© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/14 / 04. April 2014

Japans Wirtschaft am Abgrund
Demographie, Schulden, Konkurrenzdruck: Nippon wird sich von dieser Krise nicht mehr erholen können
Markus Brandstetter

Als in Japan zum letzten Mal eine Mehrwertsteuererhöhung beschlossen wurde, war Helmut Kohl noch Kanzler, Roman Herzog Bundespräsident, Prinzessin Diana lebte noch, und Hongkong wurde an China zurückgegeben. Jetzt im April 2014 soll in Japan wieder die Mehrwertsteuer erhöht werden, und zwar von fünf auf acht Prozent – das ist dann immer noch der niedrigste Wert aller Industrienationen.

Auch jetzt wird die Mehrwertsteuer nur erhöht, weil es absolut notwendig ist, steckt doch das ganze Land tief in den roten Zahlen. Die japanische Staatsverschuldung beläuft sich auf 250 Prozent des jährlichen Bruttosozialproduktes.

Das ist einsamer Weltrekord und ein Anzeichen dafür, wie tief die Krise ist, in der das Land seit nunmehr zwanzig Jahren steckt. Fast die Hälfte des japanischen Staatshaushaltes geht heute in den Schuldendienst.

Hohe Schulden, niedriges Wirtschaftswachstum

Die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt nach den USA und China hat drei große Probleme: Erstens wächst das Bruttoinlandsprodukt (BIP) kaum noch, inflationsbereinigt stagniert es seit 1993. Zweitens steigt die Staatsschuld jedes Jahr, weil die japanische Notenbank das mangelnde Wachstum durch eine Nullzinspolitik ausgleicht, wofür sie jedoch jeden Monat für 50 Milliarden Euro japanische Staatsanleihen ankaufen muß. Drittens schrumpft die japanische Bevölkerung mehr als die jeder anderen Industrienation.

Jetzt rächt sich, daß das Ministerium für Internationalen Handel und Industrie (Meti) nach dem Zweiten Weltkrieg der „Japan AG“ die Richtung vorgab und der ganzen Wirtschaft den Export von Elektronik, Kameras und Autos vorschrieb und die Verbraucher im eigenen Land hintan stellte. Die Binnennachfrage wurde lange Zeit nur stiefmütterlich behandelt.

Dreißig Jahre lang waren japanische Kameras und Hi-Fi-Geräte, Mittelklasseautos und Motorsägen, Laptops, Kleinlaster und Baumaschinen der Schrecken der westlichen Industriewelt. Üppig subventioniert vom Staat, überschüttet mit billigen Krediten halbstaatlicher Banken, unterstützt von Industriespionage, Protektionismus und einer künstlich niedrig gehaltenen Währung, haben die Japaner von 1965 an exportiert, was das Zeug hält.

Nach dreißig Jahren war die Party vorbei. Da waren viele japanische Produkte auf ihrer Lebenszykluskurve in die Reifephase getreten, da hatten alle auf der Welt schon einen Sony-Fernseher, ein Honda-Motorrad und einen Toyota-Pickup. Und jetzt, als die japanischen Industriebürokraten plötzlich keine Ideen mehr hatten, die Exporte einbrachen und Banken reihenweise in die Knie gingen, half die Politik des billigen Geldes auch nicht mehr, denn wer keine gefragten Produkte und immer weniger Kunden hat, dem nützen Kredite nicht mehr viel.

Statt billigem Geld, hohen Einfuhrzöllen und dirigistischen Ideen aus dem Ministerium hätte Japan eine Sanierung des maroden Bankensystems, einen freien Arbeitsmarkt (bis heute kann keiner entlassen werden), Wettbewerb im Gesundheitssektor und eine Verlagerung weg von den Investitionen in die sowieso schon total zubetonierte Landschaft hin zu privatem Konsum gebraucht.

Aber das hätte reihenweise gegen Partikularinteressen, Seilschaften und uralte Denkweisen verstoßen, weshalb bislang nichts davon umgesetzt wurde – obwohl Shinzo Abe, der neue alte Premierminister, das als dritte Säule seiner Wirtschaftspolitik angekündigt hatte.

Die dritte Welle der elektronischen Innovationen – Software, Internet, soziale Netzwerke und Internet-Handel – sind komplett an Japan vorbeigegangen: Google, Facebook, Apple, Amazon und Ebay sind die Unternehmen von heute, während Sony, NEC, Toshiba, Panasonic und Nissan Unternehmen mit Produkten und Konzepten von gestern sind, die durch die Billigkonkurrenz der Koreaner, Chinesen und Inder nun zusätzlich unter Druck geraten.

Ausbleibende Unternehmensgewinne führen bei den Bürgern zu real sinkenden Einkommen und zu vermindertem Konsum. Auf der Ebene des Staates führt es zu stagnierendem Wachstum, sinkenden Steuereinnahmen und immer höherer Staatsverschuldung, wodurch ein Teufelskreis beginnt.

Europa holt sich die japanische Krankheit

Das größte Problem aber ist Japans rapide schrumpfende Bevölkerung, deren Zahl seit 2004 absolut fällt und die jetzt schneller altert als die aller anderen Länder auf der Welt. Laut einem halboffiziellen Bericht wird die Anzahl der Japaner von heute 127 Millionen auf 87 Millionen im Jahr 2060 gesunken sein. Davon werden dann 40 Prozent 65 Jahre oder älter sein. Immer weniger Japaner sollen zukünftig also eine immer höhere Staatsverschuldung und immer noch mehr Transferleistungen tragen – eine Unmöglichkeit.

Japan hält ernüchternde Lehren für die EU bereit: Wer wie Frankreich, Italien, Spanien, Griechenland und Portugal international nicht wettbewerbsfähig ist und keine strukturellen Reformen durchführt; wer wie die EZB glaubt, die Wirtschaft rein durch niedrige Zinsen und immer höhere Verschuldung ankurbeln zu können; wer immer weniger Kinder in die Welt setzt und mehr in die Alten von heute als die Generationen von morgen investiert – der holt sich die japanische Krankheit.

Das ist eine schleichende Malaise, die einen zwar nicht umbringt, aber die Lebensqualität ganzer Generationen vermindert und verdüstert.

Foto: Darniederliegender Finanzmarkt: Japanerinnen passieren die Anzeigetafel des Nikkei-Index‘ in Tokio

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