© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/14 / 14. März 2014

Der Hoffnungsträger im Bierzelt
AfD: Aschermittwoch läutet Europawahlkampf ein
Thorsten Brückner

Der bayerische Defiliermarsch erklingt, die Besucher erheben sich von ihren Plätzen. Der Mann dessentwegen sie aus ganz Bayern, ja bis aus Sachsen ins niederbayerische Osterhofen gepilgert sind, betritt den Saal. Bernd Lucke wird von den etwa 800 Besuchern im Donau-Center an diesem Vormittag wie ein Hoffnungsträger begrüßt. Alle stehen auf und klatschen. Die Blasmusik verleiht dem spröden Norddeutschen einen Hauch von Volkstümlichkeit. Es ist der erste Politische Aschermittwoch in der Geschichte einer jungen Partei, die in diesem Jahr Großes vorhat: Die Europawahl und drei Landtagswahlen im Osten sollen die AfD fest im Parteienspektrum verankern.

Die Euphorie ist greifbar, als Lucke seine Rede beginnt. Es ist kein typischer Expertenvortrag, mit dem Lucke sein professorales Wirtschaftswissen sonst, oft nicht frei von einer gewissen Überheblichkeit, unter die Leute bringt. Gleich mit den ersten Worten nimmt der AfD-Chef den Saal für sich ein: „Mundarten müssen bewahrt werden“, fordert der in Hamburg dozierende gebürtige Berliner und erntet dafür stürmischen Applaus der Teilnehmer, für die Deutsch in der Regel die erste Fremdsprache ist. Daß er erst gar nicht versucht, bayerisch zünftig rüberzukommen, läßt ihn in den Augen der Besucher authentisch erscheinen: Nichts löst zwischen Alpenland und Main fassungsloseres Kopfschütteln aus als ein sich bajuwarisch gebärdender Preuße.

Luckes Hauptgegner ist an diesem Tag die Partei, die im 35 Kilometer entfernten Passau mit dem volkstümlichen Vizevorsitzenden Peter Gauweiler versucht, an alte Aschermittwochstraditionen der Christsozialen anzuknüpfen. Wenn die AfD bei der Europawahl der CSU in Bayern Stimmen abjagen würde, „wäre das für Seehofer der Gau, weil er dann Gauweiler ganz umsonst berufen hätte“, kalauert Lucke über die Beförderung des Münchner Bundestagsabgeordneten, den der AfD-Chef im gleichen Atemzug ein „Pin-up-Girl für die heimlichen Phantasien unzufriedener CSU-Wähler“ nennt. „Nichts“, so Lucke, „ist an der CSU so charakteristisch wie ihre Charakterlosigkeit“, sagt er in Anspielung auf die vielen nicht gehaltenen Versprechen der Partei an Konservative.

Dann widmet sich der fünffache Vater der Familienpolitik. Die Mütterrente, wie sie die Große Koalition plane, sei ungerecht, weil sie die Lasten der jüngeren Generation aufbürde. Stattdessen müsse man die belasten, die keine Kinder hätten. Überhaupt habe er den Eindruck, daß sich derzeit im Bundestag niemand für unsere Kinder interessiere „außer Herr Edathy natürlich“, bemerkt Lucke bissig. Mehrere Zeitungen werden später berichten, den Teilnehmern sei an dieser Stelle das Lachen im Halse steckengeblieben. Doch der Saal in Osterhofen tobt vor Begeisterung. Und Lucke legt nach: „Früher haben Mütter ihre Kinder nicht gleich in der Krippe deponiert, als gerade mal die Nabelschnur getrocknet war.“ Lucke trifft den Ton im konservativen Niederbayern. „Deutsche müssen Deutsche und Bayern Bayern bleiben“, schließt er seine Rede. Unter „Lucke, Lucke“- Sprechchören geht eine fast zweistündige Rede zu Ende.

In der Blasmusik- und Weißwurstpause ist der Rücktritt von Pressesprecherin Dagmar Metzger (JF 11/14) vom Vortag das beherrschende Gesprächsthema. „Gut, daß sie weg ist, endlich ist das falsche Spiel vorbei“, ist der einhellige Tenor.

Dann betritt Hans-Olaf Henkel die Bühne und beweist sofort das richtige Gespür für die Situation „Ich will mich kurz fassen, weil ich weiß, daß ich zwischen Ihnen und dem nächsten Bier stehe“, beginnt er seine Rede.

„Wir stehen richtig“

Auch der unterkühlte Hanseat erntet für seine Rede viel Beifall. Dabei waren seine Worte deutlich ernster, sein Ton viel verhaltener als der Luckes. Norddeutsch trocken eben, ein leichtes Fremdeln mit dem Publikum ist durchaus wahrnehmbar wird aber in den Augen der Besucher durch Henkels Wortwahl wettgemacht. „Der ‘Kampf gegen Rechts’ ist eine Unverschämtheit“, ruft er jenen entgegen, die der Partei den Extremismusstempel aufdrücken wollen. Rechts dürfe nicht mit rechtsextrem verwechselt werden. Die politische Landschaft, so Henkel, „ist nach links gerückt, deswegen stehen wir rechts. Aber wir stehen richtig.“

Als zum Schluß erneut der Defiliermarsch erklingt und die blau-weißen AfD-Sympathisanten ihre Helden Lucke und Henkel verabschieden, wirken die 800 Zuhörer nicht so, als hätten sie es bereut, in die niederbayerische Provinz gekommen zu sein. Die Begeisterung kann allerdings nicht über die schwache kommunale Verankerung der Partei im Freistaat hinwegtäuschen. Nur in fünf Kommunen tritt die AfD zur Kommunalwahl am Wochenende an: In Mittelfranken, Unterfranken, der Oberpfalz und selbst in Niederbayern steht kein einziger AfD-Kandidat auf dem Wahlzettel. Es wäre gut, wenn Europa ein wenig mehr bayerisch sprechen würde, sagte Lucke an einer Stelle in seiner Rede. Bayerisch lernen muß allerdings auch die AfD. Ein Anfang wurde in Osterhofen zweifellos gemacht.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen