© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/14 / 04. April 2014

Wenn Gartenzwerge auf Vulkanen tanzen
Illyrier in karminroter Wehrmachtskluft: Shakespeares Kömodie „Was ihr wollt“ als sächselnde Slapsticknummer am Dresdner Schauspielhaus
Sebastian Hennig

Tomas Petzold, der frühere Kulturredakteur der Dresdner Neuesten Nachrichten, ließ seine Besprechung der Premiere von William Shakespeares „Was ihr wollt“ am Dresdner Schauspielhaus in die Feststellung münden: „... gestehe ich, für den Moment jeder Lust am Theater beraubt zu sein, weil ich mich aus Gründen der politischen Korrektheit bzw. Fairneß genötigt sehe, noch so naheliegendes Weiterdenken äußerst zu beschränken und die eigene Fantasie weitgehend auszuschalten.“

Schreibverbote realisieren sich über Denkverbote. Der nötige Mut, um das eigene Unbehagen wenigstens anzudeuten, kommt dann erst im Ruhestand. Die umgebaute Gemäldegalerie Neue Meister im Albertinum (JF 26/10) wurde seinerzeit in den DNN im Sinne der „Medienpartnerschaft“ gefeiert. Erst mit zeitlichem Sicherheitsabstand ließ sich die verrentete frühere Haupt-Kunstkritikerin Ingrid Wenzkat durchaus zutreffend zur Bestimmungsverfehlung der Einrichtung vernehmen. Die Regionalzeitung schmückt sich mit Jubelfedern. Kritisch nachgetreten wird dort nur auf das, was schon am Boden liegt oder von den Leithammeln zuvor heruntergerissen wurde.

Das Dresdner Schauspielhaus feierte als Gebäude im vergangenen Jahr sein hundertstes Jubiläum. Shakespeare war hier ein Hausgott, seine Dramen ununterbrochen gegenwärtig. Auch früher wurden sie nicht einfach so gespielt. Man machte sich Gedanken über das Wirkungsvolle und das Geziemende. Der Dresdner Oberregisseur Ernst Lewinger hat vor gut hundert Jahren mit seinem Amtskollegen Rolf Roenneke aus Hannover eine mehrbändige Ausgabe mit Bearbeitungen von Shakespeares Königsdramen herausgegeben. Darin sind auch Bühnenpläne zu den einzelnen Szenen abgedruckt. Unverrückbares Zentrum aller Bemühungen blieb das Sprachkunstwerk. Der Spielleiter hatte die Aufgabe, es zur sichtbaren Handlung werden zu lassen.

In Dresden diente nun die Neuübersetzung von Frank-Patrick Steckel allein als prosaisches Gerüst zum Andocken von Kalauern: „Das kann man auch einfach sagen“ – „Aber nicht bei Shakespeare.“ Da wiehern die Leute, und die Menschen schämen sich. Denn leider werden hier nicht Lachchöre von der Tontechnik eingespielt, sondern die Verrohung des Publikums ist echt. Sie reicht zurück in die achtziger Jahre, als unter Wolfgang Engel das Dresdner Theater im vulgär mißverstandenen Schillerschen Sinne als „moralische Anstalt“ betrachtet wurde. Engel ließ Hebbels „Nibelungen“ im Luftschutzkeller spielen.

Teenagerhaftes Getue, vokaler Striptease

Bei Andreas Kriegenburg steckt nun die gesamte Personage in karminroten Wehrmachtsuniformen und vollführt mit großer Körperbeherrschung ein Schreitballett in Schaftstiefeln. Die Bühne ist mit einem Gespür für Bewegung eingerichtet. Aber es bewegen sich nur die Darsteller. Das Gemüt des Zuschauers wird nicht bewegt, nur das Zwerchfell erschüttert. Besonders Toby (Holger Hübner) und Gefolge sind wandelnde Lachsäcke: „Da beißt die Maus der Katze in den Sack.“ Eigentlich ist es aber zum Weinen, wenn er in Anspielung auf wirklich große Zeiten in Dresden sagt: „Hier hat schon der Erich Ponto gestanden.“ Da Steckel sich von der Metrik verabschiedet hat, läßt sich sein Anteil von den Sketchen der Regie nicht mehr sondern.

Mit koketter Heiserkeit produziert sich Yohanna Schwertfeger als Viola/Cesario. Sie ist die blutjung erscheinende Wunderwaffe, die man sich unlängst vom Wiener Burgtheater verschreiben lassen hat. Während der erste Auftritt der Gräfin Olivia (Sonja Beißwenger) die vorangegangene Kanonade von Späßen vorübergehend zum Sprachwitz mäßigt, wird die ausgezogene Stimme der Schwertfeger immer widerwärtiger. Ihr affektierter Mädchen-Diskant geht auf die Nerven. Dieses teenagerhafte Getue ist keine Rollen-Gestaltung, sondern läuft auf vokalen Striptease heraus. Damit wäre man besser bedient, wenn man den nächsten durchreisenden Zirkus besuchte und anschließend in einer Kneipe in Mickten verschwände. Denn die Stimme des Dresdner Volkes ist selbst in den Niederungen noch origineller als dieses subventionierte Varieté für Gebildete mit seinem Cancan in Knobelbechern. Die angedeutete Promiskuität zeugt von Prüderie und die vermeintliche Bilderflut ist ein Ikonoklasmus.

Die grausame Schönheit, die Geilheit und der feine Terror der Shakespeareschen Dramen ist dem gegenwärtigen Betrieb unerträglich. Es entsteht der Eindruck, daß Gartenzwerge auf Vulkanen tanzen, die sie für Maulwurfshügel halten und sich für Gärtner. Was bliebe übrig, wenn plötzlich die geziemenden Maßstäbe zur Anwendung gebracht würden.

Wenn in Dresden immer viel und lange geklatscht wird, dann gilt es dem Theater als Institution. Doch wie steht es mit der Theaterkunst? Der dreckige Bengel hat sich fast ganz im schmutzigen Wasser aufgelöst. Man muß das Bad also sehr vorsichtig kippen, um das Kind nicht gleich mit auszuschütten. Das ist es wohl, was der Rezensent Petzold mit der eingangs erwähnten Bemerkung meint. Das Publikum hält stoisch an seiner alten Rolle fest; so ist es längst zum Helden, ersten Liebhaber und leider auch zum komischen Alten des Theaters geworden. Geduldige Ordnung herrscht auf den Sitzreihen, während auf der Bühne das Leben aus den Fugen gerät. Die Schauspieler und Regisseure wollen den Anschein wahren, sie würden das Chaos nicht verkörpern, sondern nur aufführen.

Komödianten müssen wieder Ernst machen

Es wäre zu billig, an äußerlicher Drastik Anstoß zu nehmen. Das Problem liegt nicht im vulgären und pornographischen Markieren auf der Bühne. Jedem inszenatorischen Shitstorm dieser Art halten Werk und Zuschauer spielend stand, solange die Magie der Sprache regiert.

Ist die verwirkt, dann stirbt das Theater. Erst wenn der Shakespearsche Blankvers in Idioten-Prosa verkehrt wird, hört es auf. Am 6. Oktober 1989 verlasen die Schauspieler in Dresden nach der Abendvorstellung eine Resolution mit dem Titel „Wir treten aus unseren Rollen heraus“. Wer konnte aber damals ahnen, daß sie auf lange Zeit nicht wieder zurückfinden werden in ihre Rollen. Nach neun eingeforderten Rechten wurden fünf Pflichten benannt. So hieß es: „Wir nutzen unsere Tribüne, um unsere Pflichten zu benennen: 1. Wir haben die Pflicht, zu verlangen, daß Lüge und Schönfärberei aus unseren Medien verschwinden.“

Das nun ist gründlichst mißlungen. Wenn es in zwei Jahrzehnten noch Theater geben soll auf deutschen Bühnen, tut es not, daß die Komödianten nicht nur Spaß haben, sondern Ernst machen – auch mit Shakespeare.

Der doppelt erniedrigte Mavolio (Philipp Lux) droht zuletzt auf den Knien ins Publikum: „Ich räche mich an jedem von euch ... Pack!“ damit ist dann Schluß in Dresden. Bei Schlegel klingt es so: „Ich räche mich an eurer ganzen Rotte.“ Und Shakespeare läßt Olivia darauf einlenken: „Man hat ihm doch entsetzlich mitgespielt.“ Versöhnung wird bereitet und das letzte Wort erhält der singende Narr.

Die letzte Vorstellungen „Was ihr wollt“ im Dresdner Schauspielhaus, Theaterstraße 2, finden in dieser Spielzeit am 5. und 10. April jeweils um 19. 30 Uhr statt. Kartentelefon: 03 51 / 49 13–555

www.staatsschauspiel-dresden.de

Foto: Christian Erdmann als Orsino, Herzog von Illyria (3.v.l.), und Gefolgsleute: Schreitballett in Schaftstiefeln

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