© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/14 / 28. März 2014

In der Arbeitshölle
Spätkapitalismus: Ilja Trojanow hat einen gescheiten Essay über den überfl üssig werdenden Menschen verfaßt
Marc Zöllner

Unter dem bemüht geistreichen Titel „Unruhe bewahren“ veröffentlicht der im niederösterreichischen St. Pölten ansässige Residenz-Verlag eine Reihe von Essays, die vorgeben, sich um die Enträtselung der über unseren Köpfen herandräuenden Gewitterwolken zu bemühen. Bisherige Beiträge kreisen um Themen wie „Die Grenzen der Sprache“, „Wie wollen wir leben?“ und „Barmherzigkeit“.

Der in Sofia geborene Schriftsteller Ilja Trojanow, Jahrgang 1965, ergründet nun in seinem Aufsatz „Der überflüssige Mensch“ auf sehr gescheite Weise das Verhältnis der Entwertung des allgemeinen Menschentums einerseits und die Abgrenzung einer kleinen Elite mit phantastischen Einflußmöglichkeiten. Dabei bedient er sich zahlreicher Bilder aus der Geschichte und Belegen aus der Gegenwart, vom Floß der „Medusa“ über den britischen Völkermord an den Iren, bis zu den sinistren Machenschaften der zeitgenössischen Philanthropie.

Das ist im einzelnen sehr erhellend und anregend. Doch Grundsätzliches wird dabei immer nur obenhin gestreift. Die Umwandlung vom notwendigen zum überflüssigen Menschen ist ohne eine Selbstaufgabe seiner Wortführer nicht zu denken. Darin nur den Putsch einer globalen Oligarchie zu sehen, verkennt die Tatsache, das Vorteilsnahmen von diesem Ausmaß ohne fortgesetzte Preisgabe nicht denkbar sind. Der mißtrauische Leser vermag den intuitiven Verdacht nie ganz abzuschütteln, daß solche kritische Theorie dem Fortgang der kritisierten Praxis gewollt oder ungewollt eine sichere Spur legt. Ehrlicherweise hätte der Essay auch über diese geistige Kollaboration handeln müssen.

Intellektuelle schreiben gegen ihre Verlustängste an

Seit Jahren ist die Angst vor dem gesellschaftlichen Abstieg das Hauptthema der Intellektuellen, die damit vor allem gegen den eigenen Abstieg anzuschreiben versuchen und so paradoxerweise zugleich damit beschäftigt sind, ihren langsamen Untergang noch einkömmlich zu bewirtschaften. Sie führen ihre Denkfabriken in die Liquidation.

Die hochaufschlagende Lohe ideellen Anspruchs wird gespeist von materiellen Verlustängsten. Wirklich vorausschauend wäre es, den Blick auf das zu richten, was nach dem endgültigen Erlöschen dieser Firma an immer schon vorhandenem untergründigem und abseitigem Denken wieder sichtbar werden könnte. Aber dafür ist die Not unter den Skribenten wahrscheinlich noch nicht groß genug.

So dient auch der Essay von Trojanow vorwiegend der Bestätigung des prekären Lebensgefühls der Szene und schildert deren Enttäuschungen. „Die traditionell linken Parteien haben der Marktwirtschaft mit einer solchen Ausdauer gedient, daß sie ihre Identität fast völlig eingebüßt haben“, heißt es bitter. Eine ähnliche Feststellung hat Carl von Sternheim bereits 1920 in seinem Aufsatz „Berlin oder Juste Milieu“ zur materiellen Korrumpierung der Sozialdemokratie im späten Kaiserreich getroffen und ist dabei zu wesentlich härteren Schlußfolgerungen durchgedrungen. Es sind Jahrzehnte verstrichen, in denen das Denken stagnierte, während die Symptome sich immer weiter verschärften.

Das bestätigt auch der Absatz über den Selbstoptimierer: „ein heteronomes Wesen mit einem vermeintlich autonomen Trainingsprogramm; er verwechselt Schönheit mit Makellosigkeit; er will das Leben nicht genießen, sondern als Gewinner auf der Bühne bleiben.“ Die Schilderung entspricht präzis dem Bildnis eines Typus, den Ernst Jünger in „Der Arbeiter“ (1932) und sein Bruder Friedrich Georg in „Perfektion der Technik“ (1946) darstellten.

Trojanow vermutet: „Vielleicht sind die Selbstoptimierer Visionäre, die den kommenden Krieg zwischen Mensch und Maschine vorhergesehen haben und sich dafür wappnen?“ Das Verschwinden der Lohnarbeiter wird von ihm verglichen mit dem der Pferde, deren Zugkraft jene industrielle Revolution hervorbrachte, die sie schließlich überflüssig werden ließ. Das vermeintliche Verschwinden des Lohnarbeiters ist dagegen nur seine Abschnürung, bei der jener in der Produktion verausgabte Teil entwicklungsfähig bleibt, der andere sich gerade nur zu fristen vermag. Das realisiert sich im Schwinden des Lohnes, bei gleichzeitiger Ausbreitung der Arbeit über alle Lebensbereiche.

Die Vernichtung menschlicher Merkmale an der Spezies Mensch ist es, was ihn im Artenspektrum der Erde zunehmend überflüssig erscheinen läßt, bis auf jene Minderheit, die sich durch Vermögen und Einfluß anmaßt, der Exekutor göttlichen Willens zu sein. Der Präsident von Goldman Sachs verkündete 2009 in einem Interview mit der Sunday Times: „I’m doing ‘God’s work’.“

Die Tilgung des Menschlichen erfolgt unzweifelhaft durch Arbeit, wenn auch nicht mehr, oder noch nicht, im Sinne physischer Vernichtung, wie in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts, gleichwohl unabweisbar und überall. Auch die sogenannte Arbeitslosigkeit ist ein Zustand, in dem sich die Totalität der Arbeitswelt spiegelt. Angesichts der apokalyptischen Visionen der Filmbranche bemerkt Trojanow: „Der Untergang ist uns nicht nur recht und billig, sondern auch Beruhigung.“ Im Angesicht des Big Hole in Kimberley in Südafrika, einer Diamantengrube, die aus dem Abbau eines Hügels ihren Anfang nahm, fragt er: „Wie können wir es vermeiden, daß wir die ganze Welt in ein ausgelaugtes, tiefes Loch verwandeln?“

Der Mensch untergräbt das Paradiso und bohrt sich in an der Stelle selbst in eine tiefe Arbeitshölle. Doch wichtiger als die Frage, wie es um ihn her aussieht, ist die nach dem Bild, das er von sich selbst hat. Nur von diesem hängt jenes ab.

Das Buch bietet manchen Denkanstoß, der sich fruchtbar weiterverfolgen ließe und endet mit der priesterlichen Aufforderung, sich den Zwängen zu entziehen und „Empathie zu spüren, Glück zu empfinden“. So billig das zunächst klingt, ist diese Aufforderung vielleicht doch von einiger Bedeutung, denn: „Die Menschen in den Slums von Bombay haben keine Freiräume, um zu verzweifeln, sie müssen, aus Überlebensdrang, aus Verantwortung für ihre Familie weiterkämpfen.“

Den Ausweg findet offenbar nur der, der den Wagen mit in die Sackgasse manövriert hat. Nicht jener, der zwischen Stoßstange und Mauer gequetscht wird. Es gilt also weit eher, die Panik zu mäßigen, als eine Unruhe zu bewahren. Zumal das ebenso oxymoronisch wäre wie eine konservative Revolte.

Ilja Trojanow: Der überflüssige Mensch. Unruhe bewahren. Residenz-Verlag, St. Pölten 2013, broschiert, 96 Seiten, 17,90 Euro

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