© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/14 / 11. April 2014

Spiegel der Seele
Von der frühen Neuzeit über die Romantik bis heute: Die Liebe der Deutschen zum Wald
Felix Krautkrämer

Die Deutschen und ihr Wald. Es gibt wohl kein anderes Volk in Europa, das ein solch tiefes Verhältnis zu seinen Wäldern hat, wie das deutsche. Der Wald ist ein Teil der deutschen Identität. Schon Tacitus beschrieb in seiner „Germania“ die „schrecklichen Wälder“, die den wilden Barbaren nicht nur Schutz boten, sondern von diesen auch als heilige Haine verehrt wurden. In der nordischen Mythologie verkörpert die Weltenesche Yggdrasil den Zusammenhang der verschiedenen Welten, wie Asgard, die Heimat der Götter, Midgard, die Welt der Menschen, sowie die Unterwelt mit dem Totenreich Hel.

Auch die deutsche Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts griff immer wieder auf den Wald als Symbol für das Deutsche zurück. So wurde die Hermannsschlacht im Teutoburger Wald als erster Befreiungskrieg der Germanen gedeutet. Auch Jacob Grimm schildert in seiner „Deutschen Mythologie“ mehrfach, „in wie hohem Ansehen Wälder und Bäume bei den heidnischen Deutschen standen“. Die Romantik entdeckte den Wald als mystischen Ort der Einsamkeit und Freiraum für die Seele. Später führte die Wanderbewegung mehr und mehr Großstädter hinaus in die Wälder, wo sie den Ausgleich zur immer hektischer werdenden industrialisierten Welt suchten. Ein Trend, der bis heute anhält. Unzählige Lieder und Gedichte künden von der Liebe der Deutschen zu ihrem Wald. Eine zentrale Rolle spielt er in Märchen („Hänsel und Gretel“, „Rotkäppchen“, „Brüderchen und Schesterchen“) und in Opern („Der Freischütz“, „Siegfried“). Was dem Engländer seine Parks und Gärten sind, das sind dem Deutschen seine Wälder.

Die deutsche Eiche stand bis zur Niederlage 1945 für das Selbstbewußtsein des deutschen Volks, das sich nicht darum kümmerte, wenn sich andere Nationen an ihm rieben. Die völkische Bewegung dichtete „Nicht Bethlehem und Rom, der deutsche Wald ist unser Dom“, und auch die Nationalsozialisten betonten den Wald als Teil der deutschen Identität. In dem Propaganda-Dokumentarfilm „Ewiger Wald“ von 1936 stand der Wald symbolisch für das deutsche Volk, beginnend von der Bronzezeit bis zum Widererstarken Deutschlands nach der Niederlage des Ersten Weltkriegs („Ewiger Wald, ewiges Volk. Es lebt der Baum wie du und ich, er strebt zum Raum, wie du und ich, Sein Stirb und Werde webt die Zeit. Volk steht wie Wald in Ewigkeit.“)

Trotz des Mißbrauchs durch die Nationalsozialisten hat der Wald bis heute nichts an seiner Bedeutung für die deutsche Seele verloren. Immer noch gilt die Eiche mit ihren Blättern neben dem Adler als Nationalsymbol der Deutschen, das selbst die Einführung des Euro überlebte und deren Zweig nach wie vor die Rückseite der Ein-, Zwei- und Fünf-Cent-Münzen ziert.

Die Panik vor dem Waldsterben in den achtziger Jahren läßt sich nicht nur mit dem besonderen Verhältnis der Deutschen zu Umwelt und Natur erklären, sondern auch damit, daß mit dem Verschwinden der Wälder ein Teil der deutschen Identität und Kultur für immer verlorengehen würde. Der Hamburger Volkskundler Albrecht Lehmann bezeichnete den Mythos „Waldsterben“ daher nicht zu Unrecht als „neuerlichen Ausbruch deutscher Angst“.

Doch auch wenn sich der Untergangsalarmismus vom sterbenden Wald als falsch herausgestellt hat, gänzlich ungefährdet sind die Wälder hierzulande nicht. Vor allem die alten Buchenwälder, die einst zwei Drittel der Waldfläche in Deutschland ausmachten, sind zunehmend bedroht, laut Greenpeace in dem Maße wie der Amazonas-Regenwald. Nur noch zwei bis drei Prozent der für Deutschland typischen Wälder sind Buchenwälder mit einem Alter von mehr als 140 Jahren.

Der Fotograf Norbert Rosing und die Journalistin Monika Rößiger haben „Deutschlands wilden Wäldern“ nun eine Liebeserklärung gemacht. Herausgekommen ist ein prachtvoller Bildband, der den Betrachter auf eine Reise von den Wäldern an der Ostseeküste über den Harz quer durch die Republik bis nach Süddeutschland in den Schwarzwald und die Bayerischen Voralpen entführt.

Rosing knüpft dabei nahtlos an seinen Bestseller „Wildes Deutschland“ an. Er durchstreift die verschiedenen heimischen Wälder, und es gelingt ihm, die jeweils für die einzelne Jahreszeit typische Atmosphäre beim Gang durch den Forst auf seinen Bildern einzufangen. Schließlich gibt es kaum einen anderen Ort in der Natur, wo sich der Verlauf zwischen Frühling, Sommer, Herbst und Winter förmlich spüren läßt. Ob an einem warmen Frühlingstag, wo alles hellgrün sprießt und das Leben im Wald auch hörbar wird, oder bei einem Spaziergang im Winter, wenn der nur von einzelnen Tierspuren durchzogene Schnee unter den Füßen knirscht und alles wie gedämpft erscheint. Ob an einem feuchten Nebeltag im Herbst, an dem der Geruch von Moder einem den Kreislauf allen Werdens und Vergehens ins Bewußtsein bringt oder im Hochsommer, wenn die heißen Sonnenstrahlen nur vereinzelt golden-schimmernd durch die Baumwipfel dringen.

Wie nur wenige Naturfotografen versteht es Rosing, durch die Zusammenstellung von Panorama- und Detailaufnahmen den Zauber, der dem deutschen Wald mit all seinen Stimmungen bis heute ungebrochen innewohnt, auf seinen Bildern zu bannen. Porträts, wie das der zwischen 500 und 600 Jahre alten Linde von Heede im Emsland, stehen sinnbildlich dafür, daß es Dinge gibt, die nicht nur Kriege und Naturkatastrophen, sondern auch den allgemeinen Wandel der Zeit nahezu unberührt überdauern. Ergänzt werden Rosings Aufnahmen durch die Begleittexte der Wissenschaftsjournalistin Monika Rößiger, die um das besondere Verhältnis der Deutschen zu ihrem Wald weiß. Kaum ein Naturraum sei „so stark mit der Identität der Deutschen verbunden wie der Wald“, schreibt sie. „Nicht das Wattenmeer und nicht die Berge gelten als Spiegel der deutschen Seele und ihrer Befindlichkeit, nein, es ist der Wald.“

Norbert Rosing, Monika Rößiger: Deutschlands wilde Wälder. National Geographic, Hamburg 2013, gebunden, 224 Seiten, 39,95 Euro

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