© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/14 / 28. März 2014

Großer Stillstand
Die Bilanz von hundert Tagen Schwarz-Rot ist ein Armutszeugnis für die Politik der Union
Paul Rosen

Soviel SPD in einer Bundesregierung war seit Willy Brandts Kanzlerschaft noch nie. Sozialdemokratischer Stallgeruch prägt nach den ersten 100 Tagen der zweiten Großen Koalition seit der Wiedervereinigung das Berliner Regierungsviertel. Die CDU wirkt wie ein Schatten ihrer selbst. Die CSU erlebt den Beginn ihrer Erosion.

Besonders auffällig ist der Autoritätsverfall der CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel. In der Affäre um den unter Kinderporno-Verdacht geratenen SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy wurde sie regelrecht vorgeführt. Die SPD-Führung war untereinander solidarisch, stützte und schützte ihren unter Druck geratenen Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann. Die Genossen lenkten das Feuer auf den harmlosen CSU-Minister Hans-Peter Friedrich, und der trat ab.

Mag Merkel sich noch amüsiert haben, daß sie beim Rücktritt eines CSU-Ministers nachgeholfen und damit in die bayerische Autonomie eingegriffen hatte, so ist die Edathy-Affäre in letzter Konsequenz der Beweis für bürgerliche Schwäche und Ausdruck einer Verlierer-Kaskade. Merkel hat gegen die SPD verloren, und die CSU hat es nicht vermocht, einen ihrer Exponenten zu schützen. Unter Horst Seehofer ist die CSU auf Wolpertinger-Niveau abgerutscht.

In der Sachpolitik steht auch die SPD auf dem Siegertreppchen. „Es hat wohl noch keine Bundesregierung gegeben, die mit einer solchen Geschwindigkeit ihre Reformprojekte angegangen ist“, stellte SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi zufrieden fest. Sie meinte vor allem die linksmodernistischen Projekte der Regierung. An erster Stelle ist die Mindestlohnregelung von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) zu nennen. Die CDU/CSU hat hier den Rest an ökonomischem Sachverstand verloren und bringt die Tarifautonomie, auf die Deutschland stolz war, zum Einsturz.

Das zweite große Projekt ist die Rentenreform, die unter dem ungeschriebenen Motto „Rente ab 63“ steht und sämtliche Erkenntnisse der demographischen Entwicklung ignoriert. In Zeiten der Arbeitslosigkeit erleichtert sie die Frührente; wer selbst eingezahlt und damit eigenverantwortlich Vorsorge betrieben hat, muß dagegen auf die Rente warten.

Dies ist der Sündenfall, der Punkt, an dem sozialistische Vorstellungen Freiheit und Marktwirtschaft zu überrunden beginnen. Die traditionelle Staatsgläubigkeit der Deutschen stützt die Entwicklung – genauso wie die Mietpreisbremse private Investitionen verhindert und die Frauenquote in Unternehmensaufsichtsräten gerade technische Unternehmen verzweifeln läßt, weil sie keine geeigneten Kandidatinnen haben.

Der Union bleibt die Ausweitung der Mütterrenten für vor 1992 geborene Kinder, die wie schon die Frühverrentung die demographischen Fakten ignoriert. Bei der doppelten Staatsbürgerschaft und dem Adoptionsrecht für homosexuelle Paare treibt die SPD die Regierungsarbeit an und zerstört Grundsätze, für die die Union einst stand – ob im Staatsbürgerschaftsrecht oder in der Familienpolitik.

„Die Union hat durchgesetzt, daß keine Steuern erhöht werden. Das ist ein großer Erfolg, auch wenn es schwierig wird, ihn dem Bürger als Erfolg zu vermitteln“, gibt der CDU-Sozialexperte Karl Schiewerling zu. In der Tat war mit ausgeglichenen Haushalten und Rückzahlung von Staatsschulden in Deutschland noch nie eine Wahl zu gewinnen; der letzte, der es versucht hat, war Edmund Stoiber in Bayern. Seine CSU jagte ihn davon.

In der Europapolitik wetteifern Union und Sozialdemokraten, wer schneller nationale Souveränität nach Europa abgibt. Die Einigung auf die Bankenunion mit Vergemeinschaftung der deutschen Sicherungssysteme ist nach den Euro-Rettungsschirmen der nächste schwere Schlag gegen die nationalstaatliche Souveränität. Unwiderlegt ist, was Altkanzler Helmut Schmidt gesagt hat: „Die Zukunft der EU und der Währungsunion ist höchst zweifelhaft. 2014 werden wir Deutschen von allen Seiten zur Kasse gebeten.“ Die Rechnungen werden nach der Europawahl am 25. Mai kommen.

In der Außenpolitik marschiert die Regierung Merkel von einem Desaster in das nächste. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will Soldaten möglichst weit weg, besonders nach Afrika, schicken. Die Fragen, welche Interessen wir in Afrika haben, blieb sie wie die ganze Regierung schuldig. Die Interessen anderer europäischer Mächte sind dagegen klar definiert: Frankreich etwa geht es um Rohstoffe, Aufträge und Handel.

Vollends zum deutschen Dilemma gerät die Krim-Krise. Die lautstark geforderten Sanktionen gegen Rußland sind ein Papiertiger. Zu groß ist die deutsche Abhängigkeit von russischem Gas und Öl. Dreht der neue Zar Wladimir Putin den Hahn ab, würde es dunkel werden in Deutschland.

Damit ist die größte Baustelle der Regierung erreicht. Das Festhalten an der unproduktiven Energiewende verstärkt die Abhängigkeit von Rußland, statt sie zu verringern. Daneben steigen die Kosten, weil die Subventionen für erneuerbare Energien nur gekürzt, aber nicht gestrichen werden. An vorhandene eigene Quellen wie Schiefergas traut sich wegen des Widerstands der sogenannten Zivilgesellschaft niemand heran. Und die letzte Steinkohlenzeche wird 2018 den Betrieb einstellen.

Der SPD-Chef und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel sieht die Große Koalition als Durchlauferhitzer zur Verstärkung der rot-grünen Grundstimmung im Land. Nachdem die Mauer eingerissen worden ist, die Sozialdemokraten und Kommunisten trennte, braucht er nur knapp 30 Prozent SPD-Stimmenanteil, um mit Hilfe der Linken und Grünen Kanzler zu werden. Das ist der Plan, gegen den phlegmatisierte Bürgerliche nichts mehr in der Hand haben. Die Vergrünung Deutschlands läuft auf Hochtouren.

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