© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/14 / 04. April 2014

„Sie werden euch mit Dreck bewerfen“
Vortrag in Köln: Der britische Europaabgeordnete Nigel Farage sagt den deutschen EU-Kritikern einen großen Erfolg voraus
Thorsten Brückner

Am Ende waren alle Kameras auf seine Socken gerichtet. Lila Pfundzeichen auf schwarzem Grund, von denen die Fotografen nicht genug bekommen konnten. Nicht genug bekommen von Nigel Farage konnten an diesem Donnerstagabend im Kölner Maritim Hotel auch die etwa 250 Gäste, die den Shooting-Star der britischen Politik der vergangenen Jahre an diesem Abend hautnah erleben wollten.

Im Vorfeld hatte es Streit gegeben zwischen der AfD-Spitze und der gastgebenden Jungen Alternative, die Farage eingeladen hatte. Parteichef Bernd Lucke, der im Europaparlament am liebsten mit den Tories eine Fraktionsgemeinschaft bilden möchte, wollte vor der Europawahl bewußt auf Abstand zu Farage bleiben, dessen UK Independence Party nicht nur für Reformen der EU eintritt, sondern den Austritt Großbritanniens propagiert.

Auch mit Marcus Pretzell hatte Lucke hinterher ein Hühnchen zu rupfen. Der Bielefelder Rechtsanwalt, der auf dem Parteitag in Erfurt zum Beisitzer im Vorstand gewählt wurde und auf dem siebten Listenplatz zur Europawahl kandidiert, nahm entgegen dem Willen Luckes an der Veranstaltung teil. So stellte es zumindest Lucke dar. Die Quittung für Pretzell: Eine Verwarnung durch den Vorstand, der Auftritte mit ausländischen Politikern abgestimmt wissen möchte. Pretzell beteuerte hingegen, daß Parteichef Lucke vorab informiert war und keine Einwände gegen seine Teilnahme an der Veranstaltung gehabt hätte.

Ein weiterer Streitpunkt im Vorfeld war die Pressepolitik der Jungen Alternative. Alle Pressevertreter sollten für Bildaufnahmen einen Vertrag unterschreiben, der nicht nur ihre Bildverwertungsrechte, sondern auch die Wahl möglicher Motive massiv eingeschränkt hätte. In einer Pressemitteilung schoß die Parteiführung scharf gegen ihre Jugendtruppe: „Die Alternative für Deutschland distanziert sich klar von dem medienfeindlichen Verhalten der Jungen Alternative und fordert diese auf, in ihrem eigenen Interesse den Medienvertretern zu jeder öffentlichen Veranstaltung freien und ungehinderten Zutritt zu gewähren.“

So unterschiedlich wie die Ansichten zwischen Mutterpartei und Jugendorganisation waren an diesem Abend auch die rhetorischen Schuhgrößen der eingeladenen Redner. Während Farage den Saal begeisterte und am Schluß seiner bissigen Rede minutenlangen Beifall erntete, war die Resonanz auf Marcus Pretzell ungleich verhaltener. „Wer sind Sie denn?“ unterbrach ihn eine Frau kurz nach Beginn seiner Rede. Der gerade noch vor Selbstbewußtsein strotzende Pretzell wirkte für einen Moment wie ein Boxer, der gleich in der ersten Runde von einem Kinnhaken überrascht wurde, gewann aber schnell seine Fassung zurück und beantwortete die Frage: „Ich bin Marcus Pretzell.“ Ob die Zuschauer danach wußten, um wen es sich bei dem 40jährigen handelt? Zumindest inhaltlich setzte der AfD-Mann Akzente. „Unsere Freiheit, unsere Souveränität ist nicht verhandelbar“, kommentierte er das geplante Freihandelsabkommen zwischen den Vereinigten Staaten und der EU und erntete dafür großen Applaus.

Und schließlich ist er da, der Moment, für dem sie aus ganz Nordrhein-Westfalen, ja aus ganz Deutschland angereist sind: Nigel Farage betritt mit seinem gewohnt verschmitzten Lächeln die Bühne. Rhetorisch ist seine Darbietung auch an diesem Abend brillant. Den Euro nennt er eine „monumentale Dummheit“. Merkel habe dem deutschen Volk nicht die Wahrheit erzählt, fährt er fort. Deswegen sei es so wichtig, daß es nun eine eurokritische Partei mit einer starken intellektuellen Basis gebe, die auch über Wirtschaftskompetenz verfüge. „Ich drücke der AfD für die Europawahl die Daumen“, bekennt Farage. Und hat gleich noch weitere ermutigende Worte parat: „ Je mehr sie euch mit Dreck bewerfen, desto besser; das ist ein Zeichen, daß ihr Fortschritte macht.“ Farage ist sich sicher: „Wir werden einen großen Durchbruch in der deutschen Politik erleben.“

Aber neben dem angriffslustigen, bissigen, manchmal ungehobelten Farage lernen die Teilnehmer in Köln auch eine persönlichere Seite des UKIP-Vorsitzenden kennen. Farage, der sein eurokritisches Bekehrungserlebnis in den neunziger Jahren hatte, erzählt von seinen Eltern, die 1975 beide für den Beitritt Großbritanniens zur EG gestimmt hätten. „Wir sollten alle Europa lieben“, ruft er den Teilnehmern zu. „Es ist der faszinierendste Kontinent auf der Welt.“ Gleichzeitig ziehe er aber eine klare Linie zwischen der EU, die bereits bei ihrer Geburt von Monet als undemokratisches Projekt am Willen der Völker vorbei konzipiert wurde und Europa: „Wir wollen ein Europa, in dem wir gemeinsam Handel treiben, und gemeinsam gegen Verbrechen kämpfen“, aber die Kommission werde er nie als europäische Regierung akzeptieren. „Die muß weg“, sagt er entschlossen.

Polizei schützt Hotel vor Linksextremisten

Auch zum Thema Einwanderung findet Farage klare Worte. Die Briten seien das liberalste Volk, wenn es um Einwanderung gehe. Aber jetzt kämen jede Woche 4.000 Neueinwanderer hinzu. Die Regierung müsse aber die Interessen des eigenen Volkes an die erste Stelle setzen. Einwanderung nütze vor allem den Reichen. Diese profitierten von niedrigeren Löhnen. „Für den einfachen Mann ist sie ein Desaster.“

Die Ukraine-Krise erhitzte dann ebenfalls noch einmal die Gemüter. Pretzells Vorwurf, die Russen würden genauso völkerrechtswidrig handeln wie die Amerikaner in den vergangenen 25 Jahren, ging manchem alten Herrn nicht weit genug und sorgte für prorussische Zwischenrufe. Auch Nigel Farage zeigte Verständnis für das Vorgehen Rußlands. „Wenn man den russischen Bär mit einem Stock piekst, braucht man sich nicht wundern, wenn er beißt.“

Beißhemmung hatte an diesem Tag auch die linksextremistische Antifa nicht, die eine Demonstration gegen die Veranstaltung angekündigt hatte. Dutzende Bereitschaftswagen der Polizei bezogen unweit des Hotels Stellung. Zu denken gab an diesem Abend die altersmäßige Zusammensetzung des Publikums: Eine Veranstaltung mit größtenteils in die Jahre gekommenen Gästen war wohl nicht das Ziel der Jungen Alternative.

Kommentar Seite 2

Foto: EU-Kritiker Nigel Farage: Bekehrungserlebnis in den neunziger Jahren

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