© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/14 / 11. April 2014

Pankraz,
M. Heidegger und der Antisemitismus

Vor Wortungeheuern schreckte er nie zurück, wenn sich damit die Hoffnung verband, dem „Seyn des Seienden“ näher zu kommen oder es zumindest vor Mißverständnissen und Zumutungen zu schützen. „Machenschaftlichkeit“ war eines seiner Ungeheuer, und es ist das Schlüsselwort in den letzten drei „Schwarzen Heften“ Martin Heideggers, die während der Jahre 1939 bis 1941 entstanden und die soeben bei Klostermann im Rahmen der Gesamtausgabe erstmals erschienen sind (JF 14/14).

„Schwarze Hefte“ nannte der Philosoph selbst seine nicht für die Veröffentlichung zu Lebzeiten bestimmten gelegentlichen Notate – ganz prosaisch wegen der schwarzen Wachstuchumschläge der Hefte, in die er eintrug. Es waren keine üblichen „Tagebücher“ mit privaten Indiskretionen, auch keine bloßen Aphorismen, sondern, wie Heidegger ausdrücklich festlegte, „Vorposten und Nachhutstellungen“, in denen öffentliche Vorlesungen oder Bücher oder Zeitschriftenbeiträge teils vorbereitet, teils nachgeschmeckt wurden – zweifellos ein hochinteressantes, eminent wichtiges Genre.

Eine Lektüre der mit höchster editorischer Sorgfalt herausgegebenen Hefte lohnt sich. selbst für ausgepichte Heidegger-Kenner. Es geht vor allem um das Lebensthema des älteren Heidegger, eben um das Verhältnis zwischen dem „Seyn“, wie es wirklich ist respektive wird, und dem „Seienden“, das wir Menschen aus ihm gemacht haben. Es geht um Heideggers fundamentale Ablehnung der abendländischen „Metaphysik“ insgesamt, jenes gewaltigen Denkkanons zwischen Platon und Kant e tutti quanti, inklusive Friedrich Nietzsches und seines „Willens zur Macht“.

Jedes abendländische Denken also erscheint im letzten Band der „Schwarzen Hefte“ als geradezu kosmisches Verhängnis, und sein Name lautet, wie gesagt, „Machenschaftlichkeit“. Der Mensch, so Heidegger, ist ein Macher, er nimmt nichts einfach hin, sondern er nimmt immer gleich auseinander, und das abendländische Denken war seit Platon, unter Verleugnung seiner Wurzeln bei Heraklit und Parmenides, ein reines Machbarkeitsdenken. Es fragte nicht mehr „Was ist?“, sondern nur noch „Was kann ich damit machen?“ Es ging nicht mehr um Denkformen, nur noch um Machenschaften im vollen Sinne des Wortes.

Heidegger hat diesen Denkansatz nach dem Kriege weiter sorgfältig ausgebaut, in Büchern und Vorträgen wie etwa „Die Technik und die Kehre“ von 1953. In den „Schwarzen Heften“ von 1940 wird viel davon bereits scharf ins Auge gefaßt, manchmal sogar, mag sein, überscharf, wie es die dramatischen damaligen Kriegsverhältnisse nahelegten. Es handelt sich tatsächlich, bis in die Syntax hinein, um „Vorposten“. Jedoch: An keiner Stelle waltet aufdringliche Parteilichkeit oder gar Nachplapperei offizieller Propagandaphrasen, ganz im Gegenteil, die souveräne Sachlichkeit des Autors erweckt Bewunderung.

Man muß das leider extra betonen, denn die Aufnahme der Publikation in den offiziösen Medien hierzulande war gerade in dieser Hinsicht ein Desaster. Man mochte es kaum glauben: Ohne sich auch nur im geringsten auf die Sache selbst, die Machenschaftlichkeit, einzulassen, tobten alle Rezensenten unisono und wie auf Kommando los: „Jetzt haben wir’s! Er war ein Antisemit! Martin Heidegger – der endlich sich selbst entlarvt habende Antisemit! Schweigt ihn tot, den Hund, er war ein Antisemit!“

Dabei gibt es nichts auf den 285 Seiten der „Schwarzen Hefte“, das sich auch nur im Ansatz, in welcher Richtung auch immer, von den übrigen Publikationen Heideggers unterschiede. Dieser Denker hat nie aus seinem Inneren eine Mördergrube gemacht. Er war meilenweit davon entfernt, den Karat von Völkern nach irgendwelchen Blutwerten oder Genpools zu beurteilen; auf Seite 56 findet sich eine Eintragung zum Thema „Menschenzüchtung“, wo diese als eine drastische Äußerung von Machenschaftlichkeit markiert wird.

Woran Heidegger (wie faktisch die meisten Menschen) glaubte, das war der Umstand, daß nicht nur jeder einzelne, sondern auch jede Gemeinschaft einen bestimmten unterscheidbaren, sich aus vielen Bedingungen speisenden und erfahrbaren „Charakter“ habe, eine geistige Entität, mit der man als Gelehrter rechnen müsse. Hegel hatte von „Volksgeistern“ gesprochen, Ernest Renan von „Nationalcharakteren“; der junge Heidegger war besonders beeinflußt worden von Wilhelm Wunds „Elementen der Völkerpsychologie“ von 1912.

In den „Schwarzen Heften“ finden sich nun zwei knappe Eintragungen, wo über die Nationalpsychologie der Juden gesprochen wird. Ihr Charakter, liest man da, sei mehr als andere der leeren Rationalität und Rechenhaftigkeit zugetan. Und später heißt es: „Der Krieg (…) ist grauenvoll. Grausiger aber noch ist, wenn ein (…) gegen seine Entwurzelung blindes Volk der Geschichtslosigkeit mit dem größten historischen Lärm aller seiner Redner und Zeitungsschreiber entgegentaumelt, wenn Besinnungslosigkeit als Vernunft gilt und in der unbedingten Berechnung ihr Wesen sichert.“

Ob sich die Stelle auf das jüdische oder auf das deutsche Volk bezieht, wird übrigens nicht recht klar, wahrscheinlich auf das deutsche. Einen starken Beweis dafür liefert ohne Zweifel das erwähnte bisherige Medienecho auf die „Schwarzen Hefte“ hierzulande. Es war gar kein Echo, denn die beteiligten Medienleute waren nie und nimmer der Berg, der notwendig ist, um ein Echo zurückzuwerfen. Es waren allenfalls nasse Unterhosen auf der Wäscheleine des Zeitgeists, die nur noch darauf hoffen können, daß man sie demnächst abhängt und in einen kuscheligen Korb schmeißt.

Das wahre Echo wird aus indischen, chinesischen, auch russischen Gelehrtenstuben kommen, wo Martin Heidegger mittlerweile als der einzige abendländische Denker verehrt wird, mit dem noch ein fruchtbarer Ideenaustausch möglich ist. Eine Begegnung, die dem Maß des Menschen und dem Seyn des Seienden immerhin von ferne entspricht.

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