© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/14 / 21. März 2014

Ein paar Krümel für die Lyrik
Ermittlungen: Die Berliner Charité soll Forschungsgelder nicht zurückgezahlt, sondern auf Sonderkonten geparkt haben
Richard Stoltz

Realskandal oder Pseudoskandal? Darüber rätseln zur Zeit in Berlin Juristen, Mediziner und andere Wissenschaftler, seitdem bekannt geworden ist, daß die Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Verdachts der Bilanzfälschung gegen die „Charité“, die berühmte und traditionsreiche gemeinsame Großklinik der Berliner Humboldt-Universität und der dortigen Freien Universität, eingeleitet hat. Es geht um einen Gesamtbetrag von etwa vierzig Millionen Euro.

Die Charité hatte die Gelder als „Drittmittel“ zur Förderung bestimmter Forschungsvorhaben vom Senat der Stadt Berlin und von einigen privaten Mäzenen „eingeworben“, habe aber, so der Staatsanwalt, gewisse „Restsummen“ nach Abschluß der jeweiligen Forschungsprojekte nicht umgehend zurückgezahlt, sondern sie auf eigens dafür angelegten Sonderkonten verbucht, sie gewissermaßen für den Einsatz bei weiteren Forschungen „geparkt“. Die Charité vermag darin kein kriminelles Delikt zu erkennen.

Uwe Doderer, Kommunikationschef für Unimedizin in Berlin, hat inzwischen versichert, daß die Charité alles tun werde, um eine optimale Aufklärung der Tatbestände zu unterstützen. Man sei zu vorbehaltloser Kooperation bereit, die Staatsanwaltschaft habe Zugang zu sämtlichen Unterlagen einschließlich zu Skizzen über künftige Forschungsvorhaben, über deren öffentliche Nützlichkeit man sich noch keine volle Übersicht verschaffen könne, die die Grundlagenforschung aber dennoch sehr interessierten.

Genau da liegt offenbar der Hase im Pfeffer. Bei den einflußreichen Drittmittelgebern, insbesondere beim Staat, hat eben diese Grundlagenforschung ganz schlechte Karten. Man will immer häufiger nur noch „angewandte Forschung“ fördern; Grundlagenforschung, so hieß es schon einmal in einer Berliner Haushaltsdebatte, sei doch nur „bloße Lyrik“. Dafür sei kein Geld mehr vorhanden.

Daß man sich da nur nicht täuscht! Feine Lyrik hat oft schon handfester Prosa den Weg bereitet, auch und gerade in der Wissenschaft. Es wäre nur allzu verständlich, wenn verantwortungsbewußte Mediziner einige Krümel aus dem ihnen gewährten Drittmittelkuchen speziell für die Grundlagenforschung zu parken versuchten. Für den Staatsanwalt sollte das kaum ein Thema sein.

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