© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/14 / 04. April 2014

Mit Macheten geschlachtet
1994 fand in Ruanda ein Völkermord von Hutus an den Tutsi statt / Im Hintergrund spielten Frankreich und die USA eine verhängnisvolle Rolle
Wolfgang Kaufmann

Tötet die Tutsi-Kakerlaken!“ tönte der ruandische Regierungssender Radio-Television Libre des Mille Collines am Abend des 6. April 1994. Anlaß für diesen Mordaufruf war ein hochdramatisches Ereignis: Um 20.30 Uhr Ortszeit hatten zwei Boden-Luft-Raketen die Dassault Falcon 50 des ruandischen Präsidenten Juvenal Habyarimana getroffen, welche sich im Landeanflug auf die Hauptstadt Kigali befand.

Beim Absturz der Maschine starben sowohl das Oberhaupt des afrikanischen Kleinstaates als auch sein Amtskollege Cyprien Ntaryamira aus Burundi, der ebenfalls an Bord weilte. Wer die Attentäter waren, ist bis heute umstritten, doch für die Propagandamaschinerie des Regimes in Kigali gab es keinen Zweifel: Der Präsident aus dem Volk der Hutu sei einem Anschlag der Tutsi-Rebellen zum Opfer gefallen, welche seit Jahren gegen die Hutu-Elite des Landes kämpften.

So begann die ruandische Armee bereits dreißig Minuten nach dem Abschuß im Verein mit der Präsidentengarde und der Nationalpolizei sowie den Milizen Impuzamugambi und Interahamwe der beiden Hutu-Regierungsparteien mit der Liquidierung von Tutsis, aber auch gemäßigten Hutus, welche sich dem Morden entgegenstellten. Vierzehn Tage später waren dann schon 250.000 Menschen tot. Insgesamt dauerte das Gemetzel rund 100 Tage und forderte schätzungsweise 800.000 bis eine Million Menschenleben.

Die ungewöhnliche Heftigkeit der Gewalt resultierte aus dem traditionellen Haß zwischen den schon immer in Ruanda ansässigen Hutu und den später eingewanderten nomadischen Tutsi, die das Land bis zur sogenannten Hutu-Revolution von 1961 beherrscht und hernach einen Guerilla-Krieg gegen die neuen Machthaber angezettelt hatten.

Dieser Kampf mutierte schließlich am 1. Oktober 1990 zu einem veritablen Bürgerkrieg, weil die in der Front Patriotique Rwandais (FPR) vereinten Tutsi-Rebellen von Uganda aus zur Eroberung Ruandas antraten. Allerdings schien es zunächst so, als ob die Katastrophe noch durch einen Friedensprozeß abgewendet werden könne. Denn nach der Eroberung der Präfektur Byumba, der Kornkammer des Landes, mußte Kigali wohl oder übel verhandeln.

Und tatsächlich stand am Ende der Gespräche der Friedensvertrag von Arusha vom 4. August 1993. Allerdings opponierte eine breite Hutu-Koalition gegen diese Übereinkunft, was am 23. Oktober 1993 zur Geburt der „Hutu-Power“-Bewegung führte: Radikale Hutu taten sich zusammen, um eine „Endlösung“ in der Tutsi-Frage herbeizuführen. Ausgelöst wurde dieser Schritt durch die zwei Tage zuvor erfolgte Ermordung des burundischen Präsidenten Melchior Ndadaye (ebenfalls ein Hutu) durch Tutsi-Verschwörer.

„Genozid in so einem Land, das ist nicht so wichtig“

Mit dem Beginn der Massaker in Ruanda kam es freilich auch zu einem erneuten Aufflammen des Bürgerkrieges. Zügig besetzte die wiederum aus Uganda vorstoßende FPR zwei der fünf ruandischen Provinzen. Außerdem eroberten die Tutsi-Rebellen am 4. Juli auch noch die Hauptstadt Kigali und setzten zum Vormarsch in den Südwesten des Landes an, wohin sich die „Génocidaires“ zurückgezogen hatten. Dieser wurde jedoch durch französische Interventionstruppen blockiert, woraufhin die Kampfhandlungen am 17. Juli 1994 endeten.

Sucht man nach den Verantwortlichen für den letzten großen Völkermord des 20. Jahrhunderts, so stößt man neben dem Regime in Kigali schnell auch auf die Uno. Immerhin befanden sich im April 1994 etwa 200 UN-Militärbeobachter und 2.000 Blauhelme in Ruanda. Allerdings lautete der Auftrag der United Nations Assistance Mission for Rwanda (UNAMIR) eben nur, das Friedensabkommen zwischen der Hutu-Regierung und den Tutsi-Rebellen zu überwachen.

Deshalb wurde dem Kommandeur der UNAMIR-Truppen, dem kanadischen General Roméo Dallaire, Anfang 1994 vom UN-Hauptquartier untersagt, Hutu-Waffenlager in der Hauptstadt Kigali auszuheben. Ebenso ignorierte der damalige beigeordnete Generalsekretär für Friedenssicherungseinsätze Kofi Annan ein alarmierendes Fax Dallaires vom 11. Januar 1994, in dem von der Vorbereitung von Massentötungen an Tutsis die Rede war. Bemerkenswert auch die Reaktion der Uno nach Beginn des Gewaltausbruchs: Statt die UNAMIR-Truppen zu verstärken, wurde deren Präsenz reduziert, was ungezählte Tutsi das Leben kostete.

Mitschuldig machten sich zudem westliche Staaten wie Großbritannien und Belgien, die trotz vorhandener Einflußmöglichkeiten in Passivität verharrten, weil sie Ruanda keine strategische Relevanz zumaßen. Und dann war da noch China, das ohne nachzufragen die Millionen von Macheten lieferte, mit denen viele Tutsi später zu Tode gehackt wurden – vierzig Prozent der Opfer des Genozids starben durch Machetenhiebe.

Die wichtigsten Helfershelfer des rassistischen Mörder-Regimes in Kigali saßen allerdings in Paris. Schon seit 1990 unterstützte die französische Regierung die Hutu-Führung militärisch. So entsandte sie Fallschirmjäger, die im Februar 1993 einen FPR-Angriff stoppten, der bis kurz vor Kigali geführt hatte. Außerdem wurde die Armee Ruandas zwischen 1990 und 1993 mit französischer Hilfe von 5.200 auf 35.000 Mann aufgestockt. Darüber hinaus erfolgten erhebliche Waffenlieferungen, die laut einem offiziellen UN-Untersuchungsbericht auch nach Beginn der Gewaltorgie fortgesetzt wurden.

Hierauf angesprochen soll Präsident Mitterrand gegenüber dem Le-Figaro-Korrespondenten für Afrika, Patrick de Saint Exupéry, geäußert haben: „Ein Genozid in so einem Land (gemeint war Ruanda), das ist nicht so wichtig.“ Ein weiterer Beitrag Frankreichs zum Völkermorddrama in Afrika war die „Opération Turquoise“ vom Juni 1994, in deren Verlauf eine Sicherheitszone im Südwesten des Landes eingerichtet wurde, in der die Hutu-Täter während des Vormarsches der Tutsi-Rebellen Aufnahme fanden. Damit sorgte Paris auch dafür, daß viele Génocidaires in den Kongo entkommen konnten, von wo aus sie später neue schwere Gewalttaten begingen.

Stellvertreterkrieg zwischen Washington und Paris

Um die „Grande Nation“ reinzuwaschen, erhob der französische Richter Jean-Louis Bruguière am 17. November 2006 im Namen der Pariser Regierung Klage gegen neun nunmehrige FPR-Regierungsmitglieder in Kigali. Begründung: Diese seien für den Abschuß der Maschine Habyarimanas verantwortlich; mit dem Attentat sollte die Hutu-Gewalt gegen die Tutsi provoziert werden, um eine moralische Rechtfertigung für den Marsch auf Kigali zu erlangen. Interessanterweise hatte in Ruanda im Monat zuvor eine Untersuchungskommission begonnen, die Rolle Frankreichs während des Völkermords zu untersuchen. Zudem stützte sich Bruguière in seiner Beweisführung hauptsächlich auf „Erkenntnisse“ der französischen Geheimdienste sowie die Aussagen oder besser Lügen führender Hutu-Offiziere.

Ruanda reagierte 2008 mit der Drohung, gegen 33 französische Militärs und Politiker, darunter Édouard Balladur, Dominique de Villepin, Alain Juppé und François Mitterrand, internationale Haftbefehle wegen Mittäterschaft zu erwirken. Daraufhin kam es zum Abbruch sämtlicher Beziehungen zwischen Frankreich und Ruanda, bis der Bericht eines anderen französischen Untersuchungsrichters für Entspannung sorgte. Am 10. Januar 2012 vermeldete Marc Trévidic nach akribischen Vor-Ort-Untersuchungen, daß die Maschine des Präsidenten mit Hutu-Raketen vom Himmel geholt worden war – abgefeuert aus einem Lager der Regierungstruppen mit dem Ziel der Beseitigung des gemäßigten Staatsoberhauptes und der Schaffung eines Vorwandes zum Losschlagen gegen die Tutsi.

Parallel hierzu bezeichnete Präsident Nicolas Sarkozy die frühere Politik Frankreichs in Ruanda als „eine Form von Blindheit“. Dem kann man freilich entgegenhalten, daß die Franzosen 1994 sehr wohl wußten, was sie taten: Die FPR galt in Paris als Marionette „anglophoner“ Kräfte – und tatsächlich war der Rebellenchef Paul Kagame an der US-Militärakademie in Fort Leavenworth ausgebildet worden. Deshalb wurde der Tutsi-Organisation unterstellt, Ruanda aus dem französischen Einflußbereich in Afrika herauslösen zu wollen. Vor diesem Hintergrund entpuppt sich der Kampf zwischen der FPR und der Hutu-Zentralregierung in Kigali unversehens als verdeckter Stellvertreterkrieg zwischen Washington und Paris.

Foto: Schädel von Opfern des Völkermordes in der Gedenkstätte von Nyamata; französischer Soldat beobachtet am 12. Juli 1994 Flüchtlingsströme von Tutsis im Westen Ruandas:

Das Gemetzel dauerte etwa hundert Tage und forderte schätzungsweise 800.000 bis eine Million Menschenleben

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