© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/14 / 04. April 2014

Der Zorn wächst
Dämonisierung Rußlands: Journalisten und Intellektuelle sind mit Empörung aus dem Volk konfrontiert
Doris Neujahr

In der zweiten Jahreshälfte 1989 reichte es den Leuten. Während die Fluchtwelle immer höher stieg und die Wut immer höher kochte, schwadronierten die DDR-Medien unverdrossen über sozialistische Aufbauerfolge und das unerschütterliche Vertrauen zwischen Volk und Parteiführung. Im Herbst zogen Demonstranten vor die Redaktionsgebäude und riefen „Lügner, Lügner!“ An den Fenstern huschten verschreckte Journalisten vorbei. Später bekannten sie, an die Lügenmärchen, die sie im Auftrag der SED verbreiteten, gar nicht geglaubt zu haben.

Die Journalisten, die sich mit der Berichterstattung zur Krim-Krise befassen, erleben nicht das gleiche, doch etwas ähnliches. In den Kommentarfunktionen und sozialen Netzwerken ist ein Sturm des Zorns, der Erbitterung und Empörung gegen sie losgebrochen. Der Zorn hat seine Gründe. Die Berichte und Kommentare über Rußland einseitig zu nennen, wäre eine glatte Untertreibung. Von Bild bis zum Spiegel, von der taz bis zur Süddeutschen – von den elektronischen Medien gar nicht zu reden – folgen die Journalisten den Regeln des Psychokriegs. Die Dämonisierung Rußlands und die Pathologisierung seines Präsidenten soll das Publikum opferbereit stimmen für eine antirussische Politik.

Auch die FAZ legt ihre Vornehmheit ab und titelt: „Der Hunger des Raubtiers“. Die Steigerung wäre der postbolschewistische Untermensch, den man in seiner Erdhöhle unschädlich macht. So bestätigt sich vieles, was im Staatsbürgerkundeunterricht der DDR über den Scheincharakter der bürgerlichen Pressefreiheit und -vielfalt gelehrt wurde.

Haßwörter wie „Preßtituierte“, „Medienhuren“ oder „Systempresse“ können die Medienarbeiter zwar wegstecken. Schmerzlicher für sie ist es, wenn Kommentatoren in Echtzeit auf Informationen und Zusammenhänge hinweisen, die in den Artikeln unterschlagen werden – aus Unkenntnis oder in manipulativer Absicht. Das bleibt auf die Dauer nicht ohne Wirkung.

Die FAZ brachte den Doktorvater ihres Herausgebers Frank Schirrmacher, den Romanisten Hans Ulrich Gumbrecht, in Stellung, um eine Lanze für die „Medien-Intellektuellen“ zu brechen. Gumbrecht beziffert den Anteil der Deutschen, welche der Mediendarstellung des Krim-Konfliks nicht folgen wollen, auf 80 Prozent. Sie rechnet er dem „Morast“, dem „Meinungs-Morast“, dem „Bodensatz“ zu. Obwohl Gumbrecht mehrmals das Wort „komplex“ verwendet, kann er an keiner Stelle nachweisen, daß er über bessere historische und politische Einsichten verfügt als die Kommentatoren, die er beschimpft.

Als Hauptgrund für ihre ablehnende Haltung identifiziert er den „komplexen Anti-Amerikanismus“, die „narzißtische Kränkung“ der Deutschen, die ihre Amerikanisierung nicht verwinden können. Da mag etwas dran sein, doch das ist kein Argument für die Richtigkeit der US-Politik. Ungewollt räumt Gumbrecht ein, daß Rußland nicht mit deutschen Interessen, sondern mit der amerikanischen Globalpolitik karamboliert.

Um seine Ausführungen einzuschätzen, muß man wissen, daß Gumbrecht die Staatsbürgerschaft der USA angenommen und bekannt hat, daß er sich seit den Anschlägen in New York vom 11. September 2001 nicht mehr als Deutscher fühle, weil Deutschland „Amerikas positive Rolle im deutschen Nachkrieg“, also das Befreiungsparadigma, zuwenig würdige. Er hat die Identifizierung mit der Siegermacht über das Ökonomisch-Technische hinaus auf den geistigen, kulturellen und moralischen Bereich ausgedehnt und will mit Konvertiteneifer seinen Herkunftsmakel auslöschen. Jede Kritik am erwählten „Über-Ich“, den USA, betrifft auch seine persönliche Entscheidung – womit die „narzißtische Kränkung“ auf ihn selber zurückfällt.

Er ist ein Extremfall und doch weitgehend typisch für den (Medien-)Intellektuellen, den politischen Romantiker transatlantischer Spielart. Die Variante des ideologischen Fanatikers verkörpert der Welt-Autor Richard Herzinger, der für nahezu jedes Problem die ideologischen Verspätungen der Deutschen, vor allem ihr unausrottbares Antiwestlertum und die irrationale Hinneigung gen Osten, verantwortlich macht.

Pragmatischer argumentiert sein Welt-Kollege Alan Posener, der sich an die Vorgaben amerikanischer Zukunftsforscher beziehungsweise Globalstrategen anlehnt. In seinem 2007 veröffentlichten Buch „Imperium der Zukunft“ erscheint es ihm als die schlimmste aller Vorstellungen, daß Europa mit Rußland kooperieren und eine Gegenposition zu den USA aufbauen könnte.

Der Medienwissenschaftler Uwe Krüger hat in seinem Buch „Meinungsmacht“ (2013) dargestellt, daß die außenpolitischen Redakteure der großen Medien in US-, Nato- und EU-affine Netzwerke eingebunden sind, daß ihre Ausführungen zur Militär- und Sicherheitspolitik sich eng an die Beschlußlage beziehungsweise die Wünsche der Nato und des Pentagon anlehnen und sie die deutsche Politik in deren Sinne zu beeinflussen versuchen (JF 16/13 und 22/13).

Nun ist die Diskrepanz zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung nichts neues. Es gibt sie in den Fragen der Zuwanderung, der Ausländerkriminalität, der Gender- und Quotenpolitik, in EU- und Euro-Fragen. Gewöhnlich führen die Diskrepanzen zu keinen Gegenaktivitäten, sondern werden resigniert hingenommen. Diesmal ist es anders, weil viele das Gefühl haben, daß der Weg, den die Medien weisen, in einen ernsthaften Konflikt führen könnte. Sie begreifen instinktiv, daß die medialen Funktionseliten der Situation überhaupt nicht gewachsen sind und als Schlafwandler agieren.

Der Historiker Golo

Mann schrieb über die spannungsgeladene Atmosphäre in Europa 1914: „Wenn die Menschen Krach haben wollen, so werden sie Krach haben, und jedes Professorenhirngespinst wird ihnen dann als Vorwand recht sein.“ Diesmal wollen sie keinen Krach und sind deshalb fähig, die Medienhetze und professorale Hirngespinste als solche zu durchschauen.

Die Medien-Intellektuellen wiederum sind nicht wirklich mächtig, denn ihre Macht ist nur geliehen. Die Leihgeber haben nur so lange Interesse an ihnen, wie sie die zugewiesene Aufgabe erfüllen. Die Kluft zwischen sich und den geschätzten 80 Prozent Andersdenkenden darf deshalb nicht zu groß werden. Sonst stehen sie eines Tages als betrogene Betrüger da und stellen fest, daß sie sich von ihren Berufsgenossen in der DDR gar nicht so sehr unterschieden haben.

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