© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/14 / 21. März 2014

Pankraz,
Pariser Smog und der maskierte Atem

Freudlose Freifahrten. Letztes, bis zum Dienstag verlängertes Wochenende durften in Paris sämtliche öffentlichen Verkehrsmittel kostenlos benutzt werden; Metro, Vorortzüge, Zubringer zu den Flughäfen hinaus – alles kostenlos. Außerdem wurden keine Parkplatzsünden geahndet; Hauptsache, man ließ sein Auto irgendwo stehen. Trotzdem kam nirgendwo gute Laune auf, weder bei den Einheimischen noch bei den Touristen. Es war Smogalarm.

Der Smog in den Straßen hatte die zulässigen Höchstwerte dramatisch überschritten, hier und da um mehr als das Doppelte. Überall sah man Atemschutzmasken vor den Nasen und Mündern der Leute, so daß man sich fragte: Wo bist du hier eigentlich, wirklich in Paris? Oder vielleicht doch in Peking oder einer anderen chinesischen Riesenstadt, wo solche Bilder ja alltäglich sind? Die Zeitungen erinnerten an den Londoner „Great Smog“ vom Dezember 1952, der seinerzeit bis zu 12.000 Einwohner das Leben kostete. Kommt jetzt der „Great Smog Paris“, März 2014?

Das Wetter damals wie heute war faktisch identisch, es war sogenanntes „inversives Winterwetter“, bestimmt von Wetterlagen, wo die oberen Luftschichten wärmer sind als die unteren und Schadstoffe daran gehindert werden, nach oben abzuziehen, sich an Ort und Stelle immer weiter verdichten. Schließlich entstehen dann qualmige Nebel aus Ruß, Feinstaub und Schwefelsäure – der „Wintersmog“, der in Erinnerung an die Katastrophe von London 1952 in der Fachwelt auch als „London Smog“ geführt wird.

Scharf abgehoben von diesem Wintersmog wird der „Sommersmog“, auch „Los-Angeles-Smog“ genannt, welcher entsteht, wenn die Sonne bei kaum bewegter Luft direkt auf den Boden herniederbrennt, wodurch sich in unguter Weise Ozon in der Luft anreichert. Wetterexperten sagen, wir hätten in diesem Jahr von Paris bis Wien vielerorts eine Art Winter-Sommer-Smog, Feinstaubnebel plus überproportional hoher Ozongehalt, was besonders unangenehm ist und eventuell für die Gesundheit sehr gefährlich werden kann.

Es kommt zu dauerndem Tränenreiz sowie zu Schleimhautreizungen in Rachen, Hals und Bronchien; viele Leute können zur Zeit ein Lied davon singen, nicht nur in Paris. Smog ist ja keineswegs nur ein Phänomen der industriell hochentwickelten „westlichen Wohlstandsländer“, er behelligt vor allem die derzeitigen „Schwellenländer“ und von denen durchaus nicht nur das sich rapide industrialisierende China, sondern auch und gerade diejenigen, die beinahe ausschließlich die Rohstoffkarte spielen und dadurch schnell reich zu werden hoffen.

Bei denen wütet zur Zeit der „Haze-Smog“ (von engl. „haze“ = Dunst). Man ist dort dazu übergegangen, durch ausgedehnte Brandrodungen bisher kaum berührte Urwälder in Anbauflächen für Palmöl-Plantagen zu verwandeln, um daraus neuartigen, angeblich umweltfreundlichen Bio-Kraftstoff zu gewinnen. Vor allem in Südostasien, Indonesien, Malaysia, Südthailand, werden Tag für Tag planmäßig ungeheuer ausgedehnte Waldflächen in Brand gesteckt, und im Gefolge davon hat sich ein dichter Dauer-Haze-Smog über weite Flächen dieser Länder gelegt.

Die Schadstoffwerte in der Luft schwanken zwar je nach Wetterlage und Örtlichkeit, aber die gesundheitlichen Folgen des Haze-Smogs sind bereits höchst spürbar und beginnen, die Politik der einzelnen Staaten schwer zu belasten. Die Behörden rufen dazu auf, bei stark ansteigenden Ozonwerten Schutzbrillen und unbedingt Atemschutzmasken zu tragen; besonders gefährdete Personengruppen wie Senioren und kleine Kinder sollten dann körperliche Anstrengungen im Freien vermeiden, Asthmatiker und Allergiker sich in geschlossenen Räumen aufhalten.

Außerdem bemüht man sich sowohl in Paris als auch auf Sumatra und Borneo um die Herstellung besserer Atemschutzmasken („masques de protection respiratoire“). Diese Masken, so schließt man messerscharf, werden bei kontinuierlich steigendem Smogbefall zu einem echten Massenprodukt, das seine Kunden nicht nur mehr unter Ärzten und Laboranten findet, sondern auch und vor allem beim buchstäblichen Mann auf der Straße, welcher natürlich nicht zuletzt eine Frau ist. Es gilt also, auf Schick und apartes Design zu achten, auf modische Unterscheidung und gegebenenfalls exquisite Schmuckqualität.

Nicht zufällig spricht man ja von Atem-„Maske“. Der Atem wird maskiert, also nicht einfach zugehängt, sondern ausdrücklich markiert. Bei den alten Römern hieß die Maske „persona“, sie sollte den Maskenträger nicht verbergen, sondern ihm im Gegenteil öffentliche Aufmerksamkeit und Respekt verschaffen. Freilich war damit trotzdem eine Art Entindividualisierung verbunden. Der Maskierte wurde von all seinen zufälligen Aspekten befreit, um sein Eigentliches um so schärfer herauszustellen, das, was ihn für seine Mitmenschen wichtig und erst wirklich zur Person machte.

Wenn man will, kann man dies, in bezug auf die Atemmaske und ihre wachsende Bedeutung heute, für ein willkommenes Mahn- und Wendezeichen nehmen. Der freie, von Schleimhautreizungen unbehelligte Atem ist unversehens zum Symbol wahrer Menschlichkeit und Kreatürlichkeit geworden, zur Persona sui generis, die dieseits aller Einzelregungen für Würde und Notwendigkeit steht.

Allerdings ist das kein stolzes, sondern eher ein mitleiderregendes Symbol. Es ließe sich schwerlich ein überzeugendes steinernes Denkmal daraus machen. Atemschutzmaskenträger auf den Straßen von Peking, Paris oder Palembang wären wohl eher zornig und fühlten sich veräppelt, wenn sie plötzlich solch einem Monument ihrer selbst, betitelt: „Der Atemschutzmaskenträger“, begegnen würden.

Allenfalls Joseph Beuys im Selbstporträt wäre hier wohl als Denkmalschöpfer zu ertragen, wie er, auf einem Rentierschlitten mit Elektromotor sitzend, einen brennenden Kloben Edelholz aus den Urwäldern Borneos zu löschen versucht und dabei das Rote Büchlein von Mao Tse-tung studiert. Multitasking auf höchstem Niveau.

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