© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/14 / 14. März 2014

Grüße aus Bern
Alle haben mich lieb!
Frank Liebermann

Noch immer diskutieren die Schweizer munter über ihre Volksabstimmung, die eine Steuerung des Zuzugs verlangt. Während sich die Politik seit ein paar Tagen munter über die Umsetzung streitet, beobachte ich in meinem sozialen Umfeld die lebhaften Diskussionen.

Es sind zwar noch immer jede Menge Ausländer in der Schweiz und geändert hat sich erst mal gar nichts, aber die Wirkung auf die Psyche der Eingeborenen ist bombastisch. Das stolze, trotzige oder dämliche „Ja“ – je nach politischem Standpunkt gibt es hier unterschiedliche Präsentationen – hat sich heftig auf das Schweizer Selbstbewußtsein ausgewirkt.

Wenn jemand zugibt, für die Initiative gestimmt zu haben, dann entschuldigt er sich devot.

Die Eidgenossen lassen sich bei diesem Thema in zwei Gruppen differenzieren. In einem englischen Pub, in dem ich öfter verkehre, hat mir der Inhaber, ein geborener Inder, der inzwischen eingebürgert ist, gleich einmal einen Schnaps ausgegeben und sich für seine Landsleute entschuldigt. Nun, so außergewöhnlich ist das nicht: Normalerweise bekomme ich immer einen Schnaps auf Kosten des Haus, aber erst nachdem ich mindestens fünf Bier getrunken habe.

Auch Wochen nach der Abstimmung kommen immer wieder Schweizer auf mich zu und erklären mir, wie peinlich ihnen das alles ist und sie ihre Landsleute nicht verstehen können. Diese sind dann natürlich die „Bünzli“, was das schweizerdeutsche Äquivalent für Spießer oder Kleingeist ist. Ich hüte mich dann natürlich zu sagen, daß ich das Abstimmungsergebnis schon verstehen kann und genieße die Situation still und leise. So müssen sich Türken in Deutschland nach dem ersten Sarrazin-Buch gefühlt haben.

Es gibt aber noch die Anderen. Diese sind natürlich Wahlsieger, gemessen am persönlichen Erscheinen in Diskussionen aber nahezu nicht präsent. Wenn jemand schon zugibt, für die Initiative gestimmt zu haben, dann entschuldigen sich die Betroffenen ebenfalls devot. Es folgt dann immer derselbe Satz. Gegen Ausländer wie mich ist die Initiative nicht gerichtet, schließlich arbeite ich, wasche mich regelmäßig und sei auch nicht kriminell. Selbst für einen Deutschen sei ich sympathisch, da ich als Schwabe genauso wie die Schweizer kein richtiges Hochdeutsch spreche und höchstens auf das Niveau von Wolfgang Schäuble komme.

Egal mit wem ich zu tun habe, nach der Abstimmung ist alles anders: Alle Schweizer haben mich lieb!

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