© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/14 / 11. April 2014

Auf dem Niveau linker Agitationsfloskeln
In Griechenland tobt ein Historikerstreit über die Rolle der Kommunisten während der deutschen Besatzungszeit und der Nachkriegszeit
Wolfgang Kaufmann

Hierzulande weitgehend unbemerkt, tobt seit 2000 ein verbissener Historikerstreit in Griechenland, in dem es um die Phase der deutschen Besatzung 1941 bis 1945 geht. Der Disput wurde seinerzeit durch den Aufsatz „Roter Terror. Linke Gewalt während der Okkupation“ von Stathis Kalyvas ausgelöst. Darin vertritt der Konfliktforscher die These, daß die Zeithistoriker Griechenlands heute samt und sonders auf seiten der von den griechischen Kommunisten gegründeten Nationalen Befreiungsfront (EAM) stehen – woraus dann auch ihre Vorliebe für „linke Mythen“ resultiere.

Dem folgten 2003 und 2004 mehrere vielbeachtete programmatische Artikel in der Athener Tageszeitung Ta Nea mit Überschriften wie „Wer hat Angst vor der wissenschaftlichen Untersuchung unserer Geschichte?“ Darin wiederholte Kalyvas nicht nur seine Kritik, sondern stellte zugleich zusammen mit Nikos Marantzidis von der Universität Thessaloniki die Forderung auf, „neue Ansätze in der Erforschung des Bürgerkriegs“ zwischen den griechischen Kommunisten und deren nationalgesinnten Gegnern zu finden. Dazu zählten die beiden Querdenker insbesondere die Untersuchung bisher tabuisierter Themen wie der Ursachen für das Zusammengehen vieler Griechen mit den Besatzungsmächten Deutschland sowie auch Italien: Ohne die Berücksichtigung der Kausalität zwischen kommunistischer Gewalt und Kollaboration verharre die Darstellung der griechischen Geschichte während des Zweiten Weltkrieges auf dem Niveau linker Agitationsfloskeln. Ebenso nötig sei zudem die Aufarbeitung der kommunistischen Verbrechen während der innergriechischen Auseinandersetzungen nach dem Abzug der Besatzer, welche bis 1949 anhielten und erst mit der Etablierung eines monarchistischen Regierungsbündnisses endeten.

Die Zunft der Historiker Griechenlands, die sich nahezu alle der „postdiktatorischen Schule“ zurechnen, weil sie zu den linksintellektuellen Profiteuren des Sturzes der Militärjunta im Jahre 1974 gehörten, reagierte mit Entrüstung und Häme: Offenbar wolle jetzt ein winziges Häuflein Ewiggestriger die Lügenpropaganda der reaktionären Bürgerkriegsgewinner aufwärmen. Zugleich sparten die Angreifer nicht mit persönlichen Anwürfen, die vor allem an die Adresse des in Yale lehrenden Kalyvas gingen, dem man unter Verweis auf seine akademische Sozialisation in den USA „krankhaften Antikommunismus“ vorwarf.

Dabei sprechen die Fakten für sich: Wie Kaspar Dreidoppel in seiner Berliner Dissertation von 2008 nachwies, führte die Angst der Griechen vor einer kommunistischen Machtübernahme tatsächlich zur verstärkten Kollaboration mit den deutschen Besatzern, die sich in der Aufstellung von „Sicherheitsbataillonen“ zur Partisanenbekämpfung äußerte. Auch nationalistische Widerstandsbewegungen wie die Nationale Republikanische Griechische Liga (EDES) von General Napoleon Zervas bekämpften ab Herbst 1943 eher die ELAS, den militärischen Arm der EAM, als die Achsenmächte.

Kommunistische Partisanen verübten Massenmorde

Ebenso belegte Dreidoppel, daß die lokalen Führer der EAM beziehungsweise ELAS, wie der legendäre Aris Velouchiotis, in den Zonen, die sie kontrollierten, ein brutales Terrorregime errichteten. Hier decken sich die Befunde von Dreidoppel mit den Aussagen des Tagebuchs des kommunistischen Spitzenfunktionärs Dimitris Vlantas, das von Marantzidis und Georgios Antoniou herausgegeben wurde. Vlantas, ein enger Vertrauter des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE), Nikos Zachariadis, vermittelt in seinen Aufzeichnungen ein niederschmetterndes Bild von sich selbst und der Parteiführung: realitätsblind, unberechenbar und menschenverachtend. Vor diesem Hintergrund konnten sich dann Verbrechen wie das Massaker von Meligalas vom 15. September 1944 ereignen, in dessen Verlauf ELAS-Partisanen unter dem Kommando von Velouchiotis bis zu 1.800 gefangengenommene „Sicherheitsbataillonisten“ ermordeten.

Das freilich hindert die Kritikerschar nicht daran, Kalyvas, Marantzidis, Antoniou und natürlich auch Dreidoppel eine „Dämonisierung“ der griechischen Kommunisten vorzuwerfen, wie das jetzt gerade wieder in einem Aufsatz von Adamantios Skordos von Anfang 2014 geschieht. Der griechische Historikerstreit entpuppt sich als ein Stellvertreterkrieg zwischen der Linken und der Rechten – und bekommt nun noch zusätzliche Brisanz, seitdem in Athen Reparationsforderungen an Deutschland laut werden.

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