung: Bei Beginn der Euro-Krise im Jahr 2010 hatten die Staaten der Eurozone in der Erwartung, es handle sich um ein vorübergehendes und leicht beherrschbares Phänomen, die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) eingerichtet, die für einen begrenzten Zeitraum und mit einer auf 440 Milliarden Euro begrenzten Kreditkapazität in Not geratenen Eurostaaten helfen sollte. Schon sehr bald zeigte sich jedoch, daß die Erwartung zu optimistisch war und daß die Erreichung des selbstgesteckten Ziels – Erhaltung der Eurozone in der bestehenden Form – die Einrichtung eines sowohl größeren als auch dauerhaften Finanzierungsinstruments erforderte. Im Januar 2012 beschlossen deshalb die Finanzminister der Eurostaaten den Vertrag über den ESM, der beiden Anforderungen gerecht wird. Während die Kredite der EFSF von den Mitgliedstaaten lediglich über Bürgschaften abgesichert wurden, müssen sie in den ESM effektiv Kapital einbringen: Das Stammkapital beträgt 700 Milliarden Euro, von denen auf Deutschland 190 Milliarden entfallen. Davon sind 22 Milliarden Euro einzuzahlen und 168 Milliarden abrufbar bereitzuhalten.

Am 29. Juni 2012 beschlossen Bundestag und Bundesrat mit Zweidrittelmehrheit das Zustimmungsgesetz zum ESM-Vertrag. Wegen der unmittelbar danach erhobenen Verfassungsbeschwerden und der Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung unterzeichnete Bundespräsident Gauck das Gesetz zunächst nicht. Mit Urteil vom 12. September 2012 wies das Bundesverfassungsgericht die Anträge zurück; es nahm jedoch zu strittigen Punkten des Vertrages bindende Interpretationen vor und verpflichtete die Bundesregierung, sie vor der Ratifikation des Vertrages gegenüber allen Vertragspartnern verbindlich festzuschreiben.

Dies betraf zum einen die Höhe der deutschen Zahlungsverpflichtung: Das Gericht verlangte, eindeutig klarzustellen, daß die Summe von 190 Milliarden Euro ohne Zustimmung des deutschen Vertreters unter keinen Umständen überschritten werden könne. Außerdem dürfe die im ESM-Vertrag festgelegte Schweigepflicht einer umfassenden Unterrichtung des Deutschen Bundestages nicht entgegenstehen. Nachdem alle Vertragsstaaten eine entsprechende Erklärung beschlossen hatten, unterzeichnete der Bundespräsident das Gesetz am 27. September 2012.

Die Kritik der Kläger richtet sich gegen zahlreiche Aspekte des ESM-Vertrages; die 87seitige Verfassungsbeschwerde Gauweilers führt 30 Einzelpunkte auf. Die wichtigsten sind grundsätzlicher Art: Durch den ESM werde die im Vertrag von Maastricht konzipierte Stabilitätsunion endgültig in eine Haftungs- und Transferunion umstrukturiert; damit werde eine notwendige Bedingung zur Sicherung der parlamentarischen Entscheidungsfreiheit in Haushaltsangelegenheiten beseitigt. Und die Entscheidungen über diese Haftungszusagen und Transferzahlungen würden einer Organisation übertragen, die weder demokratisch legitimiert noch irgendeinem Parlament gegenüber rechenschaftspflichtig sei, der zudem als Organisation ebenso wie ihren Funktionären persönlich Immunität gegenüber jedem Gerichtsverfahren eingeräumt werde. Da es für diese Privilegierung der Gouverneure und Direktoren keinen sachlichen Grund gebe, liege hierin auch eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes, Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes.

Kern des Demokratieprinzips

Besonders problematisch sei, daß haushaltswirksame Entscheidungen im Gouverneursrat und im Direktorium des ESM auch ohne die Zustimmung des deutschen Vertreters getroffen werden könnten, sei es, weil dieser an einer Sitzung nicht teilnehme, sei es, weil er überstimmt werde. Und selbst in den Fällen, in denen der deutsche Vertreter ein Vetorecht habe, sei dessen Geltendmachung für den Bundestag nicht durchsetzbar. So könne es zu Milliardenverpflichtungen Deutschlands sogar gegen den erklärten Willen des Parlaments kommen. Insgesamt werde durch den ESM die zum Kern des Demokratieprinzips gehörende Budgethoheit in einem Maß beeinträchtigt, die auch die Befugnis des verfassungsändernden Gesetzgebers überschreite. Die Legitimation hierfür könne allein aus einem verfassunggebenden Volksentscheid erwachsen.

Foto: Protestschilder am Rande einer Anti-ESM-Demonstration : Auf Deutschland entfallen 190 Milliarden Euro

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