© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/14 / 18. April 2014

Der Kampf geht weiter
Baden-Württemberg: Im Streit um den „Bildungsplan 2015“ sehen sich die Kritiker noch nicht am Ziel
Michael Paulwitz

In Baden-Württemberg hat die Protestbewegung gegen den „Bildungsplan“ der grün-roten Landesregierung einen Teilerfolg errungen: Drei Monate hatten sich der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann und sein Kultusminister Andreas Stoch (SPD) trotz massiver Proteste besorgter Eltern stur gestellt, jetzt wird der Entwurf des Bildungsplans, der von 2015 an für die Schulen im Südwesten gelten soll, doch korrigiert und umformuliert. Befürworter und Gegner des umstrittenen Papiers sehen sich bestätigt. Kritische Stimmen wittern allerdings bereits einen Etikettenschwindel.

„Enge Absprache mit Verbänden“

Der Verdacht liegt nahe. Zwar soll der von einschlägigen Lobbygruppen in die Feder diktierte Kampfbegriff der „Sexuellen Vielfalt“, der das ganze Dokument durchzog, in der Neufassung des Entwurfs gestrichen werden. An anderer Stelle taucht das Thema allerdings wieder auf: Die fünf „Leitprinzipien“, unter die der „Bildungsplan“ bisher gestellt war – Berufliche Orientierung, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Medienbildung, Prävention und Gesundheitsförderung, Verbraucherbildung –, werden in „Leitperspektiven“ umbenannt und um eine sechste ergänzt, die mit „Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt“ überschrieben ist. Zur „Vielfalt“ sollen nun freilich neben „sexueller Orientierung“ auch „ethnische Herkunft, Kultur, Religion, Weltanschauung und Nationalität“ zählen. Stoch bezeichnet die Änderung als „Reaktion auf diese Diskussion“.

Gabriel Stängle, der baden-württembergische Realschullehrer, der eine binnen weniger Wochen von zweihunderttausend Unterzeichnern unterstützte Online-Petition gegen den Bildungsplan initiiert hatte, die wiederum zum Auslöser monatlicher Großdemonstrationen in der Landeshauptstadt Stuttgart geworden war, zeigte sich zufrieden: Es sei richtig, gegen „alle Formen der Ausgrenzung“ vorzugehen, statt einseitig das Thema „Homosexualität“ im Schulunterricht überzubewerten. Ähnlich äußerte sich auch der Vorsitzende des pietistischen Gemeinschaftsverbandes „Die Apis“, Pfarrer Steffen Kern, der gegenüber der christlichen Nachrichtenagentur idea eine seiner „zentralen Forderungen“ erfüllt sieht, wenn die sexuelle Orientierung nur noch ein Aspekt von vielen sein solle. Das Treffen von Vertretern der Evangelikalen mit Ministerpräsident Kretschmann Ende März sei gewiß „nicht vergeblich“ gewesen.

Vergeblich waren allerdings auch die Gespräche des grünen Ministerpräsidenten mit Vertretern sogenannter „LSBTTIQ“-Gruppen nicht – ein Sammelbegriff für Interessenvereine und Splittergruppen von Homo-, Trans-, Inter- und sonstwie Anderssexuellen, deren Gewicht weniger in der Zahl der von ihnen repräsentierten Betroffenen als in der gezollten politisch-medialen Aufmerksamkeit liegt. Kretschmann hatte Vertreter ihres „Netzwerks“ noch am Vorabend seiner Änderungsankündigung ebenfalls empfangen und ihnen zugesichert, ihre Interessen zu berücksichtigen. Unermüdlich senden Ministerpräsident und Kultusminister auch weiterhin in diese Richtung Signale, daß sich durch die Umformulierungen „im Kern der Sache“ selbstverständlich nichts ändere und man vor niemandem „eingeknickt“ sei; man habe sich lediglich „in enger Absprache mit den Lesben- und Schwulenverbänden dazu durchgerungen, das Thema in einen größeren Kontext einzubinden“, versicherte Andreas Stoch im taz-Interview. Entsprechend applaudierte den beiden das „Netzwerk LSBTTIQ“, dessen wohlweislich nicht näher quantifizierte Klientel nun „angstfrei an Schule teilhaben“ könne, und der umtriebige Vorsitzende der „Interessengemeinschaft CSD Stuttgart“ Christoph Michl freute sich über das neue „Leitprinzip“: „Wir werden damit sichtbar.“

Teilnehmerzahlen heruntergerechnet

Eines hat das Manöver der grün-roten Landesregierung in jedem Fall schon erreicht – die Landtagsopposition, die sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen wollte, ein wenig von dem massiven Protest aus der Bürgerschaft zu profitieren, ist vorerst wieder auseinanderdividiert. Während die CDU die lediglich „kosmetischen Korrekturen“ kritisiert, loben die Liberalen im Landtag die Entscheidung der Landesregierung als „Chance“ zur „Versachlichung“. Die Vorsitzenden beider Fraktionen, Hans-Ulrich Rülke (FDP) und Peter Hauk (CDU), hatten zuvor noch verbale Prügel von links für ihre Grußworte zur Kundgebung gegen den Bildungsplan bezogen, zu der am 5. April rund 2.500 Menschen – von Polizei und Medien auf 600 heruntergerechnet – nach Stuttgart gekommen waren. Unterstützt worden war die unter Polizeischutz gegen linksextreme Störer stattfindende Kundgebung von Vertretern der französischen „Manif pour tous“-Bewegung gegen die Einführung der Homo-Ehe, deren ins Deutsche übersetztes Motto „Demo für alle“ zunehmend auch von den Initiatoren der Stuttgarter Demonstrationen benutzt wird.

Ziemlich offen setzen Grün-Rot darauf, mit der Kompromißformel die Debatte zu „befrieden“, die „Gutwilligen“ einzufangen, den Gegnern die „salonfähigen Argumente“ zu entwinden und die Protestbewegung als „rechtsaußen“ zu diskreditieren. Es handle sich längst nicht mehr um „besorgte Eltern“, sondern um eine „gefährliche Allianz aus christlich-konservativen und rechten Gruppen“, raunt etwa die grüne Landtagsvizepräsidentin Brigitte Lösch. Noch lassen sich die solcherart Denunzierten davon nicht einschüchtern – die nächste „Demo für alle“ ist bereits für den 3. Mai angekündigt.

Kommentar Seite 2

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