© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/14 / 04. April 2014

Punkten mit Patriotismus
Ungarn: Premier Viktor Orbán und seine Fidesz setzen bei der kommenden Parlamentswahl auf Sieg
Martin Schmidt

Das politische Klima Ungarns ist stark polarisiert. „Wer in Ungarn einen Wahlkampf bereits miterlebt hat“, prognostizierte die Budapester Zeitung, wüßte: „In der hiesigen politischen Arena wird ein Kampf auf Gedeih und Verderb geführt. Der Grund: Die Linke und Rechte sind unversöhnlich.“

Die zeigte sich auch vor den Parlamentswahlen, die am 6. April stattfinden. Obwohl die auf der Linken maßgebliche postkommunistische MSZP in den letzten Jahren durch mehrere Abspaltungen geschwächt wurde, hat sie ein Bündnis aus fünf durchaus heterogenen Formationen zusammengebastelt, das der Regierungspartei von Ministerpäsident Orbán Paroli bieten soll. Dieses Bündnis unter Führung von Attila Mesterházy heißt „Összefogás“, zu deutsch „Regierungswechsel“.

Zweiddrittelmehrheit könnte fallen

Doch danach sieht es ganz und gar nicht aus. Alle Umfragen zeigen, daß die absolute Stimmenmehrheit für Viktor Orbáns nationalkonservativen Fidesz-KDNP (Ungarischer Bürgerbund – Christdemokratische Volkspartei) fest steht. Fraglich ist nur, ob es auch diesmal gelingt, die gemäß neuem Wahlrecht von 386 auf 199 Sitze verkleinerte Nationalversammlung mit einer Zweidrittelmehrheit der Mandate zu beherrschen.

Wenigstens letzteres versuchen die zunehmend hilflos erscheinende Linksfront und die rechtsradikale Jobbik von Gábor Vona als stärkste Oppositionskräfte zu verhindern. Letztere bedient sich dabei einer schrillen Rhetorik, die den für das Regierungslager charakteristischen Patriotismus zu einer nationalchauvinistischen, nicht nur den Zigeunern, sondern allen ethno-kulturellen Minderheiten gegenüber feindlichen Programmatik übersteigert.

Ungarn ohne Patriotismus, das wäre wie Gulasch ohne Paprika. Allen Brüchen des 20. Jahrhunderts mit zwei Weltkriegsniederlagen und den Diktaturen von Pfeilkreuzlern wie Kommunisten zum Trotz, durchzieht der Stolz auf die eigene Nation die ungarische Gesellschaft und eint wenigstens in dieser Beziehung die ansonsten tiefverfeindeten politischen Lager.

Den Fragen von ethno-kultureller Identität und der Minderheitenpolitik gibt der allgegenwärtige Patriotismus nach innen wie nach außen eine Würze, die durch den mitunter übermäßigen madjarischen Nationalismus einen scharfen Beigeschmack bekommt. Dieser stößt insbesondere bei den Nachbarstaaten Rumänien und Slowakei unangenehm auf, macht aber auch den alteingesessenen Minderheiten Ungarn zu schaffen.

Ähnliches gilt für die Regierungspraxis des Bürgerbundes, der zwar im EU-Parlament der Europäischen Volkspartei (EVP) angehört, inhaltlich von christdemokratischer Politik à la CDU/CSU weit entfernt ist.

So verabschiedete die von Ministerpräsident Orbán geführte, 1988 gegründete Partei nach ihrem Erdrutschsieg bei der Parlamentswahl vom April 2010 dank einer Zweidrittelmehrheit der Mandate eine Novelle der Verfassung. Das neue Grundgesetz wurde am 18. April 2012 im Parlament verabschiedet und ist seit Januar letzten Jahres in Kraft. Es beinhaltet zahlreiche konservative Elemente, allen voran einen Gottesbezug, den Schutz menschlichen Lebens vom Moment der Empfängnis an sowie die staatliche Obhut der Ehe, die ausdrücklich als solche zwischen Mann und Frau definiert ist. Zugleich wurden direktdemokratische Elemente wie Volksentscheide geschwächt und die Befugnisse des Verfassungsgerichts eingeschränkt. Der Staatsname heißt jetzt offiziell „Ungarn“ anstelle von „Republik Ungarn“.

Orbán sprach von einer „Revolution von oben“ und begleitete die Maßnahmen mit einer pathetisch-patriotischen Rhetorik, die in der breiten Bevölkerung gut ankommt. Ein von der Regierung besetzter Medienrat wacht über die „angemessene und ausgewogene“ Berichterstattung, etliche Leiter großer Schauspielhäuser mußten vor dem Hintergrund des auch im Kulturbereich zu beobachtenden Koordinatenwechsels ihren Hut nehmen.

Im Frühjahr 2013 wurde mit Blick auf ein Bündel geplanter und mittlerweile teilweise umgesetzter Wahlrechtsänderungen zur Hebung der auch in Ungarn mit durchschnittlich 1,23 Kindern pro Frau viel zu niedrigen Geburtenrate sogar über Extra-Stimmen zugunsten von Eltern nachgedacht. Amtliche Papiere skizzierten Regelungen, wonach Väter und Mütter zu ihrer eigenen Stimme pro Kind jeweils noch ein weiteres Votum bekommen sollten.

Linke läuft Sturm gegen Umwandlung des Landes

Den von der vorherigen postkommunistischen Regierung gigantisch erhöhten Schuldenberg will der Bürgerbund ohne Steuererhöhungen schrittweise abtragen. Prinzipiell ist sogar an Steuer-erleichterungen gedacht, die wegen der schwierigen Haushaltslage aber vorerst auf Eis liegen. Immerhin gelang es im vergangenen Sommer in einem hochsymbolischen Akt, die 2008 vom Internationalen Währungsfonds (IWF) aufgenommenen Kredite in Höhe von insgesamt 20 Milliarden Euro vorzeitig zurückzuzahlen.

Dies sei geschehen, hieß es aus Budapester Regierungskreisen, um den „übertriebenen Einfluß“ des IWF auf die ungarische Politik zu beenden. Statt dessen wird systematisch nach wirtschaftspolitischen Alternativen zu westlichen Strukturen und zum Brüsseler EU-Europa Ausschau gehalten. Insbesondere soll eine stärkere Zusammenarbeit mit der Volksrepublik China, aber auch mit Rußland die Abhängigkeiten mindern. Dementsprechend verhält sich Budapest in der Ukraine-Krise auffällig zurückhaltend.

Eine von der Fidesz-Regierung bereits kurz nach der Regierungsübernahme in Gang gebrachte neue Sozialpolitik sieht unter anderem Arbeits-Zwangsverpflichtungen aller Sozialhilfeempfänger vor. Gegenwärtig sind davon ungefähr 220.000 Personen betroffen. Damit soll nicht zuletzt ein Beitrag geleistet werden, die seit langem von staatlichen Alimenten fast völlig abhängigen Zigeunergemeinschaften in regelmäßige Arbeit einzubinden.

Alle Sozialkosten werden mittlerweile zentral bestritten, während diese unter den Vorgängerregierungen auf die völlig überforderten Kommunen abgewälzt worden waren. Darüber hinaus beinhalten die Orbánschen Sozialreformen beispielsweise die Herabsetzung der Strafmündigkeit auf zwölf Jahre, die Einführung tatsächlicher lebenslanger Haftstrafen, die Ahndung von Drogenkonsum mit Gefängnis bis zu zwei Jahren, die Erlaubnis privaten Waffenbesitzes und -gebrauchs zur Abwehr von „Angriffen auf das eigene Leben“ sowie die Einführung einer „Schulpolizei“, die den regelmäßigen Unterrichtsbesuch zu gewährleisten hat.

Die politische Linke des Landes läuft seit Jahren gegen die Umgestaltung Ungarns unter national-konservativen Vorzeichen Sturm. Insbesondere in Brüssel, aber auch bei der Mehrzahl der großen Medien in den EU-Mitgliedsstaaten stößt sie damit auf offene Ohren. Manche ihrer Totalitarismus-Szenarien sind angesichts des machtbewußten, tendenziell antipluralistischen und zweifellos zentralistischen Führungsstils Orbáns zwar nicht völlig unbegründet. In der Regel dient die linke Propaganda allerdings dem Erhalt eigener, noch aus dem kommunistischen System herrührender Machtpositionen, etwa im Bereich der Presse, des Kulturbetriebs oder der Justiz.

Letztlich nährt die von linken gesellschaftspolitischen Vorstellungen geprägte Brüsseler Polemik gegen die Orbán-Regierung auch im ungarischen Volk die ohnehin vorhandene Skepsis gegenüber der EU. Nicht von ungefähr orakelte die einflußreiche konservative Tageszeitung Magyar Nemzet, daß „eine Volksabstimmung über den Austritt Ungarns nur allzu verständlich“ wäre.

Foto: Premier Orbán bei seiner Rede zum Nationalfeiertag am 15. März 2014: Gegen internationalen Einfluß und die Ausplünderung des Landes

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