© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/14 / 28. März 2014

Begegnung mit einem Verfemten
Ausstellung: Skulpturen des französischen Bildhauers Charles Despiau im Bremer Gerhard-Marcks-Haus
Norbert Borrmann

Er war in der Zwischenkriegszeit, neben Aristide Maillol, der bekannteste französische Bildhauer: Charles Despiau. Doch seit 1945 ist er in seinem Heimatland der „sculpteur mal-aimé“ – der ungeliebte Bildhauer.

Charles Despiau kam 1874 im südwestfranzösischen Mont-de-Marsan, in einer Familie von Stukkateuren, zur Welt. 1892 begann er ein Studium an der Ecole des Arts Décoratifs in Paris, 1895 wechselte er an die Ecole des Beaux Arts. Wie alle Künstler seiner Generation schwärmte Despiau für das Werk Rodins. Bald erregte er mit eigenen Arbeiten die Aufmerksamkeit des gefeierten Bildhauers, und von 1907 bis zu dessen Tod 1917 war er Rodins treuer Assistent.

Die frühen Arbeiten Despiaus lassen in ihrer fließenden Formensprache noch den impressionistischen Habitus Rodins erkennen, doch schon bald neigte er sich einer klassischen Strenge zu. Despiau entzog sich der Geschwindigkeit, dem „Fortschritt“ des modernen Lebens. Nicht der Bewegung, sondern einer statischen Bildhauerei galt seine Aufmerksamkeit. Er zeigt die geschlossene, zeitenthobene, auf sich selbst konzentrierte Form. Die Spannungen, von denen auch Despiaus Arbeiten keineswegs frei sind, liegen „unter der Oberfläche“. „Mein Traum ist es“, äußerte er einmal, „Skulpturen zu erschaffen, von denen der Kenner sagt: ‘Ich weiß nicht aus welcher Epoche oder von welchem Künstler sie stammen, aber sie sind schön.’“

Im Mittelpunkt von Despiaus Arbeiten steht das Porträt: nahezu unbewegt, in sich versunken, weniger das Individuelle als das Allgemeine betonend. Weder bloße Erkennbarkeit noch ein vordergründiger Naturalismus galten Despiau als Ideal. Seine Porträts wollen als Volumen im Raum begriffen werden, in denen sich Plastisches und Psychologisches vereint.

Ab Mitte der zwanziger Jahre breitete sich der Ruhm Despiaus – nicht zuletzt als Porträtist – international aus. 1926 wurde er zum Offizier der Ehrenlegion ernannt. Es folgten reihenweise Ausstellungen. 1930 erschien die erste ausführliche Monographie über ihn.

Despiau wurde von Kollegen und Kritikern in die Reihe der großen französischen Bildhauer gestellt.

Sein Einfluß stieg noch durch die zahlreichen Schüler, die er hatte. Einer davon hieß Arno Breker. Breker hatte von 1928 bis 1932 in Paris studiert. Schicksalhaft wurde die Verbindung beider Männer nach dem Frankreichfeldzug. Breker, der 1940 im Gefolge Hitlers Paris wieder besuchte, erwies seinem alten Lehrer einige Gefälligkeiten, nicht zuletzt indem er Heizmaterial für dessen Atelier beschaffte. Despiau bezeugte seine Dankbarkeit. 1942 nahm er, zusammen mit Maillol, an der Eröffnung der großen Breker-Ausstellung in Paris teil. Auch unternahm er zusammen mit anderen französischen Künstlern eine Rundreise durch das nationalsozialistische Deutschland. Als 1942 eine von einem Ghostwriter verfaßte Biographie Brekers erschien, setzte Despiau seinen Namen darunter.

Das alles fiel Despiau leicht, da er stolz auf seinen berühmten Schüler war, dessen handwerkliche Virtuosität er rückhaltlos anerkannte. Despiau, dessen Kunst im Gegensatz zu der Brekers nicht „extrovertiert“ ist und auf Überwältigung abzielt, sondern intimer, „feinschmeckerischer“, sah in Breker in erster Linie den Bilderhauer und nicht einen Exponenten des Nationalsozialismus. Tatsächlich war Despiau zeitlebens ein unpolitischer Mensch. Ein Bekenntnis von ihm zum Dritten Reich existiert nicht.

Gleichwohl schlug Despiau bei der Befreiung Frankreichs 1944/45, bei der mehr Franzosen eines gewaltsamen Todes starben als während des Frankreichfeldzuges 1940, ungezügelter Haß entgegen. Er wurde auf offener Straße geohrfeigt, Todesdrohungen erreichten ihn, sein Werk wurde mit einem Ausstellungsverbot belegt. Verängstigt zog sich Despiau in seine Wohnung zurück, verweigerte weitgehend die Nahrung und hungerte sich so dem Tode entgegen. Am Ende wog er nicht mehr als ein Kind und starb am 28. Oktober 1946. Die Verdammung seiner Person steigerte sich noch im Laufe der Jahrzehnte.; infolge der 68er-Kulturrevolution wurde sein Werk als Verirrung abgetan und Despiau aus der Liste bedeutender Bildhauer gestrichen. „Vergangenheitsbewältigung“ ist kein ausschließlich deutsches Phänomen.

Um so erfreulicher, daß man Despiaus Werk außerhalb Frankreichs offener gegenübersteht. So ist in Bremen zur Zeit eine Ausstellung über Despiau zu sehen, die mit 45 Skulpturen und 20 Zeichnungen einen guten Überblick über sein – aufgrund häufiger Überarbeitungen – insgesamt eher schmales Werk gibt. Zuvor ist die Ausstellung bereits in Den Haag gezeigt worden. In Frankreich selbst wird man sich kein Bild von

Despiau machen können. Nach Ausstellungsende wandern die Exponate wieder in die Pariser Depots zurück. Dort bleibt er der „sculpteur mal-aimé“.

Die Ausstellung „Charles Despiau – Sculpteur mal-aimé“ ist bis zum 1. Juni im Gerhard-Marcks-Haus in Bremen, Am Wall 208, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Do. bis 21 Uhr zu sehen. Telefon: 0421 / 9 89 75 20.

Der Katalog mit 270 Seiten und etwa 80 Abbildungen kostet in der Ausstellung 25 Euro.

www.marcks.de

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