© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/14 / 28. März 2014

Irgendwann wird vielleicht geräumt
Berlin: Kompromiß mit Bewohnern des Oranienplatzes
Lion Edler

Eigentlich wollte die Politik keine „Extrawürste“ für die Flüchtlinge braten, die am Berliner Oranienplatz eine illegale Hüttensiedlung errichtet hatten (JF 3/14). Eigentlich. Doch nun präsentierte Berlins Integrationssenatorin Dilek Kolat (SPD) nach monatelangen Verhandlungen mit den Flüchtlingen genau das: eine Extrawurst. Der Senat will Unterkünfte zur Verfügung stellen und die Anträge auf Asyl oder Aufenthalt von der Ausländerbehörde wohlwollend prüfen lassen sowie Deutschkurse und Unterstützung bei Ausbildung und Arbeitssuche anbieten. Im Gegenzug sollen 467 namentlich erfaßte Füchtlinge den Oranienplatz und die besetzte Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg räumen.

Doch danach sieht es derzeit nicht aus, denn entgegen der Darstellung von Kolat scheinen die Flüchtlinge keineswegs gewillt, den Oranienplatz zu räumen. Der Verein Berliner Flüchtlingsrat e.V., der bei den Verhandlungen anwesend war, bezweifelte die Aussage von Kolat, wonach etwa 80 Prozent der Flüchtlinge dem Einigungspapier zugestimmt hätten. „Ich wüßte gern, wie die Senatorin das ermittelt haben will“, sagte die Sprecherin Martina Mauer nach einem Bericht der Berliner Morgenpost. Mauer kritisierte das Angebot des Senats zudem als unzureichend. „Bisher gibt es viele offene Fragen zum Beispiel hinsichtlich der Unterbringung, des Leistungsbezugs oder zur Dauer der Einzelfallprüfungen“, so Mauer. Es werde „im Grunde nichts angeboten außer Einzelfallprüfungen plus Unterstützung durch Berater“. Zudem sei nicht einzusehen, wieso die Verhandlungen auf die besetzte Schule ausgedehnt wurden, da die Oranienplatz-Flüchtlinge „kein Mandat“ dafür hätten, für die Schulbesetzer zu verhandeln.

Tatsächlich erstellten die Schulbesetzer, die das Gebäude eigentlich auch räumen sollen, denn ebenfalls einen umfangreicheren Forderungskatalog an die Berliner Politik. Darin wird unter anderem verlangt, die Sanitäranlagen zu sanieren und drei zusätzliche Duschen zu installieren. Ziel des Ganzen ist demnach eine „behutsame Transformation der Schule in ein Autonomes Refugee Zentrum mit Wohn- und Projektanteilen“, „psychologische Unterstützung derer unter uns, die schwer traumatisiert sind“, „finanzielle Unterstützung des Bezirks bei den Betriebskosten der Schule“ sowie die Abschaffung der Residenzpflicht und Zugang zu Arbeits- und Ausbildungsplätzen, Schulen und Universitäten.

Während die verantwortliche Politik sich weiter um eine Räumung der Schule und des Oranienplatzes drückt, zeigen erneute Attacken von gewaltbereiten Linksextremisten, worin ein Grund für die weiche Zurückhaltung der Berliner Politiker bestehen könnte: Der Bezirksabgeordnete für Friedrichshain-Kreuzberg, Kurt Wansner (CDU), ist in das Visier der Antifa geraten, weil er eine Räumung der illegalen Hüttenstadt am Oranienplatz in Erwägung zog. Das Landeskriminalamt warnte Wansner und riet ihm, sein Auto nicht mehr vor dem Haus abzustellen und den Oranienplatz zu meiden.

Aus Besetzern werden Bewohner

Das Abreißen eines Türschilds an Wansners neueröffnetem Bürgerbüro könnte somit nur ein Vorgeschmack sein. Kritiker wie Wansner wurden in den vergangenen Wochen wegen ihrer Haltung zum Oranienplatz von linken Politikern als „Hardliner“ stigmatisiert – ein Etikett, das die Antifa üblicherweise als Rechtfertigung zur Gewalt gegen die betreffenden Personen betrachtet. Wansners Name tauchte auch in einem Bekennerschreiben der Linksextremisten auf, als diese das Auto des B.Z.-Journalisten Gunnar Schupelius anzündeten. „Haßbrenner“ wie Schupelius und Wansner seien dafür verantwortlich, wenn der Staat stärker gegen Asylanten vorgehe, hieß es in dem Pamphlet.

Inzwischen beginnen Politik und Medien die Vorstellung zu verinnerlichen, daß rechtsfreie Räume etwas Normales wären: Auch Wansner sieht „die Räumung zur Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände“ nur als „das letzte Mittel“ – aber auch nur dann, wenn nun seitens der Flüchtlinge kein vollständiger Abbau und Auszug vom Oranienplatz erfolge. Mauer bezeichnet die Beteiligten der illegalen Schulbesetzung indessen bereits als „Schulbewohner“. Sie meint das nicht satirisch.

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