© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/14 / 14. März 2014

Maue ökologische Zahlungsmoral
Ostsee: Eine Berliner Studie untersucht die Bereitschaft, ein gesundes Meeresökosystem zu finanzieren
Christoph Keller

Hinge die Wasserqualität der Ostsee von internationalen Verträgen, Brüsseler Deklarationen und EU-Richtlinien ab, so müßte man an ihren tiefsten Stellen bereits bis auf den Grund sehen können. Denn an umweltpolitischen Initiativen mangelt es seit 1974, seit Unterzeichnung des Helsinki-Übereinkommens zum Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebietes, nicht. So haben sich die Anrainer im Anschluß an dieses 1992 überarbeitete Übereinkommen 2007 auf den Baltic Sea Action Plan geeinigt, der vorsieht, die Ostsee bis 2021 in einen „guten ökologischen Zustand“ zu bringen.

Unter dieser diffusen Vorgabe ist nicht weniger zu verstehen als die Bewältigung der zentralen Bedrohung des baltischen Binnenmeers, der Eutrophierung. Zwar konnte der übermäßige Eintrag von Nährstoffen, vor allem von Phosphor und Stickstoff, seit 1974 besonders im deutschen und skandinavisch-finnischen Küstenbereich erheblich reduziert werden. Doch ist einerseits der Nährstoffeintrag aus kommunalen und industriellen Abwässern, aus Industrie und Landwirtschaft, zwischen Stettin und St. Petersburg weiterhin besorgniserregend hoch.

Für die Untersuchung nur Gutbetuchte befragt

Andererseits mögen die Immissionen bei den westlichen und nördlichen Anrainern zwar zurückgehen, doch Folgen des Klimawandels wie höhere Temperaturen und veränderte Niederschlagsverhältnisse könnten die Fortschritte im Kampf gegen die Eutrophierung wieder zunichte machen. Dieses Szenario legen zumindest Jürgen Meyerhoff vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung der FU Berlin und seine Kollegin Daija Angeli (TU Berlin) ihrer Untersuchung über den „ökonomischen Wert einer verbesserten Wasserqualität in der Ostsee“ zugrunde (Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht, 4/2013).

Die Anstrengungen, die unvermindert nötig sind, um bis 2021 von der Ostsee wieder optimale „Ökosystemdienstleistungen“ zu erhalten, bleiben daher Pflicht auch für Deutsche und Nordeuropäer. Die Frage, die Meyerhoff und Angeli dabei interessiert, gilt der jeweiligen nationalen Bereitschaft, dafür Steuergelder auszugeben. Auf welche Akzeptanz stößt eine Umweltpolitik in Deutschland, die Finanzmittel aufbringen muß für eine verbesserte Abwasserbehandlung, den sparsameren Einsatz von Düngemittel, die Renaturierung von Flußmündungsarealen oder die Verwendung von phosphatfreien Waschmitteln in den Haushalten der einstigen Ostblockstaaten?

Ihre Bewertungsstudie, die die ökologisch motivierte Zahlungsbereitschaft von knapp 1.500 Personen ermittelt, liefert jedoch nicht die von ihnen versprochene „umfassende Basis“ für umweltpolitische Entscheidungen zum Schutz der Ostsee. Denn die von ihnen Befragten waren mehrheitlich überdurchschnittlich gebildet, im fortgeschrittenen Alter, gut verdienend, mit der Problematik der Eutrophierung vertraut und daher bereit, für deren Verringerung und damit für ein gesundetes Meeresökosystem zu zahlen – hochgerechnet insgesamt eine Milliarde Euro jährlich.

Ob das viel oder – etwa gemessen an den ungefragt spendierten Euro-Rettungs-Milliarden – sehr wenig ist, verraten Meyerhoff und Angeli nicht. Jedoch ist selbst der um Alter und Bildung korrigierte Wert von 700 Millionen Euro mit Unsicherheiten behaftet, einmal abgesehen davon, daß diese Summe im Vergleich mit älteren schwedischen Erhebungen sogar ein eher gesunkenes Umweltbewußtsein signalisiert, sofern die persönliche Opferwilligkeit dafür ein Gradmesser sein soll.

„Umfassend“ ist die Basis des Zahlenwerks der Berliner Forscher also keineswegs, wie sie in ihrem Resümee auch zugeben, wenn sie den derzeitigen Wissensstand zu Fragen ökologisch engagierter Zahlungsmoral als „noch zu unsicher“ kennzeichnen. Was auch daran liegt, daß ihre deutschen Testpersonen nichts über die Bereitschaft und die finanziellen Möglichkeiten ihrer Nachbarn erfuhren, sich solidarisch an der Wiederherstellung eines „guten ökologischen Zustandes“ der Ostsee zu beteiligen.

Foto: Satellitenaufnahme eines riesigen Algenteppichs auf der Ostsee: Meeresschutz kostet Milliarden Euro

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen