© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/14 / 21. März 2014

„Viele meiner Landsleute sind dumm“
Krim-Report: Der Tag des Referendums hinterläßt nicht nur Sieger / Sorgen um die wirtschaftliche Entwicklung der Region
Billy Six

Luba ist wütend. „Ich mußte aus meiner Heimat fliehen, und du fragst, wo man Fotos machen kann“, so die 26jährige Juristin am Telefon. Noch vor wenigen Tagen hatte sie freudestrahlend, wenngleich durcheinander und ängstlich, an der Organisation einer proukrainischen Demo in der Krim-Hauptstadt Simferopol teilgenommen.

Rund 300 Leute waren gekommen, darunter viele Journalisten. „Sechs oder sieben“ ihrer Aktivisten-Freunde seien nun von prorussischen Milizen in den letzten Tagen verhaftet worden. „Ich bin ethnisch Russin und muß jetzt ernüchtert sagen, daß viele meiner Landsleute dumm sind“, sagt Luba jetzt. Das weltweit Aufsehen erregende Referendum zum künftigen Status der Halbinsel im Schwarzen Meer hat nach Auskunft der Regionalregierung eine Zustimmung von 96,8 Prozent für den Beitritt zur Russischen Föderation ergeben. Dies bei einer offiziellen Wahlbeteiligung von 83,1 Prozent.

„Vor dem Maidan-Aufstand wollten vielleicht zehn Prozent der Krim-Bewohner zu Rußland. Der Informationskrieg über angebliche Faschisten in der Ukraine hat unsere Leute dann zu Zombies gemacht,“ resümiert Luba konsterniert.

Russische Touristen sind Existenzgrundlage

Bei einer prorussischen Protestveranstaltung in Sudak an der Südküste wird das freilich anders gesehen. Mehrere hundert Menschen sind gekommen, um feiernd die neue Zeit einzuleiten. Folklore-Musiker aus Rußland stehen auf der Bühne. Viele Zuschauer schwenken russische Fahnen. Anton, ein Journalist, und Natalia, eine Psychologin, sind ein Mittzwanziger-Ehepaar. In ihren gelernten Berufen finden sie keine Betätigung. Beide warten sehnsüchtig auf den Sommer, wenn Zehntausende russischer Touristen zum Sonnenbad kommen und ihre Souvenirstände leerkaufen. „Wir wollen zurück in die Heimat“, sagt Anton in Anspielung auf die russische 60-Prozent-Mehrheit und den Umstand, daß KPdSU-Parteichef Chruschtschow die Krim erst 1954 an die Ukrainische SSR verschenkte – damals ein symbolischer Akt innerhalb ein und desselben Staates.

Mit dem Ende der von 1922 bis 1991 existierenden Sowjetunion zählte jedoch nicht mehr die Zugehörigkeit zur Arbeiter- und Bauernklasse als Identifikationsgrundlage, sondern Ethnie und Sprachzugehörigkeit. Anton und Natalia weisen darauf hin, daß es bereits heute hauptsächlich russisches Geld sei, von dem die Krim lebe.

Wäre sie Teil der EU, könnten die Russen nicht mehr visafrei einreisen. „Ohne Tourismus läuft hier nichts“, so das junge Paar. Vielleicht ist dies der Grund für die im Vergleich zu anderen Orten bestehende Gelassenheit in Sudak gegenüber Ausländern.

Antons Mutter Galina sehnt sich zurück zur alten Zeit: „Damals, als es die Sowjetunion noch gab, herrschte soziale Sicherheit“, meint sie. Ein Hotel nach dem anderen sei gebaut worden. Zumeist Bauruinen, mit denen in über zwei Jahrzehnten Zugehörigkeit zu einer souveränen Ukraine nichts geschehen sei. Berühmtester Fall: das „Delphin“, eine nie vollendete Tauchschule für Militärs und Zivilisten. Der mehrstöckige Massivbau liegt einen Kilometer außerhalb des Siedlungsbereichs, eingebettet in felsigem Gelände. Eine heimliche Besichtigung der beeindruckenden Anlage gestaltet sich schwierig: Ein Wachdienst mit Hunden patrouilliert. Angeblich habe die „Kiewer Gasprinzessin“ Julia Timoschenko das Gebäude erworben, erzählen sich die Leute auf den Straßen. Ein Gerücht, mehr nicht. Eine eingehendere Recherche bringt zutage, daß nicht nur „ukrainische Mißwirtschaft und Selbstbereicherung“ für den Totalausfall verantwortlich sind. Der Grundstein für das „Delphin“ ist bereits 1974 gelegt worden – eine Fertigstellung fand auch in den folgenden 17 Jahren Sowjetzeit nicht statt.

Doch mit emotionsloser Objektivität lassen sich derzeit auf keiner Seite Freunde gewinnen. Während die ukrainischen Patrioten darauf verweisen, daß die Krim-Abstimmung nach dem Recht der Ukraine verboten sei, wirft die prorussische Seite der neuen Führung in Kiew vor, selbst illegal ins Amt gekommen zu sein.

Mit Hochglanzbroschüren den Gegner bekämpfen

Beim Verteilen von Flugblättern und Zeitungen stehen sie beide außerhalb des Rechts: Impressen fehlen. „Gott schütze uns vor so einer Ukraine“, warnt die Druckausgabe Krim 24 mit einem Bild des brennenden „Maidan“ in Kiew vor Chaos und „Faschismus“. Ein Hochglanzpapier des Gegenlagers kritisiert den russischen Nationalismus, die Unterdrückung abweichender Meinungen in Putins Reich und artikuliert die Sorge, künftig für die russische Armee in fernen Konfliktregionen verheizt zu werden. Die russische Abhängigkeit von den endlichen Erdölreserven und die beschlossenen Sanktionen des Westens gegen Moskau würden die versprochenen „goldenen Aussichten“ alsbald in Luft auflösen.

Mutter Galina zeigt derweil ihre Bilder von der zentralen Kommission zur Wahlüberwachung in Sudak. Gemeinsam mit sieben anderen Freiwilligen hat sie von neun Uhr am Sonntagmorgen bis Montag früh um zwei Uhr die Auszählung der 23 Wahllokale koordiniert. Ein Besuch am Sonntag war nicht möglich gewesen, da sie nur akkreditierten Wahlbeobachtern gestattet war. Drei tschechische Lokalpolitiker gehörten dazu. Sie berichten, alles sei ordnungsgemäß verlaufen. EU und USA interessiert das nicht, sie halten diesen Staatenwechsel qua Abstimmung für völkerrechtswidrig.

Foto: Urnengang in Sudak an der Südküste der Krim: Während die Ukrainer vor Rußland warnen, feiern Natalia und Anton die Einheit mit Moskau

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